La Mer, c’est moi

Sonnenkönig Ludwig XIV. ließ im Versailler Park ein künstliches Meer anlegen, das nicht nur Kulisse seiner aufwendigen Spektakel war. Es symbolisierte auch seinen Anspruch auf die Meere

Das Schloss von Versailles lag einst am Meer. Kein wirkliches Meer – die Stadt, nahe Paris gelegen, ist mehr als 100 Kilometer vom Atlantik entfernt. Vielmehr handelte es sich um ein allegorisches Meer, das sich im Rahmen der großen Hoffeste des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. formierte.

Es war ein Ort der Imagination, der mit sagenhaften Erzählungen und heroischen Geschichten belegt wurde, der den Mythos des absoluten Herrschers begründete und dessen Ansprüche auf die Weltmeere postulierte. Dafür sorgten die Promenaden, Bootsfahrten und theatralischen Inszenierungen, die dem König und den Höflingen die Pracht der Residenz und ihres Parks vorführten. Als Meer genutzt wurden künstliche Seen und insbesondere der Große Kanal, die wie der ganze Versailler Park seit 1661 von Ludwigs Landschaftsarchitekt André Le Nôtre geplant und über gewaltige Pumpwerke wie die Machine de Marly mit Wasser aus der nahen Seine gespeist wurden. Bis heute sind die beiden sich rechtwinklig kreuzenden Achsen des Wasserwegs erhalten, die sich über eineinhalb Kilometer erstrecken und bis zu 75 Meter breit sind. Von den gartenseitigen Terrassen des Schlosses bietet sich eine beeindruckende Aussicht auf den Kanal, dessen Hauptarm die Ost-West-Achse des Palasts verlängert.

Das Dorf Petite Venise, „Klein-Venedig“, wurde eigens mitsamt einer Werft in unmittelbarer Nähe des künstlichen Gewässers angelegt, um Seeleuten und Arbeitern Unterkunft zu bieten. Sie fuhren die vergoldeten Galeeren und englischen Yachten, das mit 13 Kanonen bewaffnete große Kriegsschiff „Grand Vaisseau“, die venezianischen Gondeln und viele andere größere wie kleinere Boote auf dem Kanal. Die Marine nutzte die Anlage zur Erprobung von Prototypen, die vom König bei seinen Promenaden durch den Park begutachtet wurden.

Neben diesen eher kriegerischen Zwecken wurde der Kanal für diplomatische Anlässe gebraucht, für Zeremonien, die die Gesandten durchaus einzuschüchtern vermochten: Sie wurden zu Fahrten mit reich geschmückten Galeeren und Gondeln geladen, die von Schiffen mit Musikern begleitet wurden, um für musikalische Untermalung zu sorgen.

Das größte Aufsehen dürften aber die drei großen Hoffeste erregt haben, die das Schloss, den Park und den Kanal bespielten und die Anlage im Rahmen der Inszenierungen zu einer gewaltigen Bühne machten. Es waren rauschende und kostspielige Feiern, die über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt wurden und zudem innen- wie außenpolitisch Zeichen setzten: Frankreich schickte sich an, nicht nur eine Vormachtstellung in Europa zu erlangen, sondern auch die dominierende Seemacht zu werden.

Das erste große Hoffest bot eine Reihe von Spielen, Inszenierungen und Banketten und wurde im Mai 1664 unter dem Titel „Die Vergnügungen der verzauberten Insel“ abgehalten. Das Versailler Schloss –dessen Ursprünge ein bescheidenes Jagdhaus sind, das Ludwig XIII. drei Jahrzehnte zuvor bauen ließ – hatte in jener Zeit erst kleinere Aus- und Umbauten erfahren, gleichermaßen wie der Park noch bescheidene Ausmaße aufwies. Dennoch bot die Anlage eine beeindruckende Kulisse für die Vergnügungen, die sich an dem Ritterepos des „Rasenden Rolands“ von Ludovico Ariost orientierten.

Das Fest wurde mit einem prächtigen Pferdeballett eröffnet, bei dem Ludwig XIV. höchstpersönlich den Ritter Roger verkörperte, womit die Helden- und Wundertaten dieser sagenhaften Figur aus Ariosts Werk mit jenen des bourbonischen Herrschers verknüpft wurden. Zudem gab es Ballette, Bälle und Bankette, die das siebentägige Fest zum unvergesslichen Ereignis machten. Höhepunkt der Festivitäten aber war das riesiges Wasserspiel in einem See und das abschließende Feuerwerk.

Die Architekten, Bühnenbauer und Ingenieure des Königs errichteten prachtvolle Kulissen und große Maschinen, um das Epos zu inszenieren. Seine Geschichte: Der Held Roger, „das Alter Ego des Königs“, wie Sieur de Bizincourt in seinem Bericht zur Aufführung schrieb, befindet sich mit anderen Rittern in Gefangenschaft in einem Schloss auf der Insel der Zauberin Alcine. Diese wird stets von zwei Nymphen begleitet, die ihrerseits auf Walen reiten. Kolosse kommen herbei, um die Wachen des Schlosses zu verstärken und die Ritter in eine gänzlich aussichtslose Lage zu versetzen. Schließlich bedrohen Dämonen die Gefangenen – bis endlich der weise Mélisse dem Ritter Roger einen Ring an den Finger steckt, der den Zauber Alcines zu brechen vermag.

Deren Auftritt dürfte die Zuschauer des Seespektakels besonders beeindruckt haben. Denn Alcine, so heißt es in dem Bericht, erschien überraschend hinter einem Felsen und befuhr mit einer gewaltigen Maschine, einem „Meeresmonster“, das Gewässer. „Es schien“, schrieb Bizincourt zu dem einsetzenden Feuerwerk, „als brennten Himmel, Erde und Wasser und als könne die Zerstörung des großartigen Palastes der Alcine ebenso wie die Befreiung der Ritter, die sie dort im Gefängnis festhielt, allein durch ein Wunder in Erfüllung gehen.“ Das Feuerwerk bot den Höflingen ein „herrliches Spektakel“, das alle „Verzauberungen“ beendete.


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mare No. 97

No. 97April / Mai 2013

Von Tobias Nanz

Tobias Nanz, Jahrgang 1976, wurde mit einer Arbeit zur Mediengeschichte der Diplomatie promoviert. Er hat eine Schwäche für Meeresmonster – als Theatermaschinen oder Symbole auf Karten.

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Vita Tobias Nanz, Jahrgang 1976, wurde mit einer Arbeit zur Mediengeschichte der Diplomatie promoviert. Er hat eine Schwäche für Meeresmonster – als Theatermaschinen oder Symbole auf Karten.
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