Kurs an der Steuer vorbei

Lukrative Geldanlage auf See

Schon als Siebzehnjähriger ist Wolfgang Greul auf einem Bananendampfer nach Ecuador geschippert – als Decksjunge und Bibliothekar. Das war Mitte der fünfziger Jahre. Nach seinem Medizinstudium wurde er Stabsarzt bei der Bundesmarine, bevor die Karriere ihn, das Nordlicht, in den tiefen Süden nach Bad Füssing bei Passau verschlug. Seiner Liebe zur Seefahrt hat das keinen Abbruch getan. Greul kennt Reeder und Kapitäne persönlich, weiß, welche Schiffe auf welchen Werften gebaut werden und schaut sich manche neuen Pötte selbst an. Zur Schiffstaufe des Containerfrachters „Camilla Rickmers“ ist er dieses Jahr eigens nach Stettin geflogen. „Auf der Feier war sogar die Frau des polnischen Ministerpräsidenten“, erzählt Greul.

An der „Camilla Rickmers“ ist der gutverdienende Facharzt – wie an einigen anderen Schiffen – als Geldanleger beteiligt. „Weil’s Spaß macht!“ Und natürlich auch, um Steuern zu sparen. Drauf gebracht hat ihn der Wirtschaftsberater Werner Poxleitner, Jahrgang 1955, aus dem niederbayrischen Eggenfelden, der seit zwölf Jahren auf Schiffsfinanzierungen spezialisiert und selbst an 65 Schiffen beteiligt ist. „Von allen Anlageformen“, sagt Poxleitner, „bieten Schiffe derzeit die höchsten Steuervorteile.“ Schiffsbeteiligungen werden zur Zeit mit Verlustzuweisungen von bis zu 125 Prozent gefördert. „Wer dem Spitzensteuersatz unterliegt“, rechnet Poxleitner vor, „finanziert rund zwei Drittel seiner Beteiligung aus eingesparten Steuern!“

Bei 80 Prozent der jährlichen Betriebsgewinne und beim Verkaufserlös des Schiffes nach acht bis zwölf Jahren begnügt sich der Fiskus mit dem halben Durchschnittssteuersatz. Daraus ergeben sich Renditen von über 15 Prozent. Schon mit 30 000 Mark kann man einsteigen. Und das Risiko ist überschaubar. Läuft etwas schief, brauchen die Anleger kein weiteres Geld lockermachen, um Verluste auszugleichen. Geht der Dampfer gar unter – zahlt die Versicherung.

Kein Wunder, daß die Branche in den letzten Jahren einen beispiellosen Boom erlebt hat: Wurde 1993 noch eine knappe Milliarde Mark in Schiffsbeteiligungen gesteckt, waren es ein Jahr später 1,6 Milliarden und 1995 schon 2,2 Milliarden Mark. Marktführer bei den sogenannten Plazierungsgesellschaften ist die Hanseatische Capital Invest (HCI) aus Jork im Alten Land bei Hamburg, die 1995 mit ihrem Gesamtinvestitionsvolumen erstmals die Schallgrenze von einer Milliarde Mark durchbrochen hat. Davon sind rund 350 Millionen Mark privates Anlagekapital, was 1995 immerhin 24 Container- und Schwergutschiffe finanzierte. 1996 waren es nach Angaben von HCI-Geschäftsführer Thomas Völkers 25. Den Erfolg führt Völkers auf die Tatsache zurück, daß sich HCI auf kleine und mittlere Containerschiffe konzentriert. Bei den sogenannten Feederschiffen mit 1000 bis 2000 TEU-Stellplätzen (Twenty Foot Equivalent Unit, entspricht der Größe eines 20 Fuß langen Containers) werden die größten Zuwächse erwartet.

Der weltweite Containerumschlag, prognostizieren Experten der britischen Marktforschungsgruppe Ocean Shipping Consultants (OSC), wird sich in den nächsten 15 Jahren mindestens verdoppeln. Die Voraussage beruht vor allem auf der wirtschaftlichen Dynamik in Südostasien, wo im Jahr 2000 nach OSC-Schätzungen schon jeder zweite Container umgeschlagen werden wird. Auch Produktionsverlagerungen aus der Alten Welt in fernöstliche Billiglohnländer tragen zum Wachstum des Transportaufkommens bei. Rollt also weiterhin kräftig der Rubel für die deutschen Schiffsmiteigner?

Wasser in den Wein der Beteiligungsgesellschaften gießt der Hamburger Branchenkenner Jürgen Dobert. Er warnt vor der Gefahr von Überkapazitäten. „Der Markt birgt Chancen und Risiken“, sagt Anlageberater Werner Poxleitner salomonisch. Unter den mehr als 200 Anbietern, die auf dem lukrativen Markt ihr Glück suchen, gebe es manche, die „von Tuten und Blasen keine Ahnung“ hätten. Wichtig sei „ein Reeder, der was von seinem Geschäft versteht, damit Sie gute Charterraten erzielen“. Preis und Technik des Schiffes müssen stimmen. „Manche Frachter sind zu langsam. Die Luken lassen sich schlecht öffnen, Ersatzteile schwer beschaffen. Die sind vor zehn Jahren entwickelt worden und werden weiter gebaut, um Kosten zu sparen.“ Bei den Preisen, so Poxleitner, gäbe es Unterschiede bis zu sage und schreibe 50 Prozent. Besonders günstig fährt, wer auf osteuropäischen oder südostasiatischen Niedriglohn-Werften bauen läßt. Denn auch solche Schiffe können – weil sie unter deutscher Flagge laufen – mit eingesparten deutschen Steuergeldern bezahlt werden.

Deshalb ist jetzt die in Meerbusch bei Düsseldorf ansässige GEBAB, die zu den „Big Five“ der Branche gehört, von ihrer langjährigen Praxis abgerückt, Schiffe ausschließlich bei deutschen Werften zu bestellen. Während der 2900-TEU-Frachter „Tegesos“ noch von der Kvaerner Warnow Werft in Rostock-Warnemünde – dem derzeit modernsten Schiffbauer Europas – auf Kiel gelegt wird, fiel der Auftrag für einen 3940-TEU-Neubau an die koreanische Daewoo. Als „Ville de Taurus“ soll das 75,9 Millionen Mark teure Schiff im September 1997 zur Jungfernfahrt auslaufen. Inzwischen wurden schon zwei weitere Schiffe bei den Koreanern geordert. „Wir müssen uns den Marktverhältnissen anpassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, begründet GEBAB-Geschäftsführer Dr. Jürgen Tömb die Entscheidung. Hintergrund ist eine Gesetzesänderung, nach der die Sonderabschreibungen für alle Schiffsneubauten gestrichen werden, die nach dem 25. April 1996 bestellt wurden. Die Verlustzuweisung laut Einkommenssteuergesetz wird auf maximal 100 Prozent begrenzt. Damit ist eine Forderung des Bundesrechnungshofes erfüllt, der die Schiffbausubventionen als eine „staatlich überproportional geförderte Vermögensbildung in der Hand von Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen“ angeprangert hat. GEBAB-Chef Tömb sieht dadurch einige Arbeitsplätze auf deutschen Werften gefährdet.

Für die nächste Zeit hat die Boom-Branche allerdings längst vorgesorgt: In der Übergangsfrist bis April 1996 sollen schnell noch rund 100 Bauanträge für neue Containerschiffe gebunkert worden sein. Bei ihnen gilt noch die alte Regelung, sofern die Schiffe die Werft bis 1999 verlassen haben werden. Da kann sich auch Anlageberater Werner Poxleitner entspannt zurücklehnen. „Wer sagt Ihnen denn, daß angesichts leerer Kassen nicht auch andere Abschreibungsmöglichkeiten gekappt werden? Nach der Neuregelung“, sagt Poxleitner voraus, „wird der wirtschaftliche Betrieb der Schiffe noch wichtiger, damit Sie weiterhin eine akzeptable Rendite haben.“ Auch Geldanleger und Schiffsliebhaber wie Wolfgang Greul sehen vorerst der Zukunft eher gelassen entgegen: „Erst mal abwarten. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“

mare No. 1

No. 1April / Mai 1997

Von Frank Schüttig

Frank Schüttig, Jahrgang 1954, ist Verleger und Journalist. Er hat in Berlin und Heidelberg Germanistik und Geschichte studiert. Nach seinem Magisterabschluss arbeitete er viele Jahre als Reisejournalist, Hörfunk- und Buchautor, u. a. für das MDR-Fernsehen, die Berliner Morgenpost und die Welt am Sonntag, bevor er 2008 das Wirtschaftsmagazin Business & Diplomacy gründete. Seit 2014 leitet er zudem den Dreilinden Verlag.

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Vita Frank Schüttig, Jahrgang 1954, ist Verleger und Journalist. Er hat in Berlin und Heidelberg Germanistik und Geschichte studiert. Nach seinem Magisterabschluss arbeitete er viele Jahre als Reisejournalist, Hörfunk- und Buchautor, u. a. für das MDR-Fernsehen, die Berliner Morgenpost und die Welt am Sonntag, bevor er 2008 das Wirtschaftsmagazin Business & Diplomacy gründete. Seit 2014 leitet er zudem den Dreilinden Verlag.
Person Von Frank Schüttig
Vita Frank Schüttig, Jahrgang 1954, ist Verleger und Journalist. Er hat in Berlin und Heidelberg Germanistik und Geschichte studiert. Nach seinem Magisterabschluss arbeitete er viele Jahre als Reisejournalist, Hörfunk- und Buchautor, u. a. für das MDR-Fernsehen, die Berliner Morgenpost und die Welt am Sonntag, bevor er 2008 das Wirtschaftsmagazin Business & Diplomacy gründete. Seit 2014 leitet er zudem den Dreilinden Verlag.
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