Kuno macht alles

Im Hamburger Hafenrestaurant „Elbblick“ gibt es besonders große gebratene Schollen

Kuno weiss einfach nicht weiter. Dass nach „klingelingeling“, der „Eiermann“ kommt – schon klar. Aber dann? Ihm fehlt die zweite Strophe. Und der blinde Mann am Schifferklavier? Bleibt auch stumm. „Hermann, du bist doch die Souffleuse!“ Kuno kann doch nicht an alles denken: an die Scholle für Tisch fünf, die bestimmt schon seit zehn Minuten in der Pfanne brutzelt (oder waren es fünf Minuten und Tisch zehn?), an das Tatar mit Zwiebeln und dann auch noch an die zweite Strophe von dem Eiermann-Lied – nein, alles geht nun wirklich nicht.

Kuno kauft ein, Kuno kocht, Kuno zapft und Kuno singt. Als er vor neun Jahren eine Gruppe Musiker bei ihm im „Elbblick“ singen hören musste, sagte er sich: „Wenn ich schon alles andere machen muss, dann mach ich auch noch das.“ Seitdem komponiert er Shantys und Lieder von der Meile oder singt sie nach, darunter „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ oder „Die Bärbel von der Meile“. „Noch einen Song, dann muss ich in die Küche; ihr habt doch Hunger, oder?“ Er singt nicht wie Pavarotti, aber der kocht dafür auch nicht so gut wie Kuno. Seine goldgelben Schollen sind immer ein Hit und wahre Pfundskerle: Üblich sind hier 500 Gramm. Wer mehr will, zahlt ein paar Mark Mark extra.

„Hier, du kriegst einen 640-Gramm-Klopper.“ Serviert ihn, wischt sich die Hände ab, und dann steht er wieder da, die blaue Küchenschürze immer noch umgebunden: ein bisschen Bommerlunder-Barde, ein bisschen Alleinunterhalter, der singend, mit Mikrofon in der Hand, zu den Gästen an den Tisch tritt, sie anzwinkert, beim Namen nennt und die dann wie bei einer der Schlagerparaden im Fernsehen nicht wissen, ob sie verschämt zur Seite oder in die Kamera blicken sollen.

Die Namen seiner Gäste kennt Kuno, auch wenn sie nicht alle so prominent sind wie Max Raabe, Inga Humpe oder Campino von den Toten Hosen, die hier auch schon waren. Seit zwölf Jahren hat Kuno den Laden am Elbhang. Seine Gäste sind Leute, die sich nicht an einen der Tische, sondern direkt an den Tresen setzen und den Wirt mit Handschlag begrüßen, aber auch Werber im Anzug.

An manchen Abenden hat man das Gefühl, dass Stammgäste Leute sind, die selten kommen und das regelmäßig. Ein andermal aber ist die Bude so gerammelt voll, dass Kuno fast nur noch kocht. Dann muss er nicht mehr an zweite Liedstrophen denken. Dann tastet sich Hermann am Tresen entlang zum Piano vor, seine Hand sucht den Schemel, er setzt sich, greift um sich, findet das Schifferklavier und spielt. Selbst wenn Hermann sehen könnte, würde er jetzt nicht mehr hinschauen. Seine Finger kennen den Weg. Schifferklavier spiele er, kein Akkordeon, zum Himmeldonnerwetter. Nein, eigentlich gebe es keinen Unterschied, aber trotzdem. Sein Kopf schwankt nach links, wenn er mit der linken Hand die Kommode aufzieht, und schwankt nach rechts, wenn er sie zusammenquetscht. Wenn sich die Wogen wieder geglättet haben und gerade niemand hinguckt, sitzt Hermann seelenruhig auf seinem Schemel und spielt. Akkordeon.

Oben vom Elbhang blickt man auf den Anleger der Englandfähre, auf den Fluss und die Lichter von drüben. Auf die Van-Carrier, die Container zwischen ihren O-Beinen schleppen und die ganze Nacht hindurch blinken. Oben vom Elbhang kann Kuno auch auf das „Rive“ hinunterschauen, ein exquisites Fischrestaurant – „meine direkte Konkurrenz“. Aber eigentlich schaut er nicht, er blickt hinab. Zu teuer, zu kleine Portionen.

Kann man die Schollen vom „Rive“ und vom „Elbblick“ miteinander vergleichen? Kuno hat es noch nicht probiert. Er geht nie Fisch essen. Nicht außer Haus. Er hat Angst vor Fischvergiftung. Und was sagen die Gäste? Einige mussten im „Rive“ so lange auf ihr Essen warten, dass sie zu Kuno nach oben gekommen sind. Und nicht mehr abgestiegen sind.

Morgens um zwei macht Kuno Feierabend, geht die Treppen hinunter zu den Fischhallen und kauft frische Ware ein. Alles, worauf er Lust hat. Denkt sich dabei neue Strophen aus und denkt vielleicht auch an den Gast. Den einen, der im Winter Erdbeeren bestellen wollte. Kuno: „Erdbeeren? Guckst du mal nach draußen? Woher soll ich denn jetzt Erdbeeren bekommen?“ Gast: „Dann vielleicht Frikadellen. Oder brauchen die auch Sonne?“ Kuno: „Nee, aber auf die hab ich gerade keine Lust.“ Ein Glück, dass Kuno auf Schollen immer Appetit hat.


Scholle mit Büsumer Krabben

Zutaten

Scholle, Schinkenwürfel, Zwiebeln, Krabben, Kartoffeln, Paprikapulver.

Zubereitung

Kartoffeln und Zwiebeln in Scheiben schneiden und mit Schinkenwürfeln und Krabben mit Butter anbraten. Scholle fünf Minuten in 50 Grad heißes Wasser legen (dann klebt das Fleisch nicht an der Gräte). Mit einem Tuch abtupfen und in die Pfanne legen. Wenn sich im unteren Drittel die Gräten verfärben, Scholle wenden und mit Paprikapulver würzen. Sobald die Scholle anfängt zu schwitzen, aus der Pfanne nehmen.

Zum Elbblick
Olbersweg 49, 22767 Hamburg,
Tel. 040/380 62 98.
Täglich 13 bis 2 Uhr.
Montags und freitags ab 20 Uhr Musik mit Hermann und Kuno.

mare No. 30

No. 30Februar / März 2002

Von Dimitri Ladischensky und Axel Martens

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Von Dimitri Ladischensky und Axel Martens
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Von Dimitri Ladischensky und Axel Martens