König der Tiefsee

Dom Carlos gilt als Herrscher ohne Fortüne, er steht für den Untergang der portugiesischen Monarchie. Glück fand er bei seinen liebs­ten Hobbys, der Meereskunde und dem Malen

Sie fahren in einem offenen Landauer in den Tod, wenn auch mit vier Stunden Verspätung. Geduldig wartet das Empfangskomitee an diesem 1. Februar 1908 auf dem Terreiro do Paço in Lissabon, dem großen Platz am Tejo. Am späten Nachmittag treffen sie ein: Carlos I., König von Portugal, und Königin Amélia mit ihren Söhnen, dem Thronfolger Luís Filipe, 21, und Manuel, 18. Sie sind von Vila Viçosa, dem Stammsitz des Hauses Bragança im Alentejo, angereist, haben mit dem Fährschiff „Dom Luiz“ den Tejo überquert. Ein Mädchen überreicht der Königin einen Blumenstrauß; es ist ihr Patenkind. Die Kutsche mit der Königsfamilie rollt über den Platz.

Weit kommen sie nicht. Ein junger Mann springt aus der Menge, richtet eine Pistole auf den König und feuert zweimal. Dom Carlos wird an der Halsschlagader getroffen und ist sofort tot. Ein zweiter Attentäter zielt mit einem Gewehr auf Luís Filipe. Tödlich verletzt, sackt der Kronprinz zusammen. Die Königin schlägt mit dem Blumenstrauß auf den Arm eines Angreifers, kann aber nicht verhindern, dass auch Manuel, der auf dem Boden der Kalesche seinem Bruder das Blut vom Gesicht wischt, von einer Kugel verletzt wird. Weitere Schüsse fallen, Säbel blitzen. Die beiden Attentäter sowie ein unbeteiligter Zuschauer werden erschossen und erschlagen, die Zeugenaussagen widersprechen sich. Am Ende dieses Tages, an dem Portugal seinen König und seinen Thronfolger verliert, bleibt ein geschocktes Land zurück.

Carlos I., geboren am 28. September 1863 als ältester Sohn von König Luís I. und Maria Pia von Savoyen, wird 1889 nach dem Tod des Vaters zum König gekrönt. Er hat kein leichtes Erbe angetreten. Das Königshaus ist pleite, zwei Jahre später verkündet Portugal, einst eines der reichsten Länder der Erde, den Staatsbankrott. Maßlose Verschwendung seiner Eliten, Kriege und Bürgerkriege, Naturkatastrophen und der Versuch, die halbe Welt zu erobern, haben das Land in die Armut gestürzt.

Soziale Spannungen nehmen zu, unüberwindbar klafft die Schere zwischen Arm und Reich, die Arbeiterschaft beginnt sich in Gewerkschaften zu organisieren. Carbonari, der bewaffnete Arm der Republikanischen Partei, und Freimaurer konspirieren gegen den König. Das Land ist in Unruhe, Revolten brechen aus, werden niedergeschlagen.

Der König ist kein König der Herzen. Er sieht aus, als wäre er von Norden einmarschiert. Blond und blauäugig, den Schnauzer stets himmelwärts gezwirbelt, gleicht er in seinen mit Orden behängten Uniformen eher der Karikatur eines deutschen Feldmarschalls als einem Portugiesen. Die Fettsucht hat ihn unübersehbar im Griff. Er hat viele Talente, nur das Regieren liegt ihm gar nicht.

Er ist gebildet, spricht sieben Sprachen fließend, half seinem Vater, Shakespeare ins Portugiesische zu übersetzen, und widmet seiner Bibliothek viel Zeit, wenn er nicht gerade auf See unterwegs ist. Der König, der schon als Sechsjähriger wie eine Robbe im Atlantik schwamm, ist ein Yachtie, süchtig nach Meer.

Carlos I. sammelt Yachten wie andere Könige Schnupftabakdosen oder Mätressen. Nach der „Nautilus“ segelt er die „Aura“, danach die „Amélia“, die „Amélia II“, die „Amélia III“ und die „Amélia IV“, wobei die ersten Yachten noch unter Segeln fuhren und die „Amélia IV“, die modernste seiner Yachten, schon Dampfmaschinen und zwei Schornsteine aufweist.

Die Finanzierung regelt er kreativ. Weil er aber gerade etwas knapp bei Kasse ist, verkauft er sie weiter an den portugiesischen Staat. Nun gehören sie dem Königreich Portugal. Dem Protest im Parlament schenkt er kein Gehör. Schließlich stellt er seine Luxusyachten in den Dienst des Landes, als Forschungsschiffe. Mit Leidenschaft taucht der König des Meeres in die junge Wissenschaft der Ozeanografie. Sein Vater, Luís I., gelernter Navigator und der einzige König Portugals, der je ein Schiff kommandierte, hatte mit ozeanografischen Studien angefangen. Der Sohn intensiviert die Forschungen. Die Schiffe werden länger, weil ihre Aufgaben wachsen; angefangen bei 35 Metern bei der „Amélia“ bis zu 70 Metern bei der „Amélia IV“. Der Eigner braucht Platz für meereskundliche Laboratorien. Mit Seilwinden und Schleppnetzen holt er Meerestiere und Gesteinsproben an die Oberfläche und verwahrt sie in einer Fülle mitreisender Glasbehälter.

Zwölf Forschungsreisen sind dokumentiert. Zwischen 1896 und 1907 untersuchte er im Nordwesten und im Süden vor der portugiesischen Küste die Topografie der Meeresböden. „Wir haben die Idee“, erklärt er zu Beginn seiner Expeditionen, „unser Meer wissenschaftlich zu erforschen und es nicht nur mit dem Wissen um die Fauna unserer Küstengewässer, sondern auch im Bereich der Tiefsee bestimmter Regionen, die wir in Europa nur hier, wenige Meilen vor der Küste vorfinden, mit ganz konkreter Forschungsarbeit zu untersuchen.“


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mare No. 108

No. 108Februar / März 2015

Von Emanuel Eckardt

Immer wieder zieht es Emanuel Eckardt, Autor in Hamburg, geboren 1942, zu der Praça do Comércio in Llssabon, für ihn nicht nur Tatort eines Königsmords, sondern einer der schönsten Plätze der Welt.

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