Kent Nagano, Iris Berben, Max Raabe, Sky du Mont, Maybrit Illner, Judith Holofernes

99-mal füllte die mare-Redaktion alle zwei Monate knapp 140 Seiten. 99-mal schrieben Autorinnen und Autoren Reportagen und Berichte über das Meer. Zur 100. Ausgabe wollen wir von 100 uns allen bekannten Persönlichkeiten ihre Meeresgeschichten erfahren.

KENT NAGANO
Amerikanischer Dirigent

mare: Herr Nagano, wie kommt ein Dirigent zum Surfen?
Kent Nagano: Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in Morro Bay, einem kleinen Ort zwischen Los Angeles und San Francisco. Da gab es nicht viel Unterhaltung für ein Kind, weder Shoppingmalls noch Kinos. Also habe ich mir das Surfboard von einem Freund geliehen. Aber weder mein Bruder noch ich waren so klug, einen Neoprenanzug anzuziehen. Der Pazifik vor San Francisco ist eiskalt, die Meeresströmung kommt aus Alaska – und wir trugen nur Badehosen.

Klingt nicht nach dem Beach-Boys-Surfer-Klischee: Sommer, Sonne, Strandparty …
Ich mochte schon damals lieber Bach und Mozart. Die Beach Boys waren der Soundtrack Südkaliforniens, die Musik der Surfer aus Los Angeles, von Malibu Beach oder Santa Monica: Strände mit weißem Sand, Palmen und Postkartensonnenuntergängen. Ich dagegen komme aus einem Ort zirka 150 Kilometer weiter  nördlich, dort ist es viel ungemütlicher, wilder und kälter. Wir schmierten uns Vaseline gegen die Kälte ins Gesicht. Es gibt dort nur Felsküsten und jede Menge Weiße Haie – da summt keiner mehr Beach-Boys-Lieder im Wasser.

Hat Sie je ein Hai angegriffen?
Sie kommen still und leise, plötzlich sieht man eine Rückenflosse und paddelt so schnell wie möglich in die andere Richtung. Ich bin mir nicht sicher, ob es jedes Mal ein großer Weißer war, aber ich wollte das nicht ausdiskutieren. Eigentlich mögen die Haie kein Menschenfleisch und keine Gummianzüge. Trotzdem werden­ hier jedes Jahr Surfer getötet. Nordkalifornien ist die Heimat­ dieser Tiere – wir sind die Touristen, die sie stören. Die Haie werden­ nördlich von San Francisco in der Tomales Bay ge­boren. Bevor ich das wusste, bin ich dort gern schwimmen ge­gangen. Wir sagen im Englischen: What you don’t know cannot hurt you.

Am Dirigentenpult sind Sie bekannt für Ihre Höflichkeit. Sind Sie auf dem Surfbrett ein Draufgänger?
Mein Bruder war der raffiniertere Surfer, aber ich hatte tatsächlich nie Angst. Immer, wenn das Meer richtig wild wurde, wollte ich die perfekte Welle reiten. Das war mir jedes Risiko wert. Vor einigen Jahren habe ich am Ocean Beach in San Francisco die schönsten und größten Wellen des Winters gesehen. Einige Surfer sind an den Strand zurück, weil sie Angst hatten. Ich bin also allein raus aufs Meer. Ein großer Fehler: Die Wellen waren ungefähr vier Meter hoch, und die Brandung war so gewaltig, dass mein Board in zwei Teile zerbrach. Ich wollte zurück zum Strand schwimmen, aber ich wurde von der Strömung ins Meer hinausgezogen, die Küste wurde immer kleiner. Viele Touristen kommen so ums Leben, weil sie in der Strömung in Panik geraten.

Wie haben Sie sich gerettet?
Ich wusste, ich darf nicht gegen die Strömung ankämpfen, also bin ich seitlich ausgewichen, Richtung Golden Gate Bridge. Erst nach einer Stunde habe ich das Ufer erreicht, ich war so erschöpft, dass ich auf allen Vieren an den Strand krabbelte und laut nach Luft schnappte. Ein Urlauberpärchen kam vorbei, und der Mann sagte zu seiner Frau: „Siehst du, San Francisco ist voll von Drogenabhängigen …“

Was fasziniert Sie so am Surfen?
Eine Welle ist wie ein Lebewesen. Es gibt einen Moment der Geburt, das Heranwachsen über Tausende Kilometer, die Ent­ladung der Energie in der Brandung und ein langsames Ersterben. Auf der Welle löst sich das Gefühl der Schwerkraft auf. Und manche Wellen tragen Sie bis zu drei Minuten lang, diese Einheit mit der Natur ist unvergleichlich.

Seit dem Jahr 2000 arbeiten Sie kontinuierlich in Deutschland, einem Land mit vergleichsweise wenig Küste. Fiel Ihnen die Trennung vom Meer schwer?
Ich habe mich vorher intensiv gefragt, ob ich das aushalte, so lange an Land eingesperrt zu sein. Aber als ich nach München zog, war ich sofort überwältigt von den Alpen, von der dramatischen Wucht und Energie. Es machte keinen Unterschied mehr: das Meer oder die Berge. Ich sagte zu mir: Das ist für mich wild genug. Außerdem haben meine Frau und ich unser Haus in San Francisco behalten, ich fahre regelmäßig heim zum Surfen.

Sie haben in San Francisco und Los Angeles dirigiert, und auch bei Ihren Stationen in München und Montreal gehörten die Flusssurfer zum Straßenbild. Wie sehr prägt das Surfen heute noch ein Lebensgefühl?
Surfen ist heute vor allem Kommerz. Es geht darum, einen Modetrend zu produzieren und mit dem positiven Image des Surfens Geld zu verdienen. Die Surfergemeinschaft, der ich mich zuge­hörig fühle, ist eine Sub- oder Gegenkultur. Das hat nichts damit zu tun, welches Auto du kaufst oder welche Surfboardmarke. Als Teenager bin ich mit den älteren Surfern aufs Meer hinausgepaddelt. Nur die Wellen, die sie nicht genommen hatten, durfte ich nehmen. Das war eine Art Stammeshierarchie. Ich bin immer noch verrückt genug, in Kalifornien um vier Uhr morgens aufs Brett zu steigen, wenn die Gezeiten die schönsten Brecher formen. Wenn ich im Winter die Flusssurfer am Münchner Eisbach sehe, die trotz Schnee auf ihren Brettern stehen, denke ich: wow, die gleiche Leidenschaft und Hingabe.

Jede Sportart hat ihren eigenen Soundtrack. Basketballer etwa hören meist Hip-Hop. Passt Klassik zum Wellenreiten?
Die größte Welle meines Lebens war fünf Meter hoch, sie ging weit über meine technischen Fähigkeiten hinaus, aber es geschah ein Wunder, und ich konnte sie surfen. In diesem Moment kam es mir vor, als würde ich eine Melodie hören, die alles übertraf, was ich kannte.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 100. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 100

No.100Oktober / November 2013

Die Texte der Autorinnen und Autoren sind aus dem Jahr 2013.

Kent Nagano (Jahrgang 1951) zählt zu den großen Dirigenten unserer Zeit. Der Amerikaner japanischer Herkunft dirigierte bereits mit acht Jahren den Kirchenchor in seiner kalifornischen Heimatstadt. Er studierte Soziologie und Musik in Santa Cruz und San Francisco. Seit 1984 leitete er als musikalischer Direktor verschiedene Opernh user und Orchester, darunter in Boston, Montreal, Berlin und München. 2015 übernimmt er den Posten des Generalmusikdirektors an der Hamburger Staatsoper (und wird somit Chef der noch im Bau befindlichen Elbphilharmonie).

Iris Berben (Jahrgang 1950) war ein aufmüpfiges Mädchen, das ohne Abitur von der Schule flog und den Einstieg in ihr Metier mit Comedyserien wie „Zwei himmlische Töchter“ und „Sketchup“ fand. Das vergisst man leicht bei der „Grande Dame“ des deutschen Film- und Fernsehgesch fts, die als Kommissarin „Rosa Roth“ ebenso brilliert wie in der Thomas- Mann-Verfilmung „Die Buddenbrooks“. Sie erhielt viele Auszeichnungen, unter anderem 2002 den Leo- Baeck-Preis des Zentralrats der Juden für ihren Einsatz gegen Antisemitismus und 2011 den Bayerischen Fernsehpreis für ihr Lebenswerk.

Max Raabe (Jahrgang 1962), in Lünen geboren, ist staatlich geprüfter Opernsänger, doch die Leidenschaft des Baritons gilt den Chansons der 1920er und 1930er Jahre. Die leichten und ironischen Adaptionen der Lieder treffen genau den Nerv des Publikums. Egal wo er mit seinem Palast Orchester auftritt, feiert er große Erfolge, mittlerweile weltweit – insbesondere jedoch in Israel, wo deutschsprachige Juden besonders sein Repertoire an Unterhaltungsmusik jüdischer Komponisten schätzen.

Sky du Mont (Jahrgang 1947) stammt aus der rheinischen Verlegerfamilie Neven DuMont. In den 1930er Jahren flüchteten seine Eltern vor dem Nazi- Regime nach Argentinien. Du Monts Vornamen Cayetano (kurz „Cay“) konnte sein Bruder nicht aussprechen, so wurde er zu „Sky“. Der Schauspieler wirkte in zahlreichen Kinofilmen („Der Schuh des Manitu“) mit und stand in auch Hollywood neben Gregory Peck („The Boys from Brazil“) und Nicole Kidman („Eyes Wide Shut“) vor der Kamera.

Maybrit Illner (Jahrgang 1965) studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete zunächst als Sportjournalistin für das Fernsehen der DDR. Nach der Wende und der Auflösung des Senders ging die Berlinerin zum ZDF, wo sie als Moderatorin des „ZDF-Morgenmagazins“ einem größeren Publikum bekannt wurde und wo sie seit 1999 ihre eigene politische Talkshow moderiert, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde.

Judith Holofernes (Jahrgang 1976), eigentlich Judith Holfelder-Roy, war zehn Jahre Sängerin und Gitarristin der Pop-Band Wir sind Helden, die seit Frühjahr 2012 für unbestimmte Zeit pausiert. Sie lebt mit Mann, Schlagzeuger Pola Roy, und ihren beiden Kindern in Berlin-Kreuzberg und schreibt regelmäßig ihren Blog judithholofernes.com.

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Vita

Kent Nagano (Jahrgang 1951) zählt zu den großen Dirigenten unserer Zeit. Der Amerikaner japanischer Herkunft dirigierte bereits mit acht Jahren den Kirchenchor in seiner kalifornischen Heimatstadt. Er studierte Soziologie und Musik in Santa Cruz und San Francisco. Seit 1984 leitete er als musikalischer Direktor verschiedene Opernh user und Orchester, darunter in Boston, Montreal, Berlin und München. 2015 übernimmt er den Posten des Generalmusikdirektors an der Hamburger Staatsoper (und wird somit Chef der noch im Bau befindlichen Elbphilharmonie).

Iris Berben (Jahrgang 1950) war ein aufmüpfiges Mädchen, das ohne Abitur von der Schule flog und den Einstieg in ihr Metier mit Comedyserien wie „Zwei himmlische Töchter“ und „Sketchup“ fand. Das vergisst man leicht bei der „Grande Dame“ des deutschen Film- und Fernsehgesch fts, die als Kommissarin „Rosa Roth“ ebenso brilliert wie in der Thomas- Mann-Verfilmung „Die Buddenbrooks“. Sie erhielt viele Auszeichnungen, unter anderem 2002 den Leo- Baeck-Preis des Zentralrats der Juden für ihren Einsatz gegen Antisemitismus und 2011 den Bayerischen Fernsehpreis für ihr Lebenswerk.

Max Raabe (Jahrgang 1962), in Lünen geboren, ist staatlich geprüfter Opernsänger, doch die Leidenschaft des Baritons gilt den Chansons der 1920er und 1930er Jahre. Die leichten und ironischen Adaptionen der Lieder treffen genau den Nerv des Publikums. Egal wo er mit seinem Palast Orchester auftritt, feiert er große Erfolge, mittlerweile weltweit – insbesondere jedoch in Israel, wo deutschsprachige Juden besonders sein Repertoire an Unterhaltungsmusik jüdischer Komponisten schätzen.

Sky du Mont (Jahrgang 1947) stammt aus der rheinischen Verlegerfamilie Neven DuMont. In den 1930er Jahren flüchteten seine Eltern vor dem Nazi- Regime nach Argentinien. Du Monts Vornamen Cayetano (kurz „Cay“) konnte sein Bruder nicht aussprechen, so wurde er zu „Sky“. Der Schauspieler wirkte in zahlreichen Kinofilmen („Der Schuh des Manitu“) mit und stand in auch Hollywood neben Gregory Peck („The Boys from Brazil“) und Nicole Kidman („Eyes Wide Shut“) vor der Kamera.

Maybrit Illner (Jahrgang 1965) studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete zunächst als Sportjournalistin für das Fernsehen der DDR. Nach der Wende und der Auflösung des Senders ging die Berlinerin zum ZDF, wo sie als Moderatorin des „ZDF-Morgenmagazins“ einem größeren Publikum bekannt wurde und wo sie seit 1999 ihre eigene politische Talkshow moderiert, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde.

Judith Holofernes (Jahrgang 1976), eigentlich Judith Holfelder-Roy, war zehn Jahre Sängerin und Gitarristin der Pop-Band Wir sind Helden, die seit Frühjahr 2012 für unbestimmte Zeit pausiert. Sie lebt mit Mann, Schlagzeuger Pola Roy, und ihren beiden Kindern in Berlin-Kreuzberg und schreibt regelmäßig ihren Blog judithholofernes.com.

Person Die Texte der Autorinnen und Autoren sind aus dem Jahr 2013.
Vita

Kent Nagano (Jahrgang 1951) zählt zu den großen Dirigenten unserer Zeit. Der Amerikaner japanischer Herkunft dirigierte bereits mit acht Jahren den Kirchenchor in seiner kalifornischen Heimatstadt. Er studierte Soziologie und Musik in Santa Cruz und San Francisco. Seit 1984 leitete er als musikalischer Direktor verschiedene Opernh user und Orchester, darunter in Boston, Montreal, Berlin und München. 2015 übernimmt er den Posten des Generalmusikdirektors an der Hamburger Staatsoper (und wird somit Chef der noch im Bau befindlichen Elbphilharmonie).

Iris Berben (Jahrgang 1950) war ein aufmüpfiges Mädchen, das ohne Abitur von der Schule flog und den Einstieg in ihr Metier mit Comedyserien wie „Zwei himmlische Töchter“ und „Sketchup“ fand. Das vergisst man leicht bei der „Grande Dame“ des deutschen Film- und Fernsehgesch fts, die als Kommissarin „Rosa Roth“ ebenso brilliert wie in der Thomas- Mann-Verfilmung „Die Buddenbrooks“. Sie erhielt viele Auszeichnungen, unter anderem 2002 den Leo- Baeck-Preis des Zentralrats der Juden für ihren Einsatz gegen Antisemitismus und 2011 den Bayerischen Fernsehpreis für ihr Lebenswerk.

Max Raabe (Jahrgang 1962), in Lünen geboren, ist staatlich geprüfter Opernsänger, doch die Leidenschaft des Baritons gilt den Chansons der 1920er und 1930er Jahre. Die leichten und ironischen Adaptionen der Lieder treffen genau den Nerv des Publikums. Egal wo er mit seinem Palast Orchester auftritt, feiert er große Erfolge, mittlerweile weltweit – insbesondere jedoch in Israel, wo deutschsprachige Juden besonders sein Repertoire an Unterhaltungsmusik jüdischer Komponisten schätzen.

Sky du Mont (Jahrgang 1947) stammt aus der rheinischen Verlegerfamilie Neven DuMont. In den 1930er Jahren flüchteten seine Eltern vor dem Nazi- Regime nach Argentinien. Du Monts Vornamen Cayetano (kurz „Cay“) konnte sein Bruder nicht aussprechen, so wurde er zu „Sky“. Der Schauspieler wirkte in zahlreichen Kinofilmen („Der Schuh des Manitu“) mit und stand in auch Hollywood neben Gregory Peck („The Boys from Brazil“) und Nicole Kidman („Eyes Wide Shut“) vor der Kamera.

Maybrit Illner (Jahrgang 1965) studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete zunächst als Sportjournalistin für das Fernsehen der DDR. Nach der Wende und der Auflösung des Senders ging die Berlinerin zum ZDF, wo sie als Moderatorin des „ZDF-Morgenmagazins“ einem größeren Publikum bekannt wurde und wo sie seit 1999 ihre eigene politische Talkshow moderiert, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde.

Judith Holofernes (Jahrgang 1976), eigentlich Judith Holfelder-Roy, war zehn Jahre Sängerin und Gitarristin der Pop-Band Wir sind Helden, die seit Frühjahr 2012 für unbestimmte Zeit pausiert. Sie lebt mit Mann, Schlagzeuger Pola Roy, und ihren beiden Kindern in Berlin-Kreuzberg und schreibt regelmäßig ihren Blog judithholofernes.com.

Person Die Texte der Autorinnen und Autoren sind aus dem Jahr 2013.