Kapitän Wolfgang Jungmann, U-Jagdboot „Najade"

Wer erzählt die besten Geschichten vom Meer? Menschen, die den Ozean erlebt haben.

Wer erzählt die besten Geschichten vom Meer? Menschen, die den Ozean erlebt haben. mare lässt auf dieser Seite pensionierte Kapitäne zu Wort kommen. Sie beschreiben ein Ereignis, das ihnen wie kein anderes in Erinnerung geblieben ist. Kein Seemannsgarn, sondern Botschaften aus der Wirklichkeit der Seefahrt.

Dass wir ein Kreuzfahrtschiff rammen sollten, hätte natürlich keiner an Bord gedacht. Aber etwas war merkwürdig an unserem Einsatz, das merkten wir bald nach dem Auslaufen, Kurs Fehmarnbelt. In der ersten Nacht gab der Kommandant Befehl, eine Puppe über Bord zu werfen, abzudrehen, aber den Dummy im Lichtkegel der Scheinwerfer zu halten. Wir übten das rund zwei Dutzend Mal. Wen sollten wir wirklich bergen?

Unser Boot hieß „Najade“, 65 Mann Besatzung, achtern ein doppeltes 40-Millimeter-Geschütz, an Bord ein Arsenal aus Torpedos und Wasserbomben, was man eben zur Jagd von U-Booten braucht. Ich war Oberleutnant, ein junger Offizier auf meinem ersten Bordkommando. Auch in der zweiten Nacht fischten wir nach der Puppe. In der Messe kursierten Gerüchte: Sollten wir einen Überläufer retten? Einen Spion? Man muss sich an die Zeit erinnern, 1969, mitten im Kalten Krieg.

Am dritten Tag rief uns der Kommandant in der Offiziersmesse zusammen. „Meine Herren“, sagte er, „wir werden jemanden aufnehmen, der von Bord der ,Völkerfreundschaft‘ springt.“ Sie war das Kreuzfahrtschiff der DDR, eine Art kommunistischer Luxusliner, mit dem verdiente Genossen in den Urlaub schipperten. Wir sollten das Schiff auf der Rückreise von Kuba abfangen.

Die See war ruhig in der Nacht auf Ostersonntag, kaum Wind. Aus dem Funksprechgerät krächzten die Positionsmeldungen georteter DDR-Schiffe und russischer Frachter; gegenseitiges Sichten und Verfolgen war Routine. Die „Völkerfreundschaft“ steuerte auf uns zu. Gegen 23 Uhr liefen wir neben den Kreuzfahrer, auch unser Schwesterschiff „Triton“ war auf Position. Da sahen wir die Taschenlampe in einem Bullauge blinken, etwa 15 Meter über der Wasserlinie. Drei Mal. Wir strahlten das Fenster kurz an. Das Bullauge öffnete sich, und ich konnte durch mein Nachtglas erkennen, wie der Mann versuchte, sich an einer Wäscheleine abzuseilen. Doch die Leine riss!

Er stürzte die Bordwand herunter. Alle Maschinen nun „volle Fahrt voraus“, wir drehten hart steuerbord. Es gab wenig Platz zum Manövrieren, und als die „Völkerfreundschaft“ plötzlich ebenfalls nach steuerbord drehte, wurde es eng – zu eng. Ungefähr zehn Meter vor dem Heck rammten wir mit knapp 22 Knoten die Seite des Kreuzfahrers. Ein gewaltiges Krachen, die „Najade“ legte sich stark zur Seite, alle schrien durcheinander. 30 Sekunden Chaos, dann fragte der Kommandant Schadensmeldungen ab. Unser Bug war verzogen, aber es gab keinen starken Wassereinbruch. Die Maschinen liefen noch. Er gab Befehl, die Scheinwerfer einzuschalten, um nach dem Flüchtling zu suchen. Auf Diskretion mussten wir ja keinen Wert mehr legen. Es dauerte sechs Minuten bis zur erlösenden Meldung: „Herr Kaleu, wir haben den Mann an Bord.“ Der Republikflüchtling war etwa Mitte dreißig, mittelgroß, untersetzt. Seine erste Frage, als man ihn an Bord zog: „Seid ihr aus dem Westen?“ Er bekam erst einmal ein heißes Bad. Die „Najade“ hatte zwar ein Leck, war aber seetüchtig; wir fuhren Richtung Kiel und liefen um kurz nach vier Uhr morgens ein.


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mare No. 55

No. 55April / Mai 2006

Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt

Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.

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Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt
Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt