Kap-Rocker

Putzig, wenn so ein Affe sich am Strand eine Muschel knackt. Aber die Paviane vom Kap können auch eine rechte Plage sein

Mein Mitbewohner ist ein ernst zu nehmender Verhaltensbiologe. Vergleiche zwischen Mensch und Tier lehnt er vehement ab, bei Heuschreckenmetaphern zum Beispiel reagiert er empfindlich. Kürzlich jedoch überraschte er mich. „Das sind einfach Rocker!“, sagte er, nachdem er von einer Forschungsreise im südlichen Afrika zurückgekehrt war. Er sprach dabei nicht von den weißen Farmern, die in hubraumstarken Autos über die Landstraßen röhren, sondern von Pavianen. Und er meinte das durchaus anerkennend. Also schaute ich mir das auch einmal an.

Rocker mag nicht jeder, sie sind ja irgendwie auch out heutzutage. Am Kap jedoch gibt es einen winzigen Fanklub, der gegen die große Masse der Rockerfeinde ankämpft. Dazu muss gesagt werden: Die Paviane wohnten schon am Kap, als Mijnheer van Riebeeck und sein Gefolge noch keinen Fuß an Land gesetzt hatten. Die Paviane lebten einvernehmlich in diesem prachtvollen Landstrich mit Straußen, Schildkröten und Zebras, auch Menschen gab es in der Gegend, die Khoi Khoi und die San. Man teilte sich das Land. Strauße, Schildkröten und Zebras sind keine Rocker, die sind diskret oder scheu. Also so, wie der Mensch findet, dass Tiere sich zu benehmen haben. Diese Paviane nicht. Sie bestehen auf ihrem angestammten Recht, hier zu sein. Sie sind Angeber und vorlaut. Sie treten im Rudel auf und lassen sich von nichts beirren. Darüber hinaus sind sie genusssüchtig.

Die meisten leben strikt vegetarisch. Am Kap allerdings wohnen Paviane, die gerne Muscheln essen. Sie tollen durch die Brandung, greifen eine Muschel, beißen sie auf und schlürfen dann das frische Meeresgetier. Das ist ein unübliches Verhalten in der Affenwelt. Interessanterweise tun das auch nur zwei von sieben Gruppen, die in dem Naturschutzgebiet leben. Paviane, oder Baboons, wie sie hier heißen, sind lernfähig; wenn Mama etwas vormacht, dann kann Baby das auch bald. Und in den beiden Gruppen wurde das Muschelknacken geübt.

Darüber hinaus nehmen sie sich, was der Mensch zu bieten hat. Und das ist allerlei. Eis aus Kinderhänden zu stehlen ist ein Leichtes für sie, gerne greifen sie nach Sandwiches, die Touristen sorglos aus ihren Tüten holen, obwohl eine Schilderflut hier vor einem Picknick warnt. Ein Baboon-Baby zu füttern ist verführerisch, aber dumm. Die Kleinen haben rosa Öhrchen und haarlose Gesichter und eine Mutter in der Nähe, die gut auf sie aufpasst. Ein ausgewachsener Pavianmann wiegt um die 50 Kilogramm, und wenn er seine gelben Zähne zeigt, kann das einen schon das Fürchten lehren. Jeder kennt hier angeblich jemanden, der einen kennt, der gebissen wurde. Die Affen fressen das Essen der Menschen, weil es nährstoffreicher ist. Das bedeutet in erster Linie, dass sie dann weniger Zeit für Nahrungssuche aufwenden müssen. Und sich anderen schönen Dingen widmen können: ein wenig schmusen, lausen, durch die Sträucher hüpfen, den Bauch in die Sonne halten, ein Bad im Meer, ein bisschen Sex hier und da, Freizeitvergnügen halt. Wer könnte es ihnen verübeln?

Die Tiere sind klug. Sie haben gelernt, Flaschen zu öffnen, Rucksäcke sind keine Hindernisse, auch Kühlschranktüren sind zu bewältigen. Das mögen die Bewohner der Dörfer am Kap nicht, der Kampf gegen das wilde Tier ist ausgebrochen. Zurzeit leben 367 Paviane auf der Halbinsel, die kleinste Gruppe besteht aus neun Tieren, die größte hat 120 Mitglieder; die Gruppen tragen Namen wie „Buffles Troop“ oder „Olifantbos Troop“. Aber es werden immer weniger. Leidenschaftlich wird hier gehasst. Der ansonsten überaus reizende Korrespondent einer deutschen Zeitung wollte gar einen Wettbewerb zum Totfahren der Paviane ausschreiben. Der Mann lebt schon lange in Afrika. Aber wahrscheinlich sind die Tiere eh bald alle erschossen, er kann also gelassen abwarten.

Südafrikaner greifen gern einmal zur Waffe, wenn es um Paviane geht. Western Cape ist die einzige Provinz in Südafrika, die Paviane schützt. Was aber Waffenträger von nichts abhält. Und wütende Autofahrer auch nicht. Der Korrespondent scherzte nur – andere geben Gas. So sieht man Paviane, die nur ein Bein haben oder denen eine Hand fehlt, Tiere mit Wunden am ganzen Körper, tote Babys am Straßenrand, durch Gift verendete Tiere im Müll. Am gefährdetsten sind männliche Jungpaviane. Die verlassen nämlich in der Pubertät ihre Truppe und müssen sich einer neuen anschließen, Gene austauschen. So ziehen also diese hormonell berauschten Jungs durch die Hügel, müssen sich mit Truppenchefs arrangieren, sich von ihnen verprügeln lassen, vielleicht weiterziehen, ohne den Schutz der Gruppe. Sie spazieren durch Vorgärten, steigen ein in Häuser, sind hungrig. Kluge Familien am Kap haben ihren Kindern eingeschärft, was dann zu tun ist: sich dezent zurückziehen und warten, bis der Affe die Küche leergeräumt hat. Ihn interessiert nur Essbares. Auf dem Weg dahin nimmt er es allerdings mit der Ordnung nicht genau.

Übers Kap verteilt sind nur eine Handvoll Orte. Paviane ziehen für ihre Plünderungsaktionen weiße Wohngebiete vor. Die meisten Orte auf der Kaphalbinsel sind weiß. Weil es so schön ist am Kap. Und deshalb teuer. Die Leute im Township Ocean View haben kein Problem mit den Pavianen. Arme Menschen haben nicht so viele Essensreste herumliegen, und wenn doch etwas übrigbleibt, dann fressen das die mageren Hunde der armen Leute. Gefüllte Kühlschränke und Mülltonnen der Wohlstandsgesellschaft hingegen sind ein gefundenes Fressen für die Baboons. Und so stürzen sie sich in die Gärten der Reichen. Der Weißen also. Schon kommt es zum bewaffneten Konflikt. Es ist ein Krieg, den das Tier nur verlieren kann.


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mare No. 52

No. 52Oktober / November 2005

Von Zora del Buono und Kat Menschik

Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.

Die Berliner Illustratorin Kat Menschik, geboren 1968, zeichnet für Zeitungen und illustriert Bücher.

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Vita Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.

Die Berliner Illustratorin Kat Menschik, geboren 1968, zeichnet für Zeitungen und illustriert Bücher.
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Vita Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.

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