Kap der Ozeanografen

Tausend Forscher und drei Schiffe: In Woods Hole auf Cape Cod hat das Meer sein eigenes Labor

Wie entstehen eigentlich Ozeane? Bei großen Fragen hilft Vereinfachung, deshalb versucht es Susan Humphris mit einem Schokoriegel. „Das ist also unsere Erdkruste.“ Sie hält die Schokolade in die Kamera. „Gewaltige tektonische Kräfte zerren an dieser Kruste.“ Die Geologin zieht rechts und links, es bilden sich Risse im Schokomantel. Die Kamera zoomt an den Grabenbruch heran. Humphris zieht heftiger an ihrem Mars, bis die Kruste platzt und nur noch honiggelbes Karamell die auseinander driftenden Schokokontinente zusammenhält. „In der Dehnungszone wird die Kruste so dünn, dass sie ganz aufreißen kann.“ Dann quillt aus dem Erdmantel Magma nach und schiebt die Kontinente weiter auseinander. Wie am Rift Valley, wo im Riss zwischen Arabischer und Afrikanischer Platte ein neues Meer entsteht.

„Super!“, findet die Fernsehreporterin, „oder wollen wir es noch mit einem Twix versuchen?“ Kameramann und Soundtechnikerin stöhnen, Susan Humphris reißt tapfer den nächsten Schokoriegel auf. Wie heißt es im Motto der Woods Hole Oceanographic Institution so schön: „Die Gesetze, die unsere Ozeane regieren, verstehen und kommunizieren“. In zwei Minuten Sendezeit soll sie den Fernsehzuschauern Prozesse aus der Erdgeschichte erklären, die in Echtzeit unbegreifbare Jahrmillionen dauern. Der Kameramann setzt sein Stativ um und prüft die neue Einstellung. Glorreiches Neuengland: feiner Sand, wogendes Dünengras, Strandvillen auf Stelzen. Links hinter der Schulter der Geologin das Nobska Lighthouse, rechts funkelt die Sonne auf dem Meer, gerade zieht die Fähre nach Martha’s Vineyard durchs Bild. „Können wir?“

Die TV-Crew hat mit Humphris die ideale Expertin für ihre Sendung gefunden. Die Geologin hat sich auf die mächtigen Gebirgszüge der mittelozeanischen Rücken spezialisiert, ihr Forschungsgegenstand liegt Tausende Meter unter dem Meeresspiegel, wie in einer anderen Welt; es gehört für sie zum täglichen Geschäft, das Unfassbare zu beschreiben. „Wie gerne“, sagt sie gerade ins Mikrofon, „würde ich manchmal einfach den Stöpsel ziehen, um das Wasser ablaufen zu lassen. Das blaue Meer, wunderbar, aber es versperrt uns leider die Sicht.“

Nun wollen nicht alle Ozeanografen gleich bis auf den Grund sehen, manche befassen sich mit der Energie der Wellen oder dem Regime der Gezeiten, sie erklären den Lebenszyklus des Planktons und den Zug der Wale, die Erosion der Küsten und die Entstehung der großen Meeresströme – Ozeanografie ist eine Wissenschaft, die das Meer in seiner Gesamtheit untersucht und durch alle üblichen Disziplinen geht. Aber die Geologin beschreibt mit ihrem Seufzer das Grunddilemma ihrer Wissenschaft: Sie befasst sich mit einem vertrackt schwierigen, weil temperamentvollen Medium. Es hält einfach nicht still und kann selbst die einfachsten Untersuchungen an der Oberfläche zur Tortur machen. Die Meere sind zudem unübersichtlich weit, die Anfahrtswege der Forscher lang. Wenn sie wie Susan Humphris in der Tiefe forschen, bekommen sie es mit Bedingungen zu tun, die nicht weniger lebensfeindlich sind als das Weltall.

Die Kunst der Ozeanografen ist es, trotz dieser Widrigkeiten zu Ergebnissen zu kommen, was in der Regel einen extremen technischen Aufwand bedeutet, den weltweit nur einige wenige Institute leisten können. Susan Humphris stammt aus Surrey in England, sie hat in Godalming Umweltwissenschaft studiert. Als sie ihrem Professor sagte, dass sie sich für die Meeresforschung interessiert und besonders für die Geologie der Tiefsee, war für den die Sache klar. „Dann müssen Sie nach Woods Hole.“

Im Kreis der erlesenen Standorte, die ambitioniert Meeresforschung betreiben, nimmt der malerische Hafen an der Küste von Massachusetts eine Sonderstellung ein. Nur hier hat die See eine ganze Universität für sich, auch wenn sie sich fast bescheiden Ozeanografisches Institut nennt. 1000 Wissenschaftler und Ingenieure, Techniker und Mechaniker – und eine ganze Flotte von Schiffen.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 56. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 56

No. 56Juni / Juli 2006

Von Olaf Kanter und Stefan Kröger

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wissenschaft und Wirtschaft.

Stefan Kröger, geboren 1970, ist Architekt. Auch wenn er den Zeichenstift inzwischen gegen die Kamera eingetauscht hat – der geometrisch-architektonische Ansatz findet sich in seinen Aufnahmen stets wieder.

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Stefan Kröger, geboren 1970, ist Architekt. Auch wenn er den Zeichenstift inzwischen gegen die Kamera eingetauscht hat – der geometrisch-architektonische Ansatz findet sich in seinen Aufnahmen stets wieder.
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