Irish Stew und raus bist du

Ein Pub im Westen Irlands verweigert sich der Tradition. Der Koch kombiniert munter Seeteufel und Vanillesauce

Das „Vaughans’s Anchor“ Inn in Liscannor ist eine typisch irische Hafenkneipe: Ein roter Plüschteppich schluckt die schweren Schritte der ortsansässigen Fischer, die hier seit Generationen ihr Guinness trinken und versuchen, das rote Polster der Couchs nicht zu bekleckern. Andere drängen sich am langen Tresen; allerlei maritime Errungenschaften hängen darüber: Schiffsschrauben, Bullaugen, ein Steuerrad. Es sind nicht Überbleibsel der „Titanic“, auch wenn das Poster des Unglücksdampfers an der Wand das vermuten lässt. Nah am Atlantik ist man hier dennoch: südlich von Galway, in Sichtweite der Cliffs of Moher, der wohl größten europäischen Klippen. Als der Luxusliner sank, gab es den Pub bereits, einschließlich eines Lebensmittelladens. Seit mehr als einem Jahrhundert drückt sich der Torfrauch des Kamins durch den Schlot der Gaststube.

Die Küche gibt es erst seit einem Jahr. Welch ein Gegensatz zum ältlichen Interieur nebenan: eingerichtet nach den neuesten Erfordernissen der Kochkunst, ein Hightech-Wunder aus Stahl und Elektronik. Hier regiert Denis Vaughan, ein gerade 27-jähriger irischer Maître, und es ist mittlerweile seine dritte Küche. „Jedes Mal habe ich den Raum etwas erweitert“, sagt er, „jetzt ist die Küche größer als der Gastraum.“

Es ist ohne Zweifel Denis’ Zuhause, nicht nur, weil das Lokal seinen Eltern gehört. Hier erfindet er neue Speisen, nein, er kreiert sie: extravagante Schöpfungen wie den von Paprikaschoten umhüllten Seebarsch etwa, der tatsächlich in einer Vanillesauce schwimmt. Oder die ebenfalls eigenwillige Verbindung eines Seebarschs mit warmem Salat und Ziegenkäse. „Der Seebarsch ist aber nicht mein Lieblingsfisch“, sagt Denis Vaughan, „das ist der Hai.“ Er weist auf ein Foto an der Wand: Ein alter Mann mit Mütze und kapitalem Hai ist darauf. „Das ist Digger mit seinem Fang. Er ist 84, der Älteste der Fischer.“ Verarbeiten würde Denis einen Hai aber niemals. Mit Wehmut erinnert er sich an seine Kindheit, als es im Meer vor den Tieren nur so gewimmelt habe. Jetzt, sagt Denis, haben die Japaner alles rausgeholt.

Die einheimischen Fischer, immer noch auch der alte Digger, liefern täglich, was Denis dann zu seinen ausgezeichneten Gerichten verwandelt – Makrelen, Kabeljau, Muscheln, Lachs, Krebse. Ausgezeichnet übrigens im Wortsinn: Zwei Mal hintereinander erhielt Denis Vaughan, der nie eine Kochschule absolvierte, der sich laut eigener Aussage „experimentell“ alles selbst beibrachte, den Preis der Irischen Behörde für Meeresfischerei. Dabei steht auf seiner Karte nicht einmal das Hauptgericht aller Iren: Irish Stew. Ein Denis Vaughan serviert keinen Eintopf – er schafft Werke.

Eine andere Würdigung erlebt er täglich, vor allem im Sommer. Dann wartet vor der Tür des Lokals eine ziemliche Menge, bis einer der Plätze im Inneren frei wird. Dort kellnern die Eltern des Kochs, während  Denis gerade eine Gehilfin zur Seite steht. Auch Prominente fanden bereits den Weg in „Vaughan’s Anchor Inn“. „Der Golfer Christy O’Connor war schon hier“, erzählt der Küchenchef, „die Schriftstellerin Maeve Binchy und die Boygroup Westlife.“ Anstellen mussten sie sich trotzdem.

Die Glücklichen sitzen dann an einem der ungewöhnlich niedrigen Tische, beäugt von den Stammgästen, die sich zumeist am Bier festhalten. Denis: „Das sind die Älteren, die Fischer vor allem. Höchstens am Freitag essen sie etwas – und dann meistens Fisch.“ Ihnen scheint es weniger um die Gerichte als um die gute alte Zeit zu gehen. Jene Tage, als der Pub noch keine Speisen servierte, dafür aber Lebensmittel verkaufte. Damals saßen die Männer am Tresen, während die Frauen den Einkauf erledigten. Eben darum hat das Restaurant weiterhin Cornflakes oder Maiskolben und Bohnen in Dosen im Angebot. Aus rein nostalgischen Gründen, wie Denis sagt.


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mare No. 38

No. 38Juni / Juli 2003

Eine Kombüse von Ralf Sotscheck und Derek Speirs

Ralf Sotscheck, 1954 in Berlin geboren, studierte Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität Berlin. Er ist langjähriger Korrespondent der tageszeitung für Großbritannien und Irland. Seit 1985 lebt er in der irischen Hauptstadt Dublin und hat mehrere Bücher über Irland verfasst, u. a. die erfolgreiche Ausgabe Gebrauchsanweisung Irland.

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Vita Ralf Sotscheck, 1954 in Berlin geboren, studierte Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität Berlin. Er ist langjähriger Korrespondent der tageszeitung für Großbritannien und Irland. Seit 1985 lebt er in der irischen Hauptstadt Dublin und hat mehrere Bücher über Irland verfasst, u. a. die erfolgreiche Ausgabe Gebrauchsanweisung Irland.
Person Eine Kombüse von Ralf Sotscheck und Derek Speirs
Vita Ralf Sotscheck, 1954 in Berlin geboren, studierte Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität Berlin. Er ist langjähriger Korrespondent der tageszeitung für Großbritannien und Irland. Seit 1985 lebt er in der irischen Hauptstadt Dublin und hat mehrere Bücher über Irland verfasst, u. a. die erfolgreiche Ausgabe Gebrauchsanweisung Irland.
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