Im Bauch des Punjab

Tief in den Bergen der Salt Range im Norden Pakistans, zu Füßen des Daches der Welt, fördern Bergleute seit Jahrhunderten das begehrte rosa Salz des Himalajas zutage. Die Arbeit ist gefährlich und unterscheidet sich kaum von früheren Zeiten

Die unterirdische Salzkammer liegt im Dunkel, nur direkt am Abbaustoß sorgt eine Gaslampe für Licht. Die Bergleute, es sind fünf oder sechs, werfen lange Schatten auf die Stollenwände, als seien sie Riesen. Ihre Stimmen hallen von der Kammerdecke wider, die in verschiedenen Farben schimmert. Das verzweigte Labyrinth, das sich gut zweieinhalb Kilometer weit in den Berg Khewra frisst, könnte als Kulisse eines Indiana-Jones-Filmes dienen.


Die Männer tragen die typisch pakistanische Kluft, salwar sameez, eine weite, graue Baumwollhose und ein langes Hemd, das fast bis zu den Knien reicht. Sie bereiten eine Sprengung vor. Mit einfachen Bohrmaschinen bohren sie 60 Zentimeter tiefe Löcher ins rosarote Gestein. Es geht nur Zentimeter für Zentimeter hinein, das Salzgestein ist hart. Doch für Presslufthämmer hat hier niemand Geld.

Der Sprengmeister rollt eine Zeitungsseite eng zusammen, schnürt die fünf Zentimeter dicke Rolle an einem Ende zu und füllt sie mit Schießpulver, das er in einem Plastikbeutel aufbewahrt. Dann steckt er eine Zündschnur hinein, die etwa zwei Meter lang ist. Fertig. Für jede Sprengung braucht er drei, manchmal vier solcher Schießpulverstangen, die er in verschiedene Bohrlöcher hinabsenkt.

„Alle Mann in Deckung“, ruft Taqueer Hussain und zündet die Lunten an. Im Licht der Taschenlampen suchen die Bergarbeiter Schutz hinter einer Stollenbiegung. Hussain ist erst 21 Jahre alt, doch er weiß, was zu tun ist. „Die Zündschnur brennt etwa drei Minuten“, sagt er. „Das reicht locker, um sich in Sicherheit zu bringen.“ Kurz danach erschüttert ein dumpfer Knall die Erde, dann gehen fast im Sekundentakt die anderen Sprengladungen hoch.

Die Explosionswellen sind hinter der Biegung immer noch zu spüren. Ein beißender Salpetergestank reizt die Geruchsnerven. Die Arbeiter halten Schals vor ihre Gesichter, denn die Explosion hat feinsten Staub in die Luft geschleudert, der sofort in den Augen brennt und sich nur langsam niederlegt.

Der junge Sprengmeister hat gut gearbeitet. Dutzende Gesteinsbrocken türmen sich vor dem Abbaustoß. Von Weitem sehen sie wie Marmor aus; sie sind rosa, rot und weiß. Doch während Marmor undurchsichtig ist, lässt dieses Gestein das Licht der Taschenlampen durch. „Das ist unser berühmtes Himalajasalz“, sagt Chefingenieur Malik Naeem. „Auf der ganzen Welt gibt es kein schöneres Salz.“ Geografisch stimmt der Name nicht ganz, die ersten Ausläufer des Himalaja sind gut 250 Kilometer von der Mine entfernt. Doch der Marketingeffekt könnte nicht besser sein – jeder kennt die schneebedeckten Gipfel des höchsten Gebirges der Welt.

Rund 6000 Tonnen Himalajasalz werden jeden Monat aus Pakistan in alle Welt verschifft. In Deutschland ist das rosa Salz beliebt, vor allem unter Gastronomen und Hobbyköchen, die es wegen seiner schönen Farbe und seines Geschmacks schätzen. Seine Kristalle zählen zu den ältesten und reinsten Salzen der Welt. Es wird auch in Esoterikläden verkauft und dort manchmal als Mittel gegen Zivilisationskrankheiten gepriesen, wegen seiner Mineralien, allen voran der Eisenionen, die für die rötliche Farbe verantwortlich sind. Wissenschaftler zweifeln an der Heilwirkung, seriöse klinische Untersuchungen gibt es nicht. Dennoch verkauft sich das Salz gut, auch wenn es bis zu zehnmal so teuer ist wie andere Steinsalzsorten.

Das Salzbergwerk von Khewra liegt in den östlichen Ausläufern des Salzgebirges, der Salt Range, das die pakistanische Provinz Punjab in einem 250 Kilometer langen Bogen von Ost nach West durchschneidet. Im frühen Kambrium, vor etwa 500 Millionen Jahren, war das Land vom Meer bedeckt, das nach und nach austrocknete und eine dicke Salzschicht hinterließ. Nach einer Legende entdeckten die Truppen Alexanders des Großen im Jahr 326 v. Chr. das Salz, als sie am Fluss Jhelam ihr Lager aufschlugen.

Doch erst die Briten bauten moderne Bergwerke auf und begannen das Salz unter Tage in großem Maßstab zu fördern. Das Salzbergwerk in Khewra wurde 1872 eröffnet und ist mit 17 Förderebenen bis heute die größte Einzelmine des Landes. Rund 700 Bergleute bauen täglich im Durchschnitt 1500 Tonnen Salz ab, im Jahr 2016 insgesamt rund 500 000 Tonnen.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 122. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 122

No. 122Juni / Juli 2017

Von Andrzej Rybak und Luke Duggleby

Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, hat schon viele Bergwerke unter Tage besucht, wo Kohle (Russland), Gold (Brasilien und Ghana), Silber (Bolivien) und Smaragde (Kolumbien) gefördert werden. Fast am meisten beeindruckt haben ihn jedoch die Salzminen in Pakistan – wegen des einzigartigen Farbenspiels des Gesteins.

Luke Duggleby, geboren 1977, britischer Fotograf in Bangkok, reiste zusammen mit dem baskischen Architekten Mikel Landa jahrelang an ferne Küsten, in entlegene Täler und auf einsame Hochgebirgsebenen, um alte Salzminen zu fotografieren. Aus den beeindruckenden Fotografien entstand der mare-Bildband „Salz der Erde“, erschienen 2015.

Mehr Informationen
Vita Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, hat schon viele Bergwerke unter Tage besucht, wo Kohle (Russland), Gold (Brasilien und Ghana), Silber (Bolivien) und Smaragde (Kolumbien) gefördert werden. Fast am meisten beeindruckt haben ihn jedoch die Salzminen in Pakistan – wegen des einzigartigen Farbenspiels des Gesteins.

Luke Duggleby, geboren 1977, britischer Fotograf in Bangkok, reiste zusammen mit dem baskischen Architekten Mikel Landa jahrelang an ferne Küsten, in entlegene Täler und auf einsame Hochgebirgsebenen, um alte Salzminen zu fotografieren. Aus den beeindruckenden Fotografien entstand der mare-Bildband „Salz der Erde“, erschienen 2015.
Person Von Andrzej Rybak und Luke Duggleby
Vita Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, hat schon viele Bergwerke unter Tage besucht, wo Kohle (Russland), Gold (Brasilien und Ghana), Silber (Bolivien) und Smaragde (Kolumbien) gefördert werden. Fast am meisten beeindruckt haben ihn jedoch die Salzminen in Pakistan – wegen des einzigartigen Farbenspiels des Gesteins.

Luke Duggleby, geboren 1977, britischer Fotograf in Bangkok, reiste zusammen mit dem baskischen Architekten Mikel Landa jahrelang an ferne Küsten, in entlegene Täler und auf einsame Hochgebirgsebenen, um alte Salzminen zu fotografieren. Aus den beeindruckenden Fotografien entstand der mare-Bildband „Salz der Erde“, erschienen 2015.
Person Von Andrzej Rybak und Luke Duggleby