„Ich wollte nirgendwo leben als hier“

Daphne du Maurier, Autorin von Weltbestsellern, verbrachte den größten Teil ihres Lebens in Cornwall. Ihre einzigartige Liebe zu Land und Leuten hinterließ Spuren in ihren größten Romanen

Im Sommer 1989, keine drei Monate nach ihrem Tod, war das Haus der Schriftstellerin Daphne du Maurier noch unangetastet, so unversehrt, als hätte sie es erst am Tag zuvor verlassen. Der Rasen, der Kilmarth zur Meerseite hin säumte, war frisch gemäht. Auf der Terrasse vor einem der Seitenflügel stand ein aufgespannter Sonnenschirm. Vereinzelte Möwen über dem auf Fundamenten aus dem 14. Jahrhundert errichteten Haus, Erinnerungen an du Mauriers berühmte Erzählung „Die Vögel“. Eine Meerbrise streifte das Gehölz, das das Haus vor fremden Blicken schützte. Aus einem der geöffneten Fenster drang das helle Bellen eines Hundes. Als du Mauriers langjährige Haushälterin und Sekretärin Esther Rowe die Tür öffnete, lief Ken, der Yorkshire Terrier der Schriftstellerin, an ihr vorbei und blickte den Besucher schwanzwedelnd an.

Kilmarth, im Süden Cornwalls, auf den Klippen über der Bucht von St Austell gelegen, war Daphne du Mauriers Alterssitz [dieser und alle weiteren Orte auf der Karte  Seite 53]. Als die 1907 in London geborene Schriftstellerin im September 1926 zum ersten Mal nach Cornwall kam, um mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern nach einem Feriendomizil Ausschau zu halten, erlag sie dem Zauber eines anderen Hauses. „In der Luft schwebte ein Geruch von Teer und Tauen und verrosteten Ketten, ein Geruch von Flut“, so du Maurier später über ihren ersten Aufenthalt in Bodinnick, dem wenige Meilen westlich von Kilmarth ge- ­legenen Fischerdorf an der Mündung des Fowey, wo am Fähranleger ein chaletartiges, bei den Dorfbewohnern als „Schweizerhaus“ bekanntes Haus zum Verkauf stand.

„Ich ging und stand unterhalb des Chalets, das Wasser just unter mir, und schaute nach dem Hafeneingang“, so du Maurier, die 1926 bereits Gedichte und dunkle, eher  von Maupassant und dem Zwielicht der Großstadt als von R. L. Stevenson oder den Romanen der Schwestern Brontë inspirierte Kurzgeschichten schrieb. „Überall waren kleine Schiffe und Yachten vor Anker, doch aufregender war ein großes Schiff, das näherglitt, von zwei Schleppern gezogen, um wenige Kabellängen vom Haus entfernt vor Anker zu gehen.“

In Bodinnick, in dem einst als Bootswerft genutzten und von der Familie schließlich in Ferryside umbenannten Haus wurde du Maurier zur Schriftstellerin. Hier entkam sie den Zerstreuungen und Verlockungen der Londoner Boheme, in der sie aufgewachsen war, dem eifersüchtigen Auge ihres Vaters, des gefeierten Schauspielers und Theaterleiters Sir Gerald du Maurier, der Ferryside dank des phänomenalen Erfolgs des von ihm inszenierten Thrillers „Der Hexer“ seines Freundes Edgar Wallace kaufen konnte. In Cornwall fand sie die erregende Abgeschiedenheit und die Freiheit, die sie brauchte, um ihr Talent zu entfalten – die Landschaft, Geschichte und Legenden, an denen sich ihre Vorstellungskraft entfesseln konnte. Den Mythos eines Landes, in den sie sich mit ihren zu Klassikern avancierten Romanen „Gasthaus Jamaica“ und „Rebecca“, mit „Des Königs General“ und ihrem in Kilmarth spielenden Spätwerk „Ein Tropfen Zeit“ schließlich selbst eingeschrieben hat.

Während sie in London eine Affäre mit dem jungen, später als Regisseur von „Der dritte Mann“ zu Weltruhm gekommenen Carol Reed hatte, wurde du Mauriers Liebe zu Cornwall, wo sie während der Renovierung von Ferryside Wochen allein verbracht hatte, immer tiefer. Sie hatte segeln gelernt; ein Foto aus dieser Zeit zeigt die in der Londoner Gesellschaft zwischen Ascot und Wimbledon, zwischen Theaterpremieren und Probeaufnahmen in Filmstudios herumflirrende Debütantin in derben Hosen und langen Gummistiefeln unter einem Südwester – in den Händen eine Angel, hinter ihr der Meeraal, den sie und ihr Bootsführer Adams, der du Maurier im Leben an der See unterrichtete, gefangen hatten. Adams erzählte ihr schließlich auch die Familiengeschichte seiner Frau, von dem nach seiner Großmutter benannten Schoner „Jane ­Slade“, der in einem stillen Nebenfluss des Fowey darauf wartete, abgewrackt zu werden. „Ich bin auf den Stoff für einen ganzen Roman gestoßen, obwohl ich natürlich viel aus eigener Fantasie beitragen müsste“, notierte du Maurier in ihrem Tagebuch, nach­dem sie einen weiteren Enkel Jane Slades kennengelernt hatte, in dessen Werft sie sich einen knapp zehn Meter langen, als Yawl getakelten Logger bauen ließ.

„Werde ich je die Energie aufbringen, mich an ein so großes Thema zu wagen? Janes Sohn, dem Kapitän des Schiffes, käme eine tragende Rolle zu, und überhaupt wäre die starke Bindung zwischen Mutter und Sohn der rote Faden. Ernie Slade hat mir die Familienbibel gezeigt, aus der ich von ihren Notizen abschrieb“, so du Maurier im Tagebuch. „Jane hat darin eigenhändig die Geburten aller ihrer Kinder verzeichnet.“ Als sie im Herbst 1929 in Ferryside mit der Arbeit am „Geist von Plyn“ begann, regnete es in Strömen, und ein Südwestwind heulte um das bereits winterfest gemachte Haus. Der unbarmherzige Wind, der die junge Mary Yellan zu Beginn von „Gasthaus Jamaica“ auf der Kutschfahrt zum inmitten des Bodmin-Moores gelegenen Gasthofs ihres sinistren Onkels begleitet; der den Helford River hinaufblasende Ostwind, mit dem „Die Bucht des Franzosen“ anhebt; „die ersten frostigen Herbstwinde“, die in „Des Königs General“ das Ende des Sommers ankündigen und in der alternden Icherzählerin die Erinnerungen an ihre tragische Liebe zu einem im Bürgerkrieg an den Feind verratenen Heerführer Charles I. heraufbeschwören.


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mare No. 117

No. 117August / September 2016

Von Thomas David

Thomas David, Jahrgang 1967, ist seit seiner ersten Reise immer gern nach Cornwall zurückgekehrt. 1994 hat er an der deutschen Ausgabe von Margaret Forsters Du-Maurier-Biografie mitgearbeitet. Seine letzten Buchveröffentlichungen sind Philip Roth und Nahaufnahme Luk Perceval.

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Vita Thomas David, Jahrgang 1967, ist seit seiner ersten Reise immer gern nach Cornwall zurückgekehrt. 1994 hat er an der deutschen Ausgabe von Margaret Forsters Du-Maurier-Biografie mitgearbeitet. Seine letzten Buchveröffentlichungen sind Philip Roth und Nahaufnahme Luk Perceval.
Person Von Thomas David
Vita Thomas David, Jahrgang 1967, ist seit seiner ersten Reise immer gern nach Cornwall zurückgekehrt. 1994 hat er an der deutschen Ausgabe von Margaret Forsters Du-Maurier-Biografie mitgearbeitet. Seine letzten Buchveröffentlichungen sind Philip Roth und Nahaufnahme Luk Perceval.
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