Ich bin mein eigener Held

Warum sucht der Mensch Schätze? Er arbeitet an einem uralten Stoff: kraft der Sehnsucht Widerstände überwinden

Nehmen wir an, auf irgendeine Weise käme ich in den Besitz eines dieser geheimnisvollen Dokumente, von denen in Schatzsuchergeschichten immer die Rede ist, „ein halb verbranntes Papier“ zum Beispiel, „auf das gotische Charaktere mit einer seltsamen Tinte gezeichnet sind“, wie es Edmond Dantès in Dumas’ „Graf von Monte Christo“ vom sterbenden Abbé Faria erhält – es führt ihn nach seiner Flucht aus den Kerkern des Kastells If zu einem riesigen Schatz.

Oder ich fände irgendwo eine alte Karte, auf der eine Insel verzeichnet ist unter Angabe von Längen- und Breitengraden, Buchten und Einfahrten – und daneben stünde der Satz: „Das Barrensilber ist im nördlichen Versteck, man findet es in Richtung des östlichen Hügels, zehn Faden südlich von der schwarzen Klippe, das Gesicht ihr zugewandt.“ Eine Karte also wie die, mit der Stevensons „Schatzinsel“ beginnt.

Oder ich träfe meinetwegen in irgendeinem Hafen einen alten Skipper mit wässrigen Augen, dessen schwielige Hand ein Bierglas hielte. Und der sagte: „Da ist dieser Treibsand. Es ist verdammt riskant. Aber es könnte gehen. Und ich weiß genau, dass es da ist. Ich weiß es genau.“ Nur mal angenommen.

Würde ich mich auf den Weg machen, den Schatz zu suchen? Wahrscheinlich nicht. Irgendetwas würde mich zurückhalten. Meine Vernunft. Meine Verpflichtungen. Meine Familie. Meine Angst. Irgendetwas. Vielleicht auch das Wissen, dass ich im Leben anderes suche, keine Schätze, jedenfalls nicht solche, die auf Inseln vergraben sind oder unter Korallenschichten im tiefen Meer liegen.

Man sucht, was einem fehlt, nicht wahr? Aber was fehlt eigentlich denen, die sich wirklich auf die Suche machen nach gesunkenen Galeonen? Ist es wirklich nur Gold und Geld?

Im Internet findet man Ratgeber für Hobbyschatzsucher, in denen das Thema auf der Ebene von Dackelzucht oder Schrebergärtnerei abgehandelt wird, mit gleichem Ernst und tiefer Hingabe und in der Sprache der Vereinsmeier: „Lassen Sie die Miesmacher reden“, schreibt Reinhold Ostler im „Neuen Handbuch für Schatzsucher“. „Sollen sie ruhig über ihren Briefmarkensammlungen und Modelleisenbahnen verdorren. Verfolgen Sie nur unbeirrt Ihr Ziel – der Erfolg, der sich garantiert einmal einstellt, wird Ihnen Recht geben.“ Und in Janusz Piekalkiewicz’ „Schatzsucher haben noch Chancen“ lesen wir: „Bei welcher Freizeitbeschäftigung gibt es noch so harmonische Trimm-dich-fit-Laufstrecken für Körper und Geist? Wo ergänzen sich Wandern, Campen, Tauchen, Segeln und Fliegen oder Fotografieren so vollkommen mit der Geographie und Technik wie bei der Schatzsuche?“

Träumen Schatzsucher von endlosem Reichtum? Vom Leben in Sorglosigkeit und Verschwendung? Nein, irgendwie ist da immerzu die Rede von Männern (es sind praktisch nur Männer!), die eine Art Schönheit des Suchens zu empfinden scheinen und die selbst dann, wenn sie einen Schatz gefunden haben, schon wieder beginnen, den nächsten zu suchen. „Mancher Schatzsucher glaubt an seinen Schatz wie der Buddhist an Seelenwanderung. Der Schatz, das ist ein Dogma“, schreibt Rolf Lasa in „Piraten, Träumer, Schätze“, und was diesem Autor gelegentlich als „scheuklappenbehafteter Fanatismus, Unbelehrbarkeit und Verbohrtheit bei der Schatzsuche“ erscheint, das nennen andere eine kaum noch nachzuvollziehende Hartnäckigkeit.

In praktisch jedem Schatzsucherbuch gibt es Stellen wie diese: „Wir waren erschöpft, ernüchtert, entmutigt und verzweifelt. Parker war völlig gebrochen. Unsere Frauen, die anfänglich so geduldig und voller Hoffnung gewesen waren, sprachen kaum mit uns, und unsere Freunde schüttelten bloß die Köpfe“, schreibt Kip Wagner in „Millionen auf dem Meeresgrund“. Jahre später entdeckte dieser Wagner mit seinen Kompagnons vor der Küste Floridas einen der größten je gefundenen Schätze, einen „Teppich aus Gold“ auf dem Meeresboden.

Mehr als zehn Jahre lang hatten Wagner und seine Partner nach diesem Schatz gesucht, fünf Jahre lang suchte Tommy Thompson nach dem Wrack der „Central America“, die 1857 im Atlantik gesunken war, voll mit Gold und Silber. „Es würde ein langer Kampf werden, die Chancen standen nicht gut. Aber wenn es doch gelang, winkte ein hoher Lohn: Man konnte seinen Einsatz hundertfach herausholen, einen Gewinn von 10000 Prozent“, schreibt Gary Kinder über den Beginn der Suche in seinem Bestseller „Das Goldschiff“.

Das klingt nicht anders als das, was der Psychoanalytiker C. G. Jung über die Helden der klassischen Mythen geschrieben hat: Der Held zeichne sich dadurch aus, dass „er in jeglicher Schwierigkeit des Lebens den Widerstand gegen das verbotene Ziel sieht und diesen Widerstand mit der ganzen Sehnsucht bekämpft, die nach der schwer oder unerreichbaren Kostbarkeit strebt; eine Sehnsucht, welche den gewöhnlichen Menschen lähmt und tötet“.


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mare No. 36

No. 36Februar / März 2003

Ein Essay von Axel Hacke

Axel Hacke, Jahrgang 1956, lebt in München und ist Schriftsteller, Journalist und Kolumnist für das Magazin der Süddeutschen Zeitung und den Berliner Tagesspiegel. Als Achtjähriger hat er einmal einen Schatz – Muscheln, Milchzähne, Geldstücke und ein Siku-Auto – im Garten seiner Großeltern vergraben und nie wieder gefunden.

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Vita Axel Hacke, Jahrgang 1956, lebt in München und ist Schriftsteller, Journalist und Kolumnist für das Magazin der Süddeutschen Zeitung und den Berliner Tagesspiegel. Als Achtjähriger hat er einmal einen Schatz – Muscheln, Milchzähne, Geldstücke und ein Siku-Auto – im Garten seiner Großeltern vergraben und nie wieder gefunden.
Person Ein Essay von Axel Hacke
Vita Axel Hacke, Jahrgang 1956, lebt in München und ist Schriftsteller, Journalist und Kolumnist für das Magazin der Süddeutschen Zeitung und den Berliner Tagesspiegel. Als Achtjähriger hat er einmal einen Schatz – Muscheln, Milchzähne, Geldstücke und ein Siku-Auto – im Garten seiner Großeltern vergraben und nie wieder gefunden.
Person Ein Essay von Axel Hacke