Highway im Nichts

In Grönland denkt man über die erste Landstraße nach, 170 Kilometer vom Küstenort Sisimiut bis Kangerlussuaq, dem internationalen Flughafen der Insel. Ihr Bau spaltet die Inselbewohner

Jesper Schrøder tippt mit dem Zeigefinger auf einen schwarzen Strich, der für ihn Zukunft bedeutet. Schrøder, dunkles Shirt, kurze Hose, ist Geschäftsführer von Arctic Circle Business, einem Interessenverband von Unternehmen im Westen Grönlands, und Befürworter des schwarzen Strichs, der sich an der Wand seines Büros durch eine Landkarte zieht. Der Strich zeigt den geplanten Verlauf der Arctic Circle Road, der ersten Straße zwischen zwei bewohnten Ortschaften in der Geschichte des Landes. „Diese Straße ist eine besondere Chance für unsere Region“, sagt Schrøder. Ein Unrecht an der Natur, nennen es andere. 

Wer in Grönland von einem Ort in den nächsten will, muss fliegen, wandern, Boot fahren oder im Winter die zugeschneite Tundra mit Schneemobilen oder Hundeschlitten überwinden. Die Arctic Circle Road soll das ändern: Die Straße zwischen dem Küstenort Sisimiut, mit 5500 Einwohnern zweitgrößte Stadt Grönlands, und der Siedlung Kangerlussuaq mit dem wichtigsten Flughafen der Insel würde eine 170 Kilometer lange Landverbindung schaffen. Die Strecke an Westgrönlands Küste soll den Tourismus ankurbeln, den Einheimischen mehr Komfort bringen und den Warenverkehr vereinfachen. 

Doch nicht alle sind von dem Straßenbauprojekt begeistert. Wanderer fürchten um die Ursprünglichkeit des parallel ­verlaufenden Arctic Circle Trail, andere glauben, dass wegen der neuen Straße wo­anders das Geld fehlen wird, etwa für die Infrastruktur im Ort selbst. 

„Die Arctic Circle Road wird vieles vereinfachen.“ Schrøder deutet durch sein Bürofenster zum nahen Hafen, wo Schiffe mit Schleppnetzen und kleine Fischerboote vor Anker liegen. Bisher erreicht ein Großteil der Waren Kangerlussuaq über Wasser. Allerdings nur im Sommer. Das letzte Versorgungsschiff legt im September ab und kehrt erst im Frühsommer zurück, wenn im flachen Fjord von Kangerlussuaq keine Eisschollen mehr treiben. In den Wintermonaten müssen frische Waren eingeflogen werden. „Das ist sehr kostspielig, eine Straße könnte da Abhilfe schaffen. Dann könnte man Waren aus Sisimiut auf dem Landweg transportieren“, erklärt Schrøder. 

Und nicht nur das. Entlang der Straße könnten laut Schrøder Hotels, Jagdhütten und Herbergen entstehen. Geplant sei auch eine Stichstraße, die zur Unesco-Welterbestätte Aasivissuit–Nipisat führt, einer Kulturlandschaft mit 4200 Jahre alten Spuren menschlicher Besiedlung. 

Neu sind die Pläne für die Schaffung einer Landverbindung zwischen Kangerlussuaq und Sisimiut nicht. Bereits in den 1960er-Jahren, als Kangerlussuaq dem US-Militär als Luftwaffenstützpunkt diente, schlugen die Amerikaner den Bau einer Straße vor, die dänische Regierung lehnte damals ab. Seither gab es immer wieder erfolglose Gespräche zwischen der Kommune Qeqqata, die den Straßenbau forciert, und der grönländischen Regierung. 

2016 gab die Kommune schließlich eigene Mittel frei und begann mit dem Bau einer sogenannten ATV-Strecke, einer  schmalen Fahrspur für geländegängige Quads entlang des möglichen Verlaufs der Arctic Circle Road. Die Strecke – die Arbeiten daran dauern noch an – soll als Vorstufe dienen, um das Gebiet für den Straßenbau besser erkunden zu können.


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mare No. 158

mare No. 158Juni / Juli 2023

Von Merlin Gröber und Bernhard Poscher

Autor Merlin Gröber, Jahrgang 1991, derzeit wohnhaft in Hobart, Australien, erfuhr vom geplanten Bau der Straße von Fahrer Chris Sørensen, als dieser ihn zum Startpunkt des 170 Kilometer langen Arctic Circle Trail brachte. Der einsame Wanderweg verläuft teilweise parallel zur geplanten Straßentrasse.

Bernhard Poscher, geboren 1992 in Österreich, ist Fotograf und Kommunikationsdesigner, dessen Arbeit Bilder, Videos und grafische Elemente miteinander verbindet. Während er ständig seine Stimme entwickelt, bewegt er sich frei zwischen den Disziplinen. Seine Arbeiten kreisen um Menschen, materielle und virtuelle Orte und deren Beziehungen.

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Vita

Autor Merlin Gröber, Jahrgang 1991, derzeit wohnhaft in Hobart, Australien, erfuhr vom geplanten Bau der Straße von Fahrer Chris Sørensen, als dieser ihn zum Startpunkt des 170 Kilometer langen Arctic Circle Trail brachte. Der einsame Wanderweg verläuft teilweise parallel zur geplanten Straßentrasse.

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Autor Merlin Gröber, Jahrgang 1991, derzeit wohnhaft in Hobart, Australien, erfuhr vom geplanten Bau der Straße von Fahrer Chris Sørensen, als dieser ihn zum Startpunkt des 170 Kilometer langen Arctic Circle Trail brachte. Der einsame Wanderweg verläuft teilweise parallel zur geplanten Straßentrasse.

Bernhard Poscher, geboren 1992 in Österreich, ist Fotograf und Kommunikationsdesigner, dessen Arbeit Bilder, Videos und grafische Elemente miteinander verbindet. Während er ständig seine Stimme entwickelt, bewegt er sich frei zwischen den Disziplinen. Seine Arbeiten kreisen um Menschen, materielle und virtuelle Orte und deren Beziehungen.

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