Hautevolee auf hoher See

Stammt das Wort „posh“ gar nicht aus der elitären Londoner Szene, sondern aus der Seefahrt? Eine etymologische Spurensuche

Seit ich als junger Hüpfer bei der Lokalzeitung in Basel einst über ein Straßenfußballturnier unter dem Motto „Move your ass!“ („Beweg deinen Hintern!“) berichten durfte, weiß ich: Englisch ist unheimlich cool. Wow! Und enorm professionell. Man sagt unter Medienleuten zum Beispiel nicht, dass jemand keine Ahnung habe. Das kompetente „Wording“ lautet, die betreffende Person sei „schlecht gebrieft“. Selbstverständlich verwendet man auch nicht altmodische Begriffe 
wie „vornehm“ oder „schnöselig“, sondern das englische Wort „posh“. Doch welche Geschichte verbirgt sich hinter diesem Terminus, der sich so weltläufig anhört, nach durchtanzten Nächten in aufregenden Großstädten?

Der renommierte Lifestylejournalist und Schriftsteller Philipp Tingler aus Zürich kennt sich mit solchen Fragen aus. Mit „posh people“ bezeichnen die Eng­länder klassischerweise Angehörige der „upper class“, also der Oberschicht, schrieb er 2015 in seinem Blog für den „Tages-Anzeiger“. Zu den typischen Kennzeichen der Spezies zähle, dass „posh people“ das Leben als Sport begreifen würden. Besonders wichtig seien in diesem Milieu Reiten, Tennis und die Jagd. Zudem spielen Rassehunde eine zentrale Rolle, so Tingler. „Posh people lieben ihre Hunde, manchmal mehr als ihre Kinder.“ Stammt der Begriff „posh“ also vielleicht gar nicht aus dem chicen Nachtleben in London oder New York, wie ich immer dachte, sondern aus einem Reiterhof oder Pudelzüchterverein?

Wahrscheinlich sind auch diese Hypothesen falsch. Manche Leute glauben vielmehr, dass das Modewort einst an Elite­universitäten in Großbritannien geprägt worden sei. Sie verweisen auf die „Tales of St. Austin’s“ des britischen Humoristen Sir Pelham Grenville Wodehouse aus dem Jahr 1903. In einer Geschichte aus dieser Sammlung bemerkt eine Figur über eine knallgelbe Herrenweste, dass dieses Kleidungsstück „quite the most push thing of the sort at Cambridge“ sei – „so ziemlich das nobelste Ding dieser Art in Cambridge“. Das Wort „posh“ kommt in dem Zitat also gar nicht vor. In der Taschenbuchausgabe der „Tales“ aber, die Jahrzehnte später erschien, änderte deren Herausgeber Richard Usborne „push“ kurzerhand in „posh“. Er vermutete nämlich, dass es sich bei „push“ um einen Druckfehler gehandelt habe – oder einen Irrtum von P. G. Wodehouse, der selbst nie eine Universität besucht hatte. Weshalb Usborne selbst, 1910 geboren, sich so sicher glaubte, dass „posh“ um die Jahrhundertwende in Cambridge unter den Studierenden gebräuchlich gewesen sei, ist allerdings nicht überliefert.

Überzeugender scheinen Fachleuten denn auch die Hinweise, dass die Wurzel des Begriffs vielmehr in der Personenschifffahrt zu suchen ist. Wahrscheinlich war „posh“ ursprünglich eine Abkürzung, vermuten Historiker, und zwar für „port out, starboard home“ – „Backbord: Hinreise, Steuerbord: Rückreise“. Auf diese Weise seien die begehrtesten Passagier­kabinen auf Dampferreisen mit der Pen­insular & Oriental Steam Navigation Company (P&O) von England nach Indien bezeichnet worden, die von 1842 bis 1970 die wichtigste Schiffsverbindung auf dieser Strecke betrieb.

Der Hintergrund: Die Kabinen auf der Backbordseite bekamen auf dem Weg nach Asien die begehrte Morgensonne ab – und hatten den Rest des Tages über ausreichend Zeit, wieder abzukühlen. Die Kajüten auf der Steuerbordseite dagegen erreichte die Sonne erst am Nachmittag. Dafür blieb es dort noch zur Schlafenszeit unangenehm heiß. Die in den Abendstunden kühleren Kabinen waren daher natürlich begehrter – und den reicheren, vornehmeren Reisenden vorbehalten. Auf der Rückreise nach Europa galt das gleiche Prinzip, nur eben seitenverkehrt.


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mare No. 163

mare No. 163April / Mai 2024

Von Till Hein

Till Hein, geboren 1969, versucht es sportlich zu nehmen, dass selbst in Berlin-Kreuzberg inzwischen alles immer „posher“ wird. Allerdings mag er Kinder lieber als Rassehunde.

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Vita Till Hein, geboren 1969, versucht es sportlich zu nehmen, dass selbst in Berlin-Kreuzberg inzwischen alles immer „posher“ wird. Allerdings mag er Kinder lieber als Rassehunde.
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Vita Till Hein, geboren 1969, versucht es sportlich zu nehmen, dass selbst in Berlin-Kreuzberg inzwischen alles immer „posher“ wird. Allerdings mag er Kinder lieber als Rassehunde.
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