Guten Morgen, liebe Brise

Wer kennt besser den Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit als ein Einhandweltumsegler?

Bin ich, der Alleinsegler, einsam? Eigentlich nicht. Ich bin gern allein. Denn: Wenn es im Leben eine Aufgabe gibt, die ich für lange Zeit ganz allein ausführen kann und zudem mehr liebe als alles andere, so ist es das Segeln übers Meer. Es geschieht in unendlicher Weite, geht langsam voran und dauert dementsprechend. Ich bin allein mit meinem Boot und natürlich dem Log- buch, in das ich die Dinge notieren kann, die unterwegs passieren. Denn Schreiben ordnet die Gedanken und zeigt mir neue Wege, wenn ich in der Bredouille bin. Zum Beispiel, wenn ich in der Einsamkeitsfalle feststecke.

Es gibt nichts Schöneres, als mit einem Segelboot um die Welt zu segeln. Aber das Allerschönste ist dabei das Leben auf dem Meer. Für mich jedenfalls. Zuweilen lädt inmitten des Meeres auch eine kleine Insel zum Landgang ein. Likiep, Coconut Island, St. Vincent. Oder man hat die Urgewalt vor dem Bug: eine Nonstop-Weltumseglung. Ein total sportliches Abenteuer, das ich zweimal erlebte. Einmal 271 Tage in den Jahren 1984/85 und einmal 343 Tage von 2000 bis 2001. Nonstop steht für ununterbrochen auf See sein.

Vielleicht verspüre ich aufgrund meiner Geschichte diesen Drang zum Alleinsein. Ich bin im Wald groß geworden, habe eine Einzeldisziplin im Sport ausgeführt (Radrennfahrer), bin allein nach Indien per Rad gefahren und habe später dann zum Alleinsegeln gefunden. „Mach ich allein“ war mein Motto. Lieber wollte ich allein scheitern als in einer Gruppe. Ein Boot und das weite Meer bieten das größtmögliche Alleinsein. Logisch, dass ich mir folglich das Seesegeln als Aufgabe aussuchte.

Alleinsein und Einsamkeit zu unterscheiden sei äußerst wichtig, betont John Cacioppo, der versierte Einsamkeitsforscher. Einsamkeit sei eine tiefe Unzufriedenheit mit den Umständen, die bestehen. Sicher, manchmal ist Segeln trostlos und starr. Oder schlimmer, man ist von mythischen Hügeln aus Nebel und Gischt umgeben. Unsinn: Meine Hügel sind aus festem Wasser gebaut. Vom Boot weg bis zum Horizont. Ein Endpunkt nicht sichtbar. Sie werfen sich gegen den Rumpf. Ein hohles Klatschen entlang der Bordwand sagt mir, dass sie vorhanden sind. Schaumumtoste Wellen zwischen Kap Hoorn und Neuseeland. So im Jahr 2001 auf 47 Grad Süd am 166. Tag auf See. Wo, vom Boot aus betrachtet, alles, was jenseits der Bordkante lag, an Bedeutung zunahm.

Mein Logbuch: Ohrenbetäubende Schläge. Die See hat uns mehr als flachgelegt. Der Mast die Landschaft gepflügt. See sieht konfus aus. Total wild. Meine Kehle ausgetrocknet. Ich schlapp und unsicher. Der vierte Tiefdruckwirbel in kurzer Folge. Esse eine Handvoll Kürbiskerne. Einzeln. Stück für Stück. Lasse mich vom Wind tragen. Die grobe See wird weiß. Aus normalen 8 werden 9 bis 10 Beaufort. Sturm. Kräftig, aber nicht brachial. Der Rumpf vibriert. Ein dreifach gerefftes Groß steht gegen den Wind. Mit Betonung auf „steht“. Ziehen tut hier schon lange kein Segel mehr.

Ich gewöhnte mich daran. Der Großbaum quietschte. Der Mast schrie. Der Rest Segel am Mast knallte. Maßvoll. Mein Boot torkelte. Ich wusste, das Südpolarmeer ist nicht leidfrei zu haben.

Spüle das Geschirr. Koche mir Wasser für einen Becher Kaffee. Köstlich. Atme tief durch und stelle mir vor, das Meer gehöre mir. Kein Mensch weit und breit. Auch im Radio nicht. Bin ich einsam?

Ja, manchmal schon. Mir fehlten nicht einfach nur Menschen, sondern das Gefühl, von jemandem beachtet zu werden. Egal, was und wie ich etwas machte, da war niemand, der mir Beifall spendete. Ich stand am Fenster und ließ meine Fingergelenke knacken. Eine schlechte Angewohnheit, die ich zulasse, wenn ich unsicher und nervös bin. Ich hatte auch Angst. Der Mast hätte runterkommen können, Wasser ins Schiff schwappen oder irgendwas Schreckliches passieren können. Ich wusste, dass mein Boot jederzeit hätte sinken können.

Ich griff zum Satellitentelefon. Baute es auf. Es war noch ein klobiger Antennenkoffer und funktionierte nur, wenn der Kurs stabil blieb. Ich sprach mit meiner Frau. Es begann mit: „Es ist schön, endlich wieder mit dir sprechen zu können“ und endete mit: „Pass bloß auf.“ Das waren keine Gespräche, die die Einsamkeit reduzierten. Eher förderten. Man baute den Apparat wieder zusammen, setzte sich auf den Boden und grübelte. Gott hat mich, ganz klar, nicht als Wochenendsegler konzipiert. Der Gedanke stabilisierte. Immer? Meistens.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 107. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 107

No. 107Dezember 2014 / Januar 2015

Von Wilfried Erdmann

Wilfried Erdmann, 1940 in Pommern geboren, in Mecklenburg aufgewachsen, lebt heute an der Schlei in Schleswig-Holstein. Er ist der erste Deutsche, der allein die Welt umsegelt hat – 1968 mit der Kathena, einer sieben Meter langen Slup aus Holz. Seitdem lebt Erdmann für das Segeln, damit und davon. Zuletzt erschienen seine Erinnerungen Ich greife den Wind im Delius Klasing Verlag.

Mehr Informationen
Vita Wilfried Erdmann, 1940 in Pommern geboren, in Mecklenburg aufgewachsen, lebt heute an der Schlei in Schleswig-Holstein. Er ist der erste Deutsche, der allein die Welt umsegelt hat – 1968 mit der Kathena, einer sieben Meter langen Slup aus Holz. Seitdem lebt Erdmann für das Segeln, damit und davon. Zuletzt erschienen seine Erinnerungen Ich greife den Wind im Delius Klasing Verlag.
Person Von Wilfried Erdmann
Vita Wilfried Erdmann, 1940 in Pommern geboren, in Mecklenburg aufgewachsen, lebt heute an der Schlei in Schleswig-Holstein. Er ist der erste Deutsche, der allein die Welt umsegelt hat – 1968 mit der Kathena, einer sieben Meter langen Slup aus Holz. Seitdem lebt Erdmann für das Segeln, damit und davon. Zuletzt erschienen seine Erinnerungen Ich greife den Wind im Delius Klasing Verlag.
Person Von Wilfried Erdmann