Gute Mädchen kommen überall hin

Frauen ans Ruder! Alexandra Pohl aus Hamburg widerlegt das Klischee von der Seefahrt als Männerdomäne

Auf eine traditionelle Männerwelt kann man so oder so reagieren. Alexandra Pohl hat über ihre eins-achtzig große Statur einen Schleier der Unscheinbarkeit geworfen. Ihre dunkelblonden Haare fallen glatt bis zu den Ohrläppchen, wo sie sich leicht nach innen drehen. Sie trägt einen blauen Pullover, eine graue Hose und darüber eine gewachste Regenjacke, schwarz mit kariertem Innenfutter. Schwarze Lederschuhe, die an den Knöcheln enden. Die Fünfundzwanzigjährige verbirgt ihre Stärke unter Kleidungsstücken, die die Konturen verdecken, und ihre Intelligenz unter einer freundlichen, bilderreichen, mitunter drastischen Sprache.

Ein Hang zur Technik und der Sinn fürs Utopische brachten sie zur See. Ihre Berater waren dagegen. „Seefahrt lohnt nicht mehr“, war die einhellige Meinung. Trotzdem bewarb sich die Abiturientin 1992 bei Hapag-Lloyd und erhielt einen Ausbildungsplatz als Schiffsmechanikerin. Was sich für eine entschlossene junge Frau lohnt, steht weder im Programm von Berufsberatern noch steckt es später im Geldbeutel. Sie selbst hatte nur eine vage Vorstellung davon, worauf sie sich einließ.

Aus den Ärmeln ihres Pullis gucken schmale Hände hervor mit beweglichen, langen Fingergliedern. Feinmechanikerhände, die nicht so aussehen, als seien sie tauglich für Schiffsmotoren. Alexandra Pohl lacht. „Die Hände müssen nicht kräftig sein. Es kommt auf die Hebelwirkung an.“ Sie ist mit ihrer Furcht vor männlicher Muskelüberlegenheit blendend fertig geworden. Genüsslich beschreibt sie, wie man einen riesigen Zylinderdeckel mit dem Hebekran lüpft und den Kolben runterfährt. Es ist kinderleicht, sagt sie. Apropos Hebel.

Ein technischer Beruf musste es sein. In Bremen-Blumenthal fuhr das Kind gern auf einem Trecker oder bastelte an seinem Fahrrad. Das änderte sich, als sie lesen konnte. Da verschlang sie Bücher. Mit Vorliebe Science-fiction. Anfangs Star Trek und, als sie fünfzehn war, Karl Marx. Bei ihrer Vorliebe für Star Trek ist sie geblieben. „Wäre ich in fünfhundert Jahren geboren, würde ich ein Raumschiff fliegen.“

Die Lehre begann auf einem dreihundert Meter langen und dreißig Meter breiten Containerschiff mit Ziel Ostasien. Alexandra Pohls erste Aufgabe bestand darin, das Schiff von der Elbe aufs Meer zu bringen: „Die Mädchen steuern raus.“ Nach Anweisung des Kapitäns, versteht sich. Dennoch erzählt sie gern, wie sie die „Wanne“ mit einem Ruder bewegt hat, das so groß war wie das Lenkrad eines Rennwagens. Immer wieder stand sie seitdem am Ruder. Hat ein Schiff durch den Suezkanal gesteuert. Neuerdings ist die Fähre Travemünde-Trelleborg hinzugekommen. In den Semesterferien.

Lange Zeit war sie jedoch unter Deck, bei Schulungen in Maschinenbau, Fahrbetrieb, Ladungs- und Sicherheitskunde. Heute bedauert sie, dass sie nicht mit einer Schlosserlehre begonnen hat. Denn die alten Heizer und Maschinenleute sind ihr in Sachen Materialbearbeitung überlegen. Wie soll es erst werden, wenn sie ihnen als Ingenieurin gegenübersteht? Sie wird sich auf ihre bewährte Art verlassen: freundlich, fachlich unangreifbar, deftig und – ist es nötig – aggressiv.

Seefahrerromantik liegt ihr fern, betont die junge Frau. Landgänge waren stets nach Stunden bemessen. So blieb für die Einnahme von Exotik nur eine kurze, intensive Zeitspanne. Wann immer sie konnte, ist sie allein unterwegs gewesen, hat in den Straßenküchen Singapurs gegessen, hat in Korea Turnschuhe gekauft, in Japan Freundschaften geschlossen. Der Wunsch, an Land allein zu sein, entstand auf den Schiffen. Selbst auf riesigen Containerfrachtern mit einer 28köpfigen Besatzung kann es eng werden. Vor allem, wenn die Stimmung schlecht ist. So war es auf der „Tokio Express“, einem alten Dampfturbinenschiff, wo sie zum ersten Mal allein den Brückendienst versah. In Singapur wurde das Schiff ausgeflaggt, die Schiffsmechaniker mussten von Bord und wurden durch billigere Matrosen ersetzt. Nur der Status des Lehrlings rettete Alexandra Pohl damals vor dem Heimflug.


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mare No. 7

No. 7April / Mai 1998

Von Manfred Goldbeck und Stefanie Sudek

Manfred Goldbeck, geboren 1947, veröffentlichte in mare No. 5 das Portrait „Dreißig Kubikmeter Meer“. Er lebt als freier Journalist in Hamburg.

Stefanie Sudek-Mensch lebt und arbeitet als freie Fotografin in Berlin.

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Vita Manfred Goldbeck, geboren 1947, veröffentlichte in mare No. 5 das Portrait „Dreißig Kubikmeter Meer“. Er lebt als freier Journalist in Hamburg.

Stefanie Sudek-Mensch lebt und arbeitet als freie Fotografin in Berlin.
Person Von Manfred Goldbeck und Stefanie Sudek
Vita Manfred Goldbeck, geboren 1947, veröffentlichte in mare No. 5 das Portrait „Dreißig Kubikmeter Meer“. Er lebt als freier Journalist in Hamburg.

Stefanie Sudek-Mensch lebt und arbeitet als freie Fotografin in Berlin.
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