Gottschalk-Locken in Béchamel

Dornhai-Bauchlappen alias Schillerlocke

Bevor sich die Menschen zur korrekteren Artenbezeichnung Hai durchrangen, war der Fisch so verrufen, daß man ihn auch als „Dornhund“ diffamierte – ein Tier auf der Verliererstrecke. Er konnte einem leid tun, niemand wollte und will ihn liebhaben, und so blieb selbst obsessiven Fischessern verborgen, daß Schillerlocken tatsächlich vom Dornhai stammen, nämlich aus den in Streifen geschnittenen Bauchlappen dieser Persona non grata filiert sind.

Gräten findet man bei ihm keine, nur einen kräftigen Längsknorpel. Im Maul sind nicht einmal Zähne drin. Kein Gebiß – das Tier kommt sozusagen auf dem letzten Knorpel daher und hat gar nichts zu bieten außer seinem gefährlichen Ruf. Gerade mal zwei Höcker hat der Dornhai auf dem Rücken und davon seinen Namen. Die Zähne – nicht daß sie ihm ausgefallen wären, nein, er hatte nie welche. Der Kopf eignet sich deshalb kaum, in Versammlungsbaracken der Hobbyangler als waffenstarrende Wandtrophäe mit völkischen Liedern begossen zu werden.

Was macht man mit so einem Nichtsnutz? Da blieb nur noch die Namensänderung, ein marktfähiges Signet zu schaffen. Ein neues Leben mußte her. Lieschen Müller, oder wie sie vorher hieß, hatte auch nur reüssieren können, weil sie, umgerüstet auf Dolly Buster, ihren Namen vor sich herschiebt.

Gesagt, getan. Die küstennahen Räucherfachleute zerlegten die Filets so, daß der Rücken, vom Bauchlappen getrennt, schön und rund aussieht. Pfeffern, salzen und ab in den Buchenholzrauch. Was als Dornhairücken vor sich hinkokelt, kommt als veritabler „geräucherter Seeaal“ in die Fischgeschäfte.

Beim Bauch des Dornhais aber stellte sich das gleiche Problem, das die Schönheitschirurgie mit der „Rolle der Frau“ hat. Wohin damit? Sind Bauchschwarten und sonstige Abschnitte der Wohlstandsbürger unbedenkliches Material oder schon Sondermüll? Könnte man alles in die Fettschmelze kippen? Wenn ja, dann auch die des Dornhais, und die Schwarten wären wie so manche tierische Wampe als sündhaft teure Kosmetika in die Regale der

Parfümerien und ins Instrumentarium der Beauty-Farms gewandert. Doch Dornhai-Moisture-Cream, eine Feuchtigkeits-Fett-Emulsion, so was wollte nicht einmal die Hanseatin Jil Sander ihrer Cabriofahrerinnen-Kundschaft auf die kältebeuligen Backen schmieren.

Da wurde die Schillerlocke neu erfunden. Die Nation hechtete sich mit ihren Butterstullen drauf. Die Welt war in Ordnung, doch alsbald war das Vieh nahezu ausgerottet. Der Fisch bekam den Rest, als die deutsche Industrie die Kinderstuben der Fischbrütlinge mit chemischen Cocktails versorgte. Zwischenzeitlich konnten wir mit Nordseewasser Filme entwickeln. Und deshalb standen die Räucherer auf dem berühmten Schlauch: keine oder nur vergiftete Ware?

Tausende von Jahren war alles glattgelaufen. Die Schillerlocke gab es schon zu Zeiten der Römer, die, wie man seit Obelix weiß, genau informiert waren, daß einmal ein deutscher Großdichter namens Schiller das geistige Dunkel Germaniens erhellen würde. Den gelockten Fischbauch hatten sie aber nicht nach ihm benannt. Erste Rezepte gingen in den Germanenkriegen verloren, wie Apicius, der römische Küchenjournalist, überlieferte.

Auch ohne dieses kulturelle Erbe – die Schillerlocke mußte sein, und der Branche blieb nur das „Nachvornedurch“. Der Dornhai mußte woanders besorgt werden. „Big Brother“ konnte helfen. Die gefrorenen Bauchlappen kommen mittlerweile als Gefrierware aus den USA.

Wie soll man diese Köstlichkeit beschreiben? Das Endprodukt sieht einer Achterbahn für Stubenfliegen ähnlich, also genauso wie die gekringelten Öko-Klebestreifen, die man in ländlichen Gegenden an die Decke hängt, um sie den Mücken als Landebahn ins Jenseits anzubieten, als Todesstreifen quasi. Solche Klebefolie ist fast nirgendwo mehr zu besichtigen.

Man muß sich die Dinger ähnlich vorstellen wie die Klebefolie der andren Art: Thomas Gottschalk. Denn es war die ondulierte blonde Pracht, die dem Bauchlappen des Dornhais vor gar nicht langer Zeit den Namen gab. In Kochbüchern der Jahrhundertwende konnte ich darüber nichts entdecken. Als das Produkt zur Marktreife designt war, kannte die Jury den Thomas Gottschalk noch nicht. Rückwärts geschaut war so schnell keine Persönlichkeit mit einer solchen Haarverstümmelung auszumachen.

Erst als man unglücklicherweise im Marbacher Schillerarchiv auf einen Kupferstich des klassischen Dichters traf, war der Name gefunden. Heute läge der Markenartikel „Gottschalk-Locke“ besser im Rennen, die Räucherfachleute würden alle Ferrari fahren, aber man muß auch an später denken. Ob nämlich der Ruf des zappelpeternden Wetten-daß-Knallis so lange in aller Munde bleiben wird wie der Qualitätsbegriff Schiller – da habe ich meine Zweifel.


Lauwarm, wie es ondulierte Silberlöckchen mögen

Die Schillerlocke schmeckt recht gut. In jedem Fall sollte sie lauwarm gegessen werden, etwa so, wie es ondulierte Silberlöckchen mögen. Pur zum Vesper, vielleicht mit etwas frisch geriebenem Meerrettich, oder aber man bevorzugt meine Kreation, die ich mir extra zu diesem Bericht habe einfallen lassen:

Eine Sauce Béchamel ist schnell bereitet. Feingeschnittene Schalotten und gequetschte Knoblauchzehe in etwas Butter andünsten. Alles sollte hell bleiben, um darüber dann einen vollen Teelöffel Mehl zu stäuben. Das Mehl muß sich in der Butter ganz auflösen und wird mit einem Achtelliter Sahne abgelöscht. Ist die Sauce zu dick, geben wir noch etwas Sahne dazu; ein Spritzer Weißwein kann auch nicht schaden. Mit einigen Thymianblättchen und etwas abgeriebener Zitronenschale wird die Sauce parfümiert. Wer einen Handmixer hat, schlägt damit der Béchamel ordentlich Luft unter. Die Sauce noch mal aufkochen und fingerlange Schillerlockenstücke hineinlegen. Der Fisch muß nun zwanzig Minuten in der Sauce ziehen, die mit etwas Pfeffer und feingeschnittenem Schnittlauch verfeinert wird. Das Salz des Räucherfischs tritt nun in die Sauce über, man kann aber auch etwas nachhelfen. Zu guter Letzt die Sauce nochmals kurz erhitzen, aber nicht aufkochen. – Schillerlocken können ein Gedicht sein, mit etwas Phantasie sicher ebenso wie eines von Friedrich Schiller.

mare No. 14

No. 14Juni / Juli 1999

Von Vincent Klink

Vincent Klink, Jahrgang 1949, ist Chefkoch des Stuttgarter Restaurants „Wielandshöhe“ (1 Michelin-Stern). Zuletzt schrieb er in mare No.9 über Gerichte mit Tintenfischen

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Vita Vincent Klink, Jahrgang 1949, ist Chefkoch des Stuttgarter Restaurants „Wielandshöhe“ (1 Michelin-Stern). Zuletzt schrieb er in mare No.9 über Gerichte mit Tintenfischen
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Vita Vincent Klink, Jahrgang 1949, ist Chefkoch des Stuttgarter Restaurants „Wielandshöhe“ (1 Michelin-Stern). Zuletzt schrieb er in mare No.9 über Gerichte mit Tintenfischen
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