Golo Mann

Er verabscheute das Meer, und doch wurde eine Seereise zur wichtigsten Fahrt seines Lebens

Im Juni 1942 schrieb Golo Mann seinem Freund Manuel Gasser von seinen Nöten und Gefühlen im kalifornischen Exil, versteckt in einer literarischen Anspielung: „Immer wenn in meiner Seele nasser, niesliger November herrscht … – dann ist es höchste Zeit für mich, sobald ich kann, auf See zu kommen.“ So wie dem Erzähler in Herman Melvilles „Moby-Dick“, schrieb Golo Mann, so gehe es ihm gerade auch. „Das ist mein Ersatz für Pistole und Kugel“, heißt es in „Moby-Dick“ weiter. „Mit einer stoischen Sentenz stürzt Cato sich in sein Schwert; ich gehe still an Bord. Daran ist nichts Überraschendes. Von Zeit zu Zeit hegen fast alle Menschen, ob sie’s wissen oder nicht, in etwa dieselben Gefühle für das Weltmeer wie ich.“

Sehnsucht nach dem Meer? Nach Abenteuer auf See, nach Walfang gar? Und das von Golo Mann, dem Familienintellektuellen der Manns, der mit einem Universitätsexamen und einer Doktorarbeit über Hegel im Gepäck 1933 Deutschland hatte verlassen müssen? Ganz ernst war es ihm nicht mit seiner angedeuteten Sehnsucht – zu genau wusste er, dass er weder für Abenteuer noch überhaupt für eine praktische Tätigkeit taugte; als Soldat sollte er bei der Grundausbildung der U.S. Army fast wieder nach Hause geschickt werden, weil er bei Übungen mit der Handgranate fast die eigene Truppe in die Luft gesprengt hatte. Man setzte ihn dann als Übersetzer ein – den gesamten Krieg über sollte Golo Mann keine Waffe mehr in die Hand bekommen.

Nein, die faszinierende Welt der Meere blieb Golo Mann Zeit seines Lebens fremd. 1975 ließ er sich zu einem Vortrag über „Die Deutschen und das Meer“ überreden – eine seiner schwächeren Gelegenheitsarbeiten, ohne wirkliches Interesse für die Sache. Golo Mann sah selbst, dass er in dieser Zeit in die Gefahr geriet, zur „Phrasengießkanne“ und zum „Bratenredner der Nation“ zu werden. „Was wird die nächste Aufgabe sein?“, schrieb er nach dem Meeresvortrag einer Freundin selbstkritisch. „‚Die Europäer und die Kultur‘? ‚Der Mensch und das Tier‘? Ich tue alles …“

Das Engagement seiner Schwester Elisabeth für die Rettung der Ozeane beobachtete er von fern; sie werfe „ihr ganzes Geld ins Meer“, meinte er, halb bewundernd, halb abschätzig. Und über die Meeresliebe des Vaters, der die Kindererlebnisse am Travemünder Strand im Herzen trug, spottete er öffentlich: Thomas Mann habe das Meer geliebt, ja, gewiss, aber doch stets vom sicheren Festland aus.

Golo Mann war ein Freund der Berge. Er liebte das Wandern im Gebirge, baute sich in den 1950er Jahren in Berzona, dem Tessiner Bergdorf, in dem auch Max Frisch und Alfred Andersch lebten, ein Ferienhaus und wäre nie auf die Idee gekommen, einen Urlaub auf Sylt oder Mallorca zu verbringen. Ein wenig Trotz und Widerstand gegen den Vater spiele da wohl mit hinein, mutmaßte einmal ein Wanderfreund. Denn die Leidenschaft für das Wandern und die Berge habe sich der Sohn allein erobert; diese wenigstens müsse er nicht mit dem Vater teilen.

Für Golo verbanden sich mit dem Meer wohl auch die Erinnerungen an unglückliche Zeiten, an Flucht, Exil und Perspektivlosigkeit. Den Sommer 1933 verbrachte er im französischen Sanary, seine erste Exilstation. Im Tagebuch: „Jetzt ist die Familie das Einzige, was mir geblieben ist; das kann nicht gut gehen.“ 1940, nach dem deutschen Angriff auf Frankreich, meldete er sich als Freiwilliger für den Abwehrkampf gegen die Wehrmacht, wurde aber umgehend als „feindlicher Ausländer“ interniert und konnte den heranrückenden deutschen Truppen nur knapp entkommen; auf einem der letzten Schiffe floh er aus Europa. Auch die wilde Schönheit des Pazifiks, in dem er oft badete, wenn er bei den Eltern in ihrem prachtvollen Haus in Pacific Palisades wohnte, ließ ihn die eigene Lage nicht vergessen. Dem Exilanten Golo Mann bot sich lange Zeit keine berufliche Perspektive, und es spülte ihn wieder und wieder deprimiert zurück in das Haus der Eltern.

Es ist weit weniger ein Privileg, der Sohn eines be- rühmten Mannes zu sein, als man sich ausmalt. 1909 wurde Angelus Gottfried Thomas Mann geboren, den alle „Golo“ riefen. In seinen Erinnerungen schrieb er von seinem Aufwachsen in der berühmten Familie, berichtete vom Jähzorn des Vaters, der eher praktischen Intelligenz der Mutter und von den brillanten, bewunderten, ihn in den Schatten stellenden Geschwistern Erika und Klaus. „Was hatten wir doch für eine elende Kindheit“, notierte Golo im Alter von 22.


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mare No. 101

No. 101Dezember 2013 / Januar 2014

Von Tilmann Lahme

Tilmann Lahme, Jahrgang 1974, ist Journalist, Autor und Hochschullehrer und lebt in Göttingen. Seine Golo-Mann-Biografie erschien 2009 bei Fischer. Derzeit schreibt er an einer Familienbiografie der Manns.

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Vita Tilmann Lahme, Jahrgang 1974, ist Journalist, Autor und Hochschullehrer und lebt in Göttingen. Seine Golo-Mann-Biografie erschien 2009 bei Fischer. Derzeit schreibt er an einer Familienbiografie der Manns.
Person Von Tilmann Lahme
Vita Tilmann Lahme, Jahrgang 1974, ist Journalist, Autor und Hochschullehrer und lebt in Göttingen. Seine Golo-Mann-Biografie erschien 2009 bei Fischer. Derzeit schreibt er an einer Familienbiografie der Manns.
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