Gisslers Wahn

Ein Tag nur, und er würde reich sein. Er hatte ja die Schatzkarte. Am Ende war er um 20 Jahre ärmer

Seine Hände gruben sich noch einmal in die Eingeweide der Insel. Die Erde war feucht und wimmelte von Regenwürmern. Dann ließ er jeden der schwarzen Halbmonde einzeln untergehen. Er schabte die dunklen Sicheln aus seinen Fingernägeln und wusste, dass dennoch nichts blieb als Dreck. Dieses Loch war sein unwiderruflich letztes. Manche Löcher können begraben, dieses begrub 20 Jahre unter sich, die noch hätten folgen können. Und es deckte 20 Jahre auf, die er vertan hatte.

Es klaffte jeder einzelne der 7000 Inseltage, die er allein mit einem Spaten in dem Nebelwald gespukt hatte. Ein Nebelwald, der alles Begehren schluckte und nichts als Hohn ausspie. Denn was sonst sind 33 Dublonen und ein goldener Handschuh angesichts der Reichtümer, die die Insel verheißen hatte? Ausgezogen war er 1889 auf die Kokosinsel, 300 Meilen vor Costa Ricas Pazifikküste, gewiss, dass seine Schatzsuche ein Schatzfinden ist. Es galt den Kirchenschatz von Lima zu bergen oder die Reichtümer der „Relampago“, und wenn gar nichts ging, zumindest die 733 Goldbarren des Piraten Davis. Nirgends auf der Welt gab es 24 Quadratkilometer Erde, in der so viel Gold, Juwelen und Geschmeide bestattet lagen wie auf der Kokosinsel. Kreuze wiesen den Weg. Der Mann, der ihm die Karte überlassen hatte, war eine Person seines Vertrauens. Gissler wusste, wo er graben musste.

1880, im selben Jahr, in dem ein gewisser Robert Louis Stevenson in einer kalifornischen Hafenschenke von der Isla del Coco hörte, erfuhr auch August Gissler zum ersten Mal von der Schatzinsel.

Er war ein Mensch von hünenhaftem Wuchs, der sich Zügellosigkeiten verbat und es als Beleidigung seiner Bescheidenheit auffasste, dass die Natur maßlos Ellenlängen an ihm verschwendet hatte. Als junger Mann ließ er seine Statur vom Kinn abwärts zuwuchern. Mit dem Erfolg, dass er allen auffiel als Riese mit riesigem Bart.

Verwandte am Rhein, die eine Papierfabrik besaßen, zogen ihn bei sich auf. Er war kein Junge, den man aus Träumereien aufscheuchen musste; Glück schien ihm etwas, das wächst, wenn man es in Frieden lässt. 1880, als er 20 Jahre alt war, heuerte er in London auf der „Highflyer“ an, um in Honolulu als ehrbarer Ananasstecher ein Auskommen zu haben.

An Bord umschlich ihn der Blatternarbige, wie der portugiesische Auswanderer Manoel Cabral mit richtigem Namen hieß. Einmal drückte er Gissler in eine Ecke und erzählte vom Tagebuch seines Großvaters, davon, wie ein Sturm den Fischer vor 60 Jahren in die Fänge von „Dom Pedro mit dem blutigen Schwert“ trieb, wie er als Spießgeselle wider Willen Handelsschiffe und Galeonen heimsuchte, mordete, plünderte, Schuld auf sich und Gold auf die „Relampago“ lud. Davon, wie die Bark nach jedem Raubzug eine kleine Insel im Pazifik anlief und wie der Pirat, in dessen Mund ein einsamer Zahn dahinsiechte, alles verscharrte. Während Cabral erzählte, schrieb Gissler mit, ebenso beiläufig, wie er auch in seinem Tagebuch vermerkte, wenn ihn Verdauungsschwierigkeiten plagten. Als er geendet hatte, trug der Portugiese ihm einen Pakt an.

Wenn nicht erwiesen wäre, dass Gott ohne fremde Hilfe die Welt erschaffen hätte, man könnte meinen, Luzifer habe Staub in Wasser gemengt und den Teufelsklump just an der Stelle ins Meer fallen lassen, wo sich alle Piraten der sieben Weltmeere eine Heimstatt wünschen würden.

Gelegen an der Wasserstraße spanischer Goldgaleonen, die von Südamerika ins Mutterreich unterwegs waren, fern vom Festland, dazu beinahe unsichtbar; zum einen, weil nur auf wenigen Karten verzeichnet, zum anderen, weil meist von Wolken verschlungen. Es konnte passieren, dass ein Schiff sich auf drei Meilen dem Eiland näherte und es trotzdem verfehlte. Der größte Segen der Kokosinsel aber waren ungezählte Moosspalten, aus denen Wasser gluckste.

Man sagt, der Pirat Edward Davis habe im 17. Jahrhundert als Erster seine Schätze auf die Insel geschafft, nachdem er sie zuvor nur als Trinkwasserstation angesteuert hatte. Davis hielt sich zwei Biografen an Bord, die Engländer William Dampier und Lionel Wafer, die über sein Leben Buch führten. Es ist überliefert, dass er 733 Barren Gold auf der Kokosinsel vergrub. Vorher hatte er seinen Kumpanen Goldmünzen in Krügen zugemessen, ein jeder hastete danach durchs Dickicht, Blicke um sich werfend, und verscharrte seine Beute.


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mare No. 36

No. 36Februar / März 2003

Von Dimitri Ladischensky und Christian Schellewald

Dimitri Ladischensky, Jahrgang ’72, mare-Redakteur für Reisen und Genuss, hat gesteckt bekommen, wo es auf der Insel einen Höhleneingang gibt, der von Menschenhand zugeschüttet worden sein muss. Mehr will er nicht verraten.

Christian Schellewald, geboren 1962, ist Art Director der Trickfilmabteilung von Steven Spielbergs Produktionsfirma Dreamworks in Los Angeles. Er ist sich sicher, dass er seinen Job als Pirat bald losgewesen wäre, weil er sich auf der Kokosinsel an den Strand gesetzt hätte, um der Brandung zuzuhören und Palmen in sein Skizzenbuch zu zeichnen.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang ’72, mare-Redakteur für Reisen und Genuss, hat gesteckt bekommen, wo es auf der Insel einen Höhleneingang gibt, der von Menschenhand zugeschüttet worden sein muss. Mehr will er nicht verraten.

Christian Schellewald, geboren 1962, ist Art Director der Trickfilmabteilung von Steven Spielbergs Produktionsfirma Dreamworks in Los Angeles. Er ist sich sicher, dass er seinen Job als Pirat bald losgewesen wäre, weil er sich auf der Kokosinsel an den Strand gesetzt hätte, um der Brandung zuzuhören und Palmen in sein Skizzenbuch zu zeichnen.
Person Von Dimitri Ladischensky und Christian Schellewald
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang ’72, mare-Redakteur für Reisen und Genuss, hat gesteckt bekommen, wo es auf der Insel einen Höhleneingang gibt, der von Menschenhand zugeschüttet worden sein muss. Mehr will er nicht verraten.

Christian Schellewald, geboren 1962, ist Art Director der Trickfilmabteilung von Steven Spielbergs Produktionsfirma Dreamworks in Los Angeles. Er ist sich sicher, dass er seinen Job als Pirat bald losgewesen wäre, weil er sich auf der Kokosinsel an den Strand gesetzt hätte, um der Brandung zuzuhören und Palmen in sein Skizzenbuch zu zeichnen.
Person Von Dimitri Ladischensky und Christian Schellewald