Geschichten vom Grund der Meere

Im Cuxhavener Wrackmuseum erzählen Fundstücke aus alten Zeiten von der Seefahrt in Not

Tief unten, auf dem Grund der Meere, haben sie einen letzten Ruheplatz gefunden. Die glücklosen Segler und Fischkutter, die Passagierdampfer und Schlachtschiffe, die im Tosen der Wellen versanken – bei Wind und Wetter und oft genug mit Mann und Maus. Allmählich und Zentimeter für Zentimeter wühlen sich die Schiffsleiber in den Sand, lassen die Seesterne und Fische vorbeiziehen und werden immer weniger. Selbst die Holzgerippe, die Eisenplatten und die Takelage rotten und rosten dahin.

Geschätzte 4000 Wracks liegen allein in der Deutschen Bucht und wiegen sich dort im sanften Hin und Her der Gezeiten. Doch manchmal gibt das Meer eines dieser Wracks, seine Ausstattung oder Reste der Ladung wieder frei, und die landet nicht selten im Cuxhavener Wrackmuseum.

Hier geben die Tassen und Kinderspielzeuge, der signierte Schuhlöffel des Kapitäns oder die Gummikämme einen Einblick in die kulturellen Vorlieben der Zeit, berichten von Tischsitten und Kunstgeschmack, von vergangenem Luxus und harter Arbeit. Zum Sprechen gebracht hat diese Exponate der Museumsdirektor Peter Baltes, der zum ersten Mal 1978 mit seinen Fundstücken an die Öffentlichkeit trat. Inzwischen ist aus der Privatsammlung ein Museum geworden, das drei Etagen einer ehemaligen Schule füllt.

Auch der Besucherstrom wurde immer breiter. „Die Leute werden magisch vom Geheimnisvollen angezogen. Das ist wie bei dem Mythos Titanic“, meint Museumsdirektor Baltes. Erzählen lassen sich die Besucher besonders gern die Geschichte der Katastrophen. Und die haben oft zu tun mit menschlichen Fehlern und Unzulänglichkeiten bei der Navigation, etwa in der Deutschen Bucht mit ihren häufigen Unwettern und den auflandigen Winden aus Nordwest. Aber nicht nur Orkane und Wellenberge bezwangen die Schiffe, oft genug versenkten auch Kanonen im Zuge einer der europäischen Kriegshändel die stolzen Schiffe. Seltener war da schon der Untergang durch die „ruchlose Hand“ der Piraten, etwa durch Klaus Störtebeker.

Unter einer im Cuxhavener Museum aufgehängten Planke der „Luise Leonhardt“ wird in dramatischen Worten ein Schiffsuntergang in einem angegilbten Zeitungsartikel geschildert: Von „schweren Grundseen“ hörten die Funker auf dem sicheren Land, von „furchtbaren Brechern und von der Mannschaft, die sich in die Masten geflüchtet hat … Und dann hörten die Funkrufe auf.“ Das Schiff versank mit der 30köpfigen Mannschaft auf dem großen Vogelsand.

Manchmal ging es glimpflich aus. Davon erzählt die Abteilung mit der Darstellung der Rettung Schiffbrüchiger. Raketen werden gezeigt, mit denen man Seile zu den Havaristen hinüberschoss, um die Mannschaft dann mit Hosenbojen in Sicherheit zu ziehen. Handfackeln und spezielle Trinkbecher zum Rationieren des Wassers stehen hier ebenso in den Regalen wie die Ausstattung von Rettungsbooten.

Immer wieder versuchten Schatzsucher, die Wracks und ihre oft sehr wertvollen Ladungen zu finden. Da wurden Diamanten geborgen oder auch Kohleladungen an die Oberfläche gehievt. Hauptsache, es fiel ein Gewinn ab.

Das Unglück der Schiffe und ihrer Mannschaften „ernährte“ auch die Bewohner an den meist ärmlichen Küsten der Nordsee. Zu den Exponaten gehören silberne Teller und feine Porzellanterrinen des englischen Dampfers „Kaffraria“, der Ende des letzten Jahrhunderts vor dem niedersächsischen Otterndorf strandete. Vertrauensselig winken Otterndorfer auf einer zeitgenössischen Fotografie zum Wrack in die Kamera …

Doch kaum brach die Dämmerung herein, da wurde emsig die Ladung nach Otterndorf geschafft. Bald füllten Wolle, Glas, Porzellan und Kohle die Vorratskammern der armen Dorfbevölkerung. Eine Zeitzeugin erinnert sich, dass „plötzlich alle Otterndorfer in Mänteln aus feinstem englischem Zwirn herumliefen.“

An anderer Stelle recken Gallionsfiguren ihre Köpfe in die Museumsluft. Stumme Zeugen längst verwehter Zeiten, in denen diese hölzernen Abbildungen von Göttern und Schutzheiligen die Schiffe vor den Naturgewalten schützen sollten.

Tausend Jahre alte Kupferbarren erzählen vom Handel der Wikinger, die das Metall auf Helgoland abbauten. Der Verbleib unermesslicher Kunstschätze, die Freiherr von Minutoli im Auftrag des Preußenkönigs Wilhelm III. aus dem Land der Pharaonen beschafft hatte, ist dagegen immer noch ein Rätsel. Im Sturm sank sein Schiff, die „Gottfried“, mitsamt der wertvollen Ladung aus den Königsgräbern. Von den angeschwemmten und dann schwer bewachten sieben Mumien verschwand eine auf mysteriöse Weise. Ein Apotheker wurde verdächtigt, denn damals galt das Pulver aus zerriebenen Mumien als Heilmittel.

Auch das Ende der Karriere der im letzten Jahrhundert so populären „Schwäbischen Singvögel“ wird auf einer trocken formulierten Meldung dokumentiert. Zur großen Tournee durch Amerika waren die Geschwister Rommer aufgebrochen, doch die „Cimbria“ strandete nach wenigen Stunden Fahrt am 19. Januar 1883 bei Borkum. Das Gesangstrio starb mit 400 anderen Passagieren in der aufgepeitschten See.

Eine geschichtsträchtige Planke des Flaggschiffs Lord Nelsons hat seinen Weg direkt von der Seeschlacht von Trafalgar nach Cuxhaven gefunden. Gleich daneben die Überreste des Fischkutters „Matthias“… Kein Wunder also, dass bei so vielen beseelten Exponaten den Besuchern manchmal der Kopf schwirrt. Und dann kommt es ihnen so vor, als führe der Kapitän eines versunkenen Ewers (altes Segelschiff der Unterelbe) noch einmal den Kaffeepott zum Mund und als wehten die Klänge eines Schiffsorchesters durch die Räume … Und leise, ganz leise wird irgendwo hinter einer Nebelwand eine Schiffsglocke angeschlagen … 


Wrackmuseum Cuxhaven

Dorfstr. 80; geöffnet Di.–Fr. von 9–13 und 15–18 Uhr, Sa., So. sowie feiertags von 10–13 und 15–18 Uhr. Von November bis März geschlossen

mare No. 7

No. 7April / Mai 1998

Von Michael Koglin und Eva-Maria Kulke

Michael Koglin, Jahrgang 1955, ist Journalist und Schriftsteller. Er lebt in Hamburg.

Eva-Maria Kulke, Jahrgang 1968, arbeitet seit 1996 als freischaffende Fotografin. Sie lebt in der Nähe von Magdeburg.

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Vita Michael Koglin, Jahrgang 1955, ist Journalist und Schriftsteller. Er lebt in Hamburg.

Eva-Maria Kulke, Jahrgang 1968, arbeitet seit 1996 als freischaffende Fotografin. Sie lebt in der Nähe von Magdeburg.
Person Von Michael Koglin und Eva-Maria Kulke
Vita Michael Koglin, Jahrgang 1955, ist Journalist und Schriftsteller. Er lebt in Hamburg.

Eva-Maria Kulke, Jahrgang 1968, arbeitet seit 1996 als freischaffende Fotografin. Sie lebt in der Nähe von Magdeburg.
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