Für immer im Meer

Die letzte Reise von Friedrich Engels, dem großbürgerlichen Revolutionär und Miterfinder des Marxismus, führte ihn an die Küste Südenglands – zu seiner Seebestattung. So hatte er es in seinem Testament verfügt

Das ist sie also, die letzte Reise des „Generals“. So nannten seine Freunde ihn wegen dessen militärischen Kenntnissen. Karl Marx schrieb ihn als „Dear Frederick“ an, für alle anderen war er ein Revolutionär, ein Fabrikantensohn und ein Bonvivant, der Frauen, gute Zigarren und vorzügliche Weine schätzte.

Glück, so schrieb er der Marx-Tochter Jenny 1868 ins Poesiealbum, sei ein edler Bordeaux, ein „Château Margaux 1848“. Als Lieblingstugend des Manns gab er an: „sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern“. Entschuldbares Laster sei die „Unmäßigkeit aller Art“, zu seiner Lieblingsbeschäftigung zählte er „necken und geneckt zu werden“. Ein großer Spaß war dieses Leben, nicht immer ein Zucker­lecken, aber immer gut für ein Glas Wein.

Er, am 28. November 1820 in Barmen, im Wuppertal, geboren, war der Mäzen von Marx und dessen Familie, Herausgeber und Mitautor von dessen Werken, oft sogar unter Marx’ Namen der Autor seiner Texte. Und natürlich hatte er Werke von höchster eigener Qualität verfasst, dar­unter die frühen, aufsehenerregenden „Briefe aus dem Wuppertal“ (1839), die immer noch als vorbildlich geltende Studie über die „Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845) oder den legendären sogenannten Anti-Dühring (1877). Seinem Biografen Tristram Hunt gilt er sogar als der Mann, der den Marxismus erfand. Die Rede ist von Friedrich Engels.

Am 5. August 1895 war seine Zeit abgelaufen. Speiseröhren- und Kehlkopfkrebs. Er starb in seiner Londoner Wohnung, friedlich, ohne Todeskampf. Nun ging es um seine letzte Fahrt, seine Bestattung. Eine zur See sollte es werden. Im Testament vom 14. November 1894 hatte er verfügt: „Es ist mein ausdrücklicher Wunsch, dass mein Leichnam ein­geäschert und meine Asche bei erster Gelegenheit ins Meer versenkt werde.“ 

Engels war ein Liebender des Maritimen. Seine Neigung zu Wasser und Wellen war bekannt. Schon in einem seiner ersten, 1838 gedruckten Texte, „Landschaften“ betitelt, war der 18-Jährige nicht ohne Meereslob ausgekommen. Das Himmelsblau und das „viel zu groß­artige Meer“ im alten Griechenland hätten freie Menschen hervorgebracht; die Misere der in Kleinstaaterei und Kleingeistigkeit gefangenen, eben nicht freien Menschen im Deutschland jener Jahre verdanke sich auch Landschaften, die kein freies Denken zulassen. Und wer nicht frei denken und leben kann, ist verdammt zu einem Leben in verkümmerten Landschaften. 

Im Finale, als seine literarische Reise quer durch deutsche Kleinstaaten und Holland hinaus aufs Meer in Richtung England geht, schwärmt er: „Dann hänge dich in die Taue des Bugspriets und schau in die Wogen, wie sie vom Kiel zerteilt, den weißen Schaum weit hinausspritzen über dein Haupt, dann sieh über die ferne, grüne Fläche, wo die schäumenden Wellenhäupter in ewiger Unruhe auftauchen, wo die Sonnenstrahlen aus tausend tanzenden Spiegeln in dein Auge zurückfallen, wo das Grün des Meeres mit dem spiegelnden Himmelblau und Sonnengold zu einer wunderbaren Farbe verschmilzt, da entschwinden dir alle die kleinlichen Sorgen, alle Erinnerungen an die Feinde des Lichts und ihre arglistigen Ausfälle, und du gehst auf im stolzen Bewusstsein des freien unendlichen Geistes! Die ganze Natur ist uns so verwandt, die Wellen winken uns so vertraut zu, der Himmel breitet sich so liebesselig um die Erde, und das Licht der Sonne hat einen so unbeschreiblichen Glanz, dass man meint, es mit Händen greifen zu können.“

Das frühreife literarische Wunderwerk einer politisch gedachten Poetik der Freiheit, die sich dialektisch mit Landschaftsschilderungen verbindet, verdeutlicht, wie Engels Landschaften zu lesen verstand. Ihm war das Meer mehr als ein bloßer Fischgrund. „Ich habe ein ungeheures Verlangen nach dem Meere“, schrieb er am 5. Februar 1840 aus Bremen an Freunde in Berlin, während er eine Reise ins Dänische, hinüber nach Holstein, Jütland, Seeland und Rügen, plante. Dieses Verlangen nach dem Meer, immer auch eines nach der Freiheit, ließ ihn zeitlebens nicht los. Und wo, wenn nicht im Meer mit seiner Urgewalt und seiner alles umwälzenden Dynamik, konnte sich ein Mann wie er seine letzte Unruhestätte wünschen?

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mare No. 150

mare No. 150Februar / März 2022

Von Harald Justin und Claudia Lieb

Harald Justin, Jahrgang 1956, Journalist in Spanien und in Wien, wurde im Ruhrgebiet geboren. Seine ­Eltern unternahmen gern Ausflüge nach Wuppertal, Engels’ Geburtsort. So begann seine Faszination für den Sohn der Stadt schon im Kindesalter.

Claudia Lieb, geboren 1976, Illustratorin in München, ist leidenschaftliche Windsurferin. Eine Seebestattung kann sie sich durchaus vorstellen.

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Vita

Harald Justin, Jahrgang 1956, Journalist in Spanien und in Wien, wurde im Ruhrgebiet geboren. Seine ­Eltern unternahmen gern Ausflüge nach Wuppertal, Engels’ Geburtsort. So begann seine Faszination für den Sohn der Stadt schon im Kindesalter.

Claudia Lieb, geboren 1976, Illustratorin in München, ist leidenschaftliche Windsurferin. Eine Seebestattung kann sie sich durchaus vorstellen.

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Harald Justin, Jahrgang 1956, Journalist in Spanien und in Wien, wurde im Ruhrgebiet geboren. Seine ­Eltern unternahmen gern Ausflüge nach Wuppertal, Engels’ Geburtsort. So begann seine Faszination für den Sohn der Stadt schon im Kindesalter.

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