Frau Holles Meerschneeflocken

Eine Amerikanerin in Norwegen erkundet eine uralte Kulturtechnik der Wikinger: Sie siedet Salz aus den Wassern der Fjorde

Ein Feuerchen aus knisterndem Treibholz. In einer dicken Kruste aus Meersalz, auf einem Bett aus Tang, liegt ein Lachs. Nur der Kopf ragt aus der Kruste. Michal Bietz Øverland blickt schief auf das qualmende Arrangement vor ihr. „Vielleicht nennen wir es ‚Fisch im Schlafsack‘“, schlägt sie vor. Arve, ihr Mann, nickt. „Okay, den Namen hätten wir schon“, freut sich Michal. Bleibt die Frage: Wie schmeckt er?

Zwei Stunden später wissen sie es. Sie und die Gäste, die in Michals Bootshaus sitzen. Testesser, sozusagen, die gerade genussvoll die letzten rosa Stückchen mit einem Aquavit herunterspülen. Experi­ment „Fisch und Meersalz“: gelungen.

Gerade hier, in dem kleinen Bootshaus am Ufer der westnorwegischen Insel Gossa, hatte Michals Leidenschaft für das selbst gewonnene Meersalz begonnen, für die „essbaren Steinchen“ aus dem Fjord vor ihrer Haustür. Michal kramt etwas aus einer Ecke hervor. „In diesem Kanis­ter habe ich das erste Wasser geholt. Und hier, in diesem Eimer, haben wir es zum ers­ten Mal erhitzt, auf einem Krab­ben­kocher.“ Sie blickt um sich. „Moment, der steht auch noch irgendwo herum.“

Sie findet ihn nicht, warum auch, er hat ja längst ausgedient. Stattdessen steht in der Nähe eine kleine Fabrik, sie führt sie zusammen mit Arve Peder Øverland und dessen Bruder. Ein paar Bottiche, hellglühende Lampen dicht darüber. Eine Pipeline führt aus der Mitte des Fjords in die Halle. Dann übernehmen Hitze und Zeit. Am Ende steht ein Produkt, das wie Flocken aus den Händen fällt: Salz. Michal Bietz Øverland nennt es havsnø – Meerschnee.

Der unterscheidet sich von normalem Kochsalz wie Brause von Champagner. Über 30 Mineralien und Spurenelemente hat ein Labor im havsnø ermittelt. Es kommt „aus bester Lage“, sagt sie, aus der Mitte des Fjords. Kein UV-Licht, keine Chemikalien säubern ihr Salz. Nur ein Filter sei eingebaut, der Muschelreste oder kleine Krebse von den Bottichen fernhält. Das Salz ist so weiß, dass ein dunkles Staubkörnchen das reine Bild auf ihrer Handfläche stört. Michal klaubt es heraus. „Schmeck mal“, sagt sie gespannt.

Der knusprige „Schnee“ schmilzt so fort auf der Zunge. Ein intensiver Geschmack, keine Spur von Bitterkeit. Eine kräftige Würze, gemixt aus Aromen in 100 Meter Tiefe. Aber welchen nur? Michal sieht auf mich. „Das ist immer der schönste Moment“, sagt sie. „Wenn sich das Gesicht der Leute verändert. Wenn sie spüren, irgendetwas ist anders mit diesem Salz.“

Eines Tages saß die aus Portland im US-Staat Ohio stammende Mutter zweier Kinder sinnierend am Ufer der Nor­we­gischen See. „Ich fragte mich, warum die Wikinger ihre große Tradition des Salzkochens vergessen hatten.“ Bis ins späte Mittelalter exportierten die Nordmänner ihr Meersalz in die Welt – so lange, bis günstigere Kris­talle aus dem Mittelmeerraum die hiesige Produktion unrentabel mach­ten. Michal trug Kanister für Kanister vom Ufer ins Bootshaus, ließ das Wasser brodeln und verdampfen, schmeckte, spie aus, ließ brodeln, schmeckte wieder. Nach Hunderten Versuchen hatte sie das per­fek­te Salz, den „Meerschnee“, flockig und rein.

Nur leider hatte sie nicht aufgezeichnet, wie sie dahin gelangt war. Es folgten weitere ungezählte Experimente, diesmal penibel notiert. Die Formel aus Hitze plus Zeit plus Feuchtigkeitsgehalt bleibt ihr Geheimnis, der Grundstock des kleinen Unternehmens. Es soll das Salz wieder in alle Welt tragen.

An die 50 Tonnen kommen inzwischen aus der Minifabrik North Sea Salt Works auf der Insel Gossa, das ist noch nicht die große alte Zeit. Aber es sieht gut aus. Der in Norwegen berühmte Koch Even Ramsvik lobte ihr Salz bereits über­schwäng­lich. „Das beste, das ich je gekostet habe.“

Im Grillfeuer vor Michal Bietz Øverland liegen jetzt, geborgen in einer Salzkruste, Rote-Bete- und Sellerieknollen. Dazu Scheiben des halben Schweins, das seit einem Jahr in ihrer Garage hängt, dick mit havsnø eingerieben. Es riecht gut. „Okay“, sagt Michal zu Arve und legt den Kopf schief, „ich denke, wir brauchen einen Namen.“


„Fisch im Schlafsack“

Zutaten und Zubereitung (für vier Personen) 

Einen ganzen Lachs ohne Innereien, aber samt Haut und Gräten auf eine Grillfolie legen, die mit „Meerschnee“ bedeckt ist. Dann reichlich „Meerschnee“ darübergeben, bis nur noch der Kopf herausragt. Grillfolie um den Lachs verschließen, auf einen Grillrost legen. Bei leichter Hitze, den Rost im oberen Bereich, eine halbe Stunde garen lassen, nicht wenden. Dann den Rost eine Stufe tiefer setzen, eine weitere halbe Stunde bei größerer Hitze garen. Jetzt „Meerschnee“ in andere Folien streuen (jeweils drei Handvoll) und Kartoffeln, Rote-Bete- oder Sellerieknollen hineinlegen, verschließen und direkt in die heiße Asche legen. Den Fisch auf der oberen Stufe eine weitere halbe Stunde liegen lassen. Der Fisch ist gut, wenn die Salzkruste dunkelbraun ist und in Brocken gelöst werden kann.

Zu beziehen über <a href="https://www.northseasaltworks.no/" target="_blank">www.northseasaltworks.no</a> oder dort erwähnte Händler

mare No. 118

No. 118Oktober / November 2016

Von Maik Brandenburg und Severin Wohlleben

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Der hohe Norden hat es Severin Wohlleben angetan. Als Fotograf reist er immer wieder nach Skandinavien und kommt mit spannenden Bildern zurück. Mit Fotografien von außergewöhnlichen Menschen mit ganz besonderen Geschichten. Mit Aufnahmen von rauer Natur und wunderschönen Landschaften.

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Der hohe Norden hat es Severin Wohlleben angetan. Als Fotograf reist er immer wieder nach Skandinavien und kommt mit spannenden Bildern zurück. Mit Fotografien von außergewöhnlichen Menschen mit ganz besonderen Geschichten. Mit Aufnahmen von rauer Natur und wunderschönen Landschaften.
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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Der hohe Norden hat es Severin Wohlleben angetan. Als Fotograf reist er immer wieder nach Skandinavien und kommt mit spannenden Bildern zurück. Mit Fotografien von außergewöhnlichen Menschen mit ganz besonderen Geschichten. Mit Aufnahmen von rauer Natur und wunderschönen Landschaften.
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