Frackzwang

Was verbindet Dirigenten, Nobelpreisempfänger und die die Saaldiener im Deutschen Bundestag? Sie tragen Frack

Zeigen Sie mir bitte einen populären Artikel über Pinguine, in dem nicht früher oder später das Wort „Frack“ oder „Frackträger“ fällt! Ach was! Suchen Sie gar nicht erst! Der Vogel steckt korsettartig im Sprachklischee. Noch jeder Schreiber ist auf diesem Allgemeinplatz gewatschelt: der lustige Gesell im Frack. Hahaha!

Dabei spricht wirklich nur das Äußere – mehr oder minder – für den Vergleich. In Wirklichkeit stecken die antarktischen Vögel in einem Wärmeisolieranzug, der rund ein Drittel ihres Lebendgewichts ausmacht. Pinguine tragen Speckmäntel, die zweckmäßigerweise oben schwarz befiedert sind, um Sonnenlicht zu speichern, und auf der Bauchseite weiß, damit sie schwimmend, von unten aus gesehen, kein allzu leichtes Suchbild für angreifende Haie oder Seelöwen bieten.

Natürlich kann ich die Pinguine nicht schützen, nicht vor Haien und Seelöwen und nicht vor dem sprachlichen Frackzwang. (Die Pinguine erwarten das übrigens auch nicht, sie haben schließlich andere Sorgen, etwa die Überfischung der polnahen Gewässer. Und was soll ihnen ihr Dinnerjacket – Sie sehen, ich wandele das Klischee geschickt ab –, wenn es bald eh nichts mehr zu fressen gibt?) Also, weil es im Tierfeuilleton bis auf weiteres bei den Frack tragenden Pinguinen bleiben wird, darf ich mich zumindest anheischig machen, zwei etwas originellere Begründungen zuzuliefern.

Pinguine sind zum einen – die Biologen vermuten das zumindest – eine Klasse für sich (Ordnung Sphenisciformes, Familie Spheniscidae); und genau das, eine Klasse für sich, Extraklasse, will auch der Frackträger sein. Pinguine sind zum anderen gesellig. Und der Frack ist das Kleidungsstück für gesellschaftliche Ereignisse par excellence. Nur ein ausgemachter Snob würfe sich in einen Frack, um anschließend allein zu sein.

Ein Frack ist aus feinem Garn oder womöglich Seide und obendrein bisweilen ein gefährlicher, schwarz-weißer Fallstrick für den, der sich nicht auskennt. Ein befreundeter, international renommierter holländischer Käferspezialist hat mir das kürzlich durch seine bewegende Geschichte klar gemacht. Man hatte ihn zur Jahreshauptversammlung der vermutlich weltältesten Käferspezialistenvereinigung nach Cambridge, England, eingeladen. Mehr noch, ihm war die Ehre zuteil geworden, den Festvortrag zu halten („Die Nischenteilung bei Sandlaufkäfern im holländischen Dünengürtel unter besonderer Berücksichtigung der Korngröße und des Salzgehaltes im Substrat“). Der eröffnende Vortrag fand in der kerzenlichterleuchteten großen Aula der Universität statt.

Nun ist mein Freund einer, der ohne zwingenden Grund nichts anzieht, was ihm verbietet, sich bäuchlings in den Dreck zu legen, um seiner Profession nachzugehen. Darum hatte ihn das zugeschickte Kärtchen des Universitätsdekans auch nicht weiter irritiert, auf dem zu lesen stand: „White tie suggested“. „Die Freude mache ich den spleenigen Briten gern“, dachte sich mein Freund aus Wageningen und band sich einen weißen Schlips über sein ausgebleichtes, ehemals grünes Cordhemd, lang genug, dass er fast den abgeblätterten Gürtel über der zerschlissenen Outdoorhose berührte. Aber als er zum Rednerpodium schritt, blickte er auf Stuhlreihen, sauber aufgefüllt mit Frackträgern und mit wenigen älteren, langberobten Damen.

Was mein Freund, der ein beneidenswert idiomatisches Englisch spricht, nicht kannte, war der richtige Code. „White tie“ heißt Frackzwang, und die Erfinder dieses merkwürdigen Kleidungsstücks scheinen anzunehmen, dass sich das Pars pro Toto von selbst erklärt: Zum Frack gehört genauso zwingend wie edles, schwarz glänzendes Schuhwerk die weiße Fliege. Wer versehentlich einen schwarzen Binder anlegt, gibt zu erkennen, dass er Butler oder Kellner ist. Und fast genauso heikel wie die Wahl des richtigen Accessoires ist die der passenden Zeit.

In der kostenlosen Zusatzinformation, die ein Frackverleih (Spezialität: Bräutigamausstattung!) bereitstellt, lese ich: „Zur kirchlichen Trauung darf er (der Bräutigam) Frack tragen, er muss anschließend jedoch zum Beispiel einen Smoking oder einen Cut tragen. Zur abendlichen Feier trägt er dann wieder den Frack.“


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 30. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 30

No. 30Februar / März 2002

Essay von Claus-Peter Lieckfeld

Claus-Peter Lieckfeld, Jahrgang 1948, besitzt leider keinen Frack. Wenn es förmlich wird, wie zuletzt bei einem Galadiner auf dem Kreuzfahrtschiff „Europa“, kommt sein schwarzer Anzug zum Einsatz. Das Thema des Schriftstellers sind sonst eher historische Stoffe (Das Buch von Haitabu und Das Buch Glendalough). Lieckfeld lebt in Windach am oberbayerischen Ammersee. Zuletzt schrieb er in mare No. 27 über die Leiden des Hummers im Kochtopf.

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Vita Claus-Peter Lieckfeld, Jahrgang 1948, besitzt leider keinen Frack. Wenn es förmlich wird, wie zuletzt bei einem Galadiner auf dem Kreuzfahrtschiff „Europa“, kommt sein schwarzer Anzug zum Einsatz. Das Thema des Schriftstellers sind sonst eher historische Stoffe (Das Buch von Haitabu und Das Buch Glendalough). Lieckfeld lebt in Windach am oberbayerischen Ammersee. Zuletzt schrieb er in mare No. 27 über die Leiden des Hummers im Kochtopf.
Person Essay von Claus-Peter Lieckfeld
Vita Claus-Peter Lieckfeld, Jahrgang 1948, besitzt leider keinen Frack. Wenn es förmlich wird, wie zuletzt bei einem Galadiner auf dem Kreuzfahrtschiff „Europa“, kommt sein schwarzer Anzug zum Einsatz. Das Thema des Schriftstellers sind sonst eher historische Stoffe (Das Buch von Haitabu und Das Buch Glendalough). Lieckfeld lebt in Windach am oberbayerischen Ammersee. Zuletzt schrieb er in mare No. 27 über die Leiden des Hummers im Kochtopf.
Person Essay von Claus-Peter Lieckfeld