Formel 1 auf hoher See

Die Crews auf den größten Renn-Yachten der Welt leben im permanenten Adrenalin-Rausch

Der erste Schuß knallt. Noch sechs Minuten bis zum Start. Acht Yachten der „Maxi-One-Design"-Klasse umkreisen sich im engen Fahrwasser vor der Startlinie. An ihren 36 Meter hohen Masten aus schwarzem Karbon, die sogar die zehnstöckigen Häuser am Ufer überragen, hängen 330 Quadratmeter Segel aus Kevlar. Eine dichte Wand von Zuschauern säumt das Ufer der Kieler Förde. Auf dem Wasser drängeln sich Hunderte Schiffe, kleine Yachten, große Rahsegler und Motorboote mit Zuschauern.

Alles ist in Bewegung. Wieder ein Schuss. Noch fünf Minuten. Auf allen Yachten steht im Heck ein Mann und zählt laut die Zeit herunter. Auf engstem Raum rauschen die knapp 25 Meter langen und 24 Tonnen schweren Schiffe aneinander vorbei. Sie wenden, setzen zur Verfolgung an, lassen die Segel einen Moment im Wind schlagen, um gleich darauf die riesigen Flügel wieder dicht zu holen und zu beschleunigen.

Es ist ein Ballett, dessen Choreografie komplizierten Regatta-Regeln und den trickreichen Überlegungen der Skipper und Taktiker an Bord folgt. Noch zwei Minuten. Die Flotte rückt zur Startlinie auf, die sich unsichtbar von einer Landmarke zum verankerten Startboot zieht. Wir wollen wenden, haben aber zu wenig Platz. Da ist eine Hafenmauer, dort driften andere Schiffe durchs Startfeld. Fünf Gegner kommen von hinten, zwei sind vor uns, überall sind Schiffe, die Kollisionen vermeiden wollen, ausweichen und dadurch mit irgendeinem anderen Schiff in Konflikt geraten. Ein Riesengeschrei, ein Höllengetöse.

Unser Vorsegel schlägt mit lautem Knall, das Großsegel ist offen, und trotzdem machen wir acht Knoten Fahrt. Der Puls steigt. Noch ein paar Sekunden. Dann brüllt unser Skipper Hans Buscholte: „Speed!" Sechs Athleten kurbeln mit vollem Krafteinsatz an den „Kaffeemühlen", Kurbeln mit mehreren Gängen, die Kraft auf die großen Winschen übertragen. Die Segel kommen sofort dicht, wir werden schneller.

Bis auf das Rauschen des Wassers ist jetzt nichts mehr zu hören, während wir auf die Startlinie zurasen. Wir beobachten unsere Gegner, und aus dem kleinen Handfunkgerät an Deck kommt die ruhige Stimme des Regattaleiters: „Three, two, one, zero - have a good day." Auf dem Startboot wird die Flagge eingeholt, das Rennen ist eröffnet. 500 Seemeilen liegen vor dem Bug, zwei Tage und zwei Nächte.

Wer zuerst in Stockholm ist, hat gewonnen. So einfach ist das. Nach einem guten „Schlag", einer perfekt gesegelten Strecke hoch am Wind, liegen wir, die belgische Yacht, knapp vor den Neuseeländern, Südafrikanern, Italienern, Franzosen, Schweizern und Schweden. Nur die Yacht unter der Flagge Europas liegt vor uns. Wir runden die erste Wendemarke. Der Wind kommt jetzt von hinten, und wir setzen den 500 Quadratmeter großen Spinnaker, holen die Fock herunter. Die ganze Crew, 16 Leute, hat alle Hände voll zu tun.

Mit einem lauten Ruf übertönt der Skipper den Lärm der ratternden Winschen, gratuliert der Crew zu dem gelungenen Manöver. Dann schaut er wieder nach hinten, zu den aufholenden Gegnern, die ebenso unablässig die Segel trimmen, genauso lärmend durchs graue Wasser ziehen wie wir. Der Wind frischt auf und erreicht die Verfolger zuerst. Der Druck in ihren Segeln steigt, sie beschleunigen, holen auf.

Jetzt hat die Bö auch uns erreicht, und wir ziehen davon. Der Abstand aber hat sich verkleinert. Wieder eine Halse. Dann kommt die Sonne hinter den Wolken hervor, am Ufer dreht sich unbeeindruckt ein Riesenrad, und von einem Zuschauerschiff weht eine Akkordeonmelodie herüber. Niemand an Bord hat ein Auge für die Schiffe, die wegen uns da sind, die uns das Geleit geben. Der Blick der Crew ist auf die Segel gerichtet - und die Digitalanzeigen, die genau festhalten, ob das Potenzial des Schiffes optimal genutzt wird.

Wir verlassen die Förde, hinaus in die Ostsee. Die Sonne wärmt, die Crew schwitzt. Aber unablässig verlangt der Cheftrimmer mehr Zug an den Schoten, um gleich darauf wieder zu fieren und umgehend wieder mehr Zug zu verlangen. Ein Spiel mit Wind und Kraft. Leergetrunkene Wasserflaschen fliegen durch den Niedergang ins Schiffsinnere. Dort unten arbeiten zwei Mann im Halbdunkel, bereiten die Segelwechsel vor. Auch sie sehen nichts von der fantastischen Kulisse.

Wir haben gerade die Markierungsboje Nr. 12 passiert, als der Wind schwächer wird. Links liegt der Nord-Ostsee-Kanal. Gibt es da mehr Wind ? Ein taktischer Schlenker nach Backbord - und ein paar Minuten später stehen wir in der Windstille. Die Gegner ziehen rechts vorbei. Dieser Fehler wird schwer gutzumachen sein. Als der Wind zurückkehrt, kommt wieder Leben in die Mannschaft. Aufholjagd.


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mare No. 25

No. 25April / Mai 2001

Von Daniel Peterlunger und Heike Ollertz

Daniel Peterlunger, Jahrgang 1958, ist Journalist und lebt in Murten (Schweiz). Die Reise von Kiel nach Stockholm war nicht seine erste Reise auf einer „Maxi". Der Segelsüchtige hat sein eigenes Regattaboot, eine französische „Surprise", und segelt auch sonst alles, was sich schnell auf dem Wasser bewegt. In mare No. 20 schrieb er über balinesische Junkungs.

Heike Ollertz, geboren 1967, lebt als freie Fotografin in Berlin. Für mare fotografierte sie u. a. die Krabbenschälfabrik in Marokko (Heft No. 13). Als sie an Bord „ihrer" Maxi nach einer Schwimmweste fragte, riet ihr die Crew lapidar: „Fall einfach nicht über Bord!"

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Vita Daniel Peterlunger, Jahrgang 1958, ist Journalist und lebt in Murten (Schweiz). Die Reise von Kiel nach Stockholm war nicht seine erste Reise auf einer „Maxi". Der Segelsüchtige hat sein eigenes Regattaboot, eine französische „Surprise", und segelt auch sonst alles, was sich schnell auf dem Wasser bewegt. In mare No. 20 schrieb er über balinesische Junkungs.

Heike Ollertz, geboren 1967, lebt als freie Fotografin in Berlin. Für mare fotografierte sie u. a. die Krabbenschälfabrik in Marokko (Heft No. 13). Als sie an Bord „ihrer" Maxi nach einer Schwimmweste fragte, riet ihr die Crew lapidar: „Fall einfach nicht über Bord!"
Person Von Daniel Peterlunger und Heike Ollertz
Vita Daniel Peterlunger, Jahrgang 1958, ist Journalist und lebt in Murten (Schweiz). Die Reise von Kiel nach Stockholm war nicht seine erste Reise auf einer „Maxi". Der Segelsüchtige hat sein eigenes Regattaboot, eine französische „Surprise", und segelt auch sonst alles, was sich schnell auf dem Wasser bewegt. In mare No. 20 schrieb er über balinesische Junkungs.

Heike Ollertz, geboren 1967, lebt als freie Fotografin in Berlin. Für mare fotografierte sie u. a. die Krabbenschälfabrik in Marokko (Heft No. 13). Als sie an Bord „ihrer" Maxi nach einer Schwimmweste fragte, riet ihr die Crew lapidar: „Fall einfach nicht über Bord!"
Person Von Daniel Peterlunger und Heike Ollertz