Fish & Hipsters

Wie vier junge Norweger einer aufgegebenen Möbelfabrik auf den Lofoten ein neues Leben einhauchten

Endlich oben! Die zwei Kletterer stehen auf einem Berg, blicken hinab auf die Schärenwelt von Henningsvær, dem kleinen Fischerort der Lofoten, sie sehen das wogende Meer, und in der Ferne, am Horizont, flimmert es im gleißenden Licht, und die Inseln dort scheinen über dem Meer zu schweben.


Die zwei haben schwerelose Sommertage hinter sich. Zum ersten Mal auf den Lofoten. Warme Tage, milde Nächte. Neue Menschen, Freeclimber, Künstler. Sie schlafen unter freiem Himmel, reden, diskutieren, das Leben öffnet sich. Und morgen schon soll das alles vorbei sein, denn sie müssen zurück ins Landesinnere, zurück zu den Fichten und Tannen, den engen Schluchten und Gebirgsbächen und ihren Bürojobs. Schade, sagt Mats, der eine Kletterer. Ja, schade, seufzt Andreas, der andere Kletterer, zurück. Da sagt einer ihrer neuen Freunde: „Ihr wisst schon, dass die alte Schreinerei da unten zum Verkauf steht.“


Am nächsten Tag bahnen sie ihren Weg durch alte Ölfässer, Holzspäne, Werkzeuge, schieben die Bretter vor den Fenstern beiseite und erblicken das Meer, den Fjord, die Weite – da flimmert ihr Luftschloss bereits über dem Horizont: ein Ort mit Kunst, Kultur, Konzerten und gutem Essen. Dafür brauchte es Geld (was sie nicht hatten). Oder einen Kredit (den ihnen keine Bank gewährte). Aber der Vorbesitzer der trevarefabrikk, der Holz­waren­fabrik, machte ihnen vor, was es heißt, Mut zu haben, Chancen zu sehen, beweglich zu sein. Denn seine Schreinerei war zugleich eine Krabbenpulerei, eine Fischdosenfabrik, eine Dorschleber- und Waltrankocherei. 


Daran, sagt Mats, haben wir uns ein Beispiel genommen. Dinge wagen, Dinge wollen und zusammen mit anderen Menschen umsetzen. Sie trieben irgendwie die paar hunderttausend Euro für den Kauf auf. Das war der einfache Part. Aber die Fabrik auf drei Etagen mit 2000 Quadratmetern zu renovieren, das ging nur mit einem Trick, einem Tauschhandel. Wer beim Umbau mithilft, bekommt gratis einen Platz im Matratzenlager und jeden Tag: Fish & Chips. Und plötzlich kamen viele Helfer von überall her aus Europa angereist.

Fish & Chips für den Schweizer Tischler, der ihnen Bänke und Tische baute und gleich im Ort geblieben ist. Fish & Chips für den polnischen Zimmermann, dem die Haare nach der Dusche einfroren und dessen Locken wie Eiszapfen brachen. Fish & Chips für die Studenten, die mit ihm das Dach deckten und noch nie einen Hammer in der Hand gehabt hatten, weswegen der polnische Zimmermann mehr schwitzen und duschen musste, als ihm recht war. Fish & Chips auch für die Gründer selbst, die ebenfalls im Matratzenlager schliefen, mittlerweile ihre Jobs geschmissen hatten und nun zu viert waren. Denn aus dem Duo Mats Alfsen und Andreas Hjelle war inzwischen ein Quartett geworden, weil ihre Brüder Martin und Andreas mit eingestiegen sind.

Und? Das Luftschloss ist gelandet und hat solide Mauern. Sechs Jahre brauchte „Trevarefabrikken“ vom Himmel zur Erde. Für manch einen sieht das Kulturhaus immer noch nicht ganz angekommen aus, aber das ist gewollter Shabby Chic. Unverputzter Beton, offen liegende Rohre, Wände in Grau und bunte Flohmarktmöbel. Im Erdgeschoss das Café-Restaurant (mit Fish & Chips auf der Karte), in den oberen Etagen die puristisch designten Gästezimmer, unterm Dach die wechselnden Ausstellungen. Draußen eine Freiluftbar mit Pizza­ofen. „Ein bisschen wie Berlin“, sagt Mats. Vor allem: viel von früher. Im ersten Stock, in dem die Zimmer liegen, stehen die alten Handwerksmaschinen. Der Raum, wo heute Yogakurse stattfinden, beherbergt noch die alten Dorschlebertran­kocher, die einen herben Geruch verströmen und sich mit den Duftölen der Yogis zu einer „fischig-sinnlichen Melange vermischen“, sagt Mats. 

Aber das wollen ja die Städter, sie wollen die Kraft der Natur am eigenen Leib erfahren, deshalb kommen sie her zu „Trevarefabrikken“. Machen sich auf zur kleinen Halbinsel, die nur mit einer einspurig befahrbaren Landbrücke verbunden ist, um sich zu lösen vom Festland und vom Alltag, frei zu sein. Am Meer zu stehen und einen Horizont vor sich zu sehen. Es ist jetzt wieder die Zeit der Hundstage, sie stehen draußen mit Flaschenbier, das Meer plätschert in ihre Gespräche, der Horizont öffnet ihre Denkweisen und lässt Luftschlösser in der Ferne schweben. 


Fish & Chips
Zutaten (für 4 Personen) 
800 Gramm mehligkochende Kar­toffeln, 100 Milliliter Frittieröl, 300 Gramm aufgetaute TK-Erbsen, 50 Gramm Butter, 800 Gramm Kabeljaufilets, 400 Gramm Mehl, 3 Teelöffel Backpulver, 0,3 Liter Pils.

Zubereitung
Geschälte Kartoffeln in 1 cm dicke Stäbchen schneiden und in Frittieröl 8 Min. brutzeln lassen. Erbsen 10 Min. bei schwacher Hitze in Butter dünsten. Mehl mit Backpulver und Bier vermischen, Fisch darin eintauchen und jede Seite 4 Min. braten. Fertig!

Trevarefabrikken
Dreyers gate 72, 8312 Henningsvær, ­Lofoten, Norwegen,Telefon +47 96 00 8000, www.trevarefabrikken.no

Geöffnet von Mo bis Fr von 12 Uhr (Sa und So ab 10 Uhr) bis Mitternacht.

mare No. 158

mare No. 158Juni / Juli 2023

Von Dimitri Ladischensky, Sina Opalka und Andrea Gjestvang

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Andrea Gjestvang, geboren 1981, lebt als Fotografin in Oslo und Berlin. Sie arbeitet im Auftrag verschiedener Medien und an freien Fotoprojekten. »Ich bin keine Landschaftsfotografin. Aber so wie ich Menschen porträtiere, suche ich in der Landschaft nach einer Stimmung. Ich versuche, sie als eine Art Porträt zu betrachten, das in gewisser Weise Gefühle ausdrückt.«

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Vita

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Andrea Gjestvang, geboren 1981, lebt als Fotografin in Oslo und Berlin. Sie arbeitet im Auftrag verschiedener Medien und an freien Fotoprojekten. »Ich bin keine Landschaftsfotografin. Aber so wie ich Menschen porträtiere, suche ich in der Landschaft nach einer Stimmung. Ich versuche, sie als eine Art Porträt zu betrachten, das in gewisser Weise Gefühle ausdrückt.«

Person Von Dimitri Ladischensky, Sina Opalka und Andrea Gjestvang
Vita

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Andrea Gjestvang, geboren 1981, lebt als Fotografin in Oslo und Berlin. Sie arbeitet im Auftrag verschiedener Medien und an freien Fotoprojekten. »Ich bin keine Landschaftsfotografin. Aber so wie ich Menschen porträtiere, suche ich in der Landschaft nach einer Stimmung. Ich versuche, sie als eine Art Porträt zu betrachten, das in gewisser Weise Gefühle ausdrückt.«

Person Von Dimitri Ladischensky, Sina Opalka und Andrea Gjestvang