Fisch essen, Meer sehen

Wie bekommt man den Dorsch warm von der Küche bis zum Strandkorb? Auf einem Bett aus Sauerkraut

Man könnte mit der Ostsee beginnen, mit dem Wellenplätschern, es tönt anders hier. Man könnte den Blick beschreiben aus den lichten Fenstern des Frühstücksraums. Man könnte vom Geschirr des lokalen Keramikers berichten. Oder von der Hermes-Stele zwischen Hotelausgang und Promenade, die einen mit den Augen verfolgt. „Kinder bemerken den Blick immer zuerst“, sagt der Chef Philipp Brandt.

Doch zuerst soll vom Dorschfilet auf Sauerkrautpüree mit Dijonsenfsauce die Rede sein. Es ist tatsächlich eine Sauce und keine Soße, die dem profanen Kraut anliegt. Und es hat eine kleine Geschichte: In ihr sitzt besagter Chef in seiner „kreativen Ecke“ – der Hotelbar – und denkt über die Strandkörbe nach. Jene stehen direkt vorm Haus, nahe der Promenade. Sie sind für den ganzen Tag buchbar, es sind Strandkörbe mit Vollpension: Man bekommt darin das Sektfrühstück, das Mittagessen, den Kaffee. Das Servieren des Filets war stets heikel, von Küche zu Korb verflog wertvolle Hitze. Der Chef also sinnierte, am Ende war ein neues Gericht in der Welt. Das Püree speichert die Hitze auf wundersame Art, auf ihm liegt der Dorsch warm und geborgen wie in einem Nest.

Den Fisch holt der Chef jeden Morgen von der Pier. Die Fischer ziehen ihn in Sichtweite aus den Stellnetzen. Bisweilen sieht man Gäste zu früher Stunde mit Ferngläsern lugen: Blinkt es reichlich aus den Maschen, wird hörbar aufgeatmet und für den Abend bestellt. Gemach: Selbst bei knapper Beute zaubern die Männer meist noch eine gefüllte Kiste hervor. Die wandert entlang leer ausgehender Kundschaft in Brandts Wagen. Die Fischer wissen, was sie der Gräfin schuldig sind.

Gabriele Gräfin von Waldersee, Brandts Mutter, hatte den Militärbunker nach dem Krieg zum Hotel ausgebaut. Bei ihr war verlässlicher Absatz, einmal im Jahr lud sie „ihre Leute“ zum Bankett. Ein schönes Bild: die Fischer, frisch frisiert, doch mit Heringsschuppen am Anzug. „Und kam die Gräfin, standen alle auf.“

Sie nannte ihr Haus „Genueser Schiff“, nach dem Gedicht Nietzsches: „Dorthin – will ich; und ich traue / mir fortan und meinem Griff. / Offen liegt das Meer, ins Blaue / treibt mein Genueser Schiff.“ Ein Schiff ist das Haus in keiner Weise, doch wenigstens rauscht die See knapp vor den Fenstern; nur ein Wall aus Findlingen lässt es nicht durch die Flure schwappen.

Den Vers hatte ein Onkel geschenkt, es war eine Anspielung auf die gräfliche Blauäugigkeit, mit dem Haus Geld zu verdienen. Trotzig gab sie dem fantastischen Schiff Decks statt Etagen, ein Leuchtturmzimmer, eine Bordstation als Bar. Bis heute wütet ein Marder im Gebälk, der natürlich der „Klabautermann“ ist. Sogar einen ehemaligen Schiffskoch stellte sie ein.

Anfang der siebziger Jahre setzte die Gräfin als Erste in der Gegend auf Ferienwohnungen. Zuvor schon flog Herr Grundig ein zur Sommerfrische. „Standesgemäß“, sagt Herr Brandt, „mit Antenne und eigenem Fernseher.“ Mehr Schickeria war nicht, „dafür sind wir keine Bühne.“ Noch immer will das „Genueser Schiff“ vor allem eine „familiäre Herberge“ sein. Noch immer auch kocht Gräfin Waldersee an die 2000 Gläser Marmelade jährlich für die Gäste ein. Ihre Konfitüre aus grünen Tomaten und Ingwer gehört patentiert.

Das Haus also gibt es weiterhin, seit über einem halben Jahrhundert. Gerade baut Herr Brandt an. Eigentlich wollte er Meeresbiologe werden, „Verhaltensforschung am Riff auf einer Tauchstation vor den Kapverden, das wär’s gewesen“, sagt er. Die Wirtschaft brauchte ihn, sein Riff ist der Tresen nunmehr. Allerlei Volk tummelt sich davor, Brandt zapft bei kapverdischem Fado. Er beobachtet mit Leidenschaft seine „Raub- und Friedfische“, die Angeber und die Schüchternen.

„Die meisten Leute kommen inzwischen“, sagt Herr Brandt, „nur um Fisch zu essen.“ Obwohl, so sicher ist er sich seit jüngstem nicht mehr. Man solle bloß mal die Augen vom Teller in den Himmel richten: „Die Wolken machen das Meer.“ Er sagt es erstaunt, noch immer verblüfft wohl über seine späte Entdeckung.

Darum: Man sollte mit dem Dorsch auf Sauerkrautpüree beginnen, dann hebt sich der dankbare Blick ganz von selbst himmelwärts.


Dorschfilet auf Sauerkrautpüree mit Dijonsenfsauce

Zutaten (für 4 Personen)

100 g Zwiebel, 250 g Sauerkraut, 20 und 10 dl Hühnerbrühe, 1 EL Dijonsenf, 2 EL Zucker, 250 g gekochte Kartoffeln, 10 und 50 dl Sahne, je 40 g Butter und Mehl, Weißwein, 4 Dorschfilets.

Zubereitung

Zwiebeln und Kraut anschwitzen. Mit Hühnerbrühe löschen, Zucker dazu, kochen lassen. Sobald das Kraut weich ist, Kartoffeln hineinpressen und unterheben, mit Sahne verfeinern und ziehen lassen. Für die Sauce Butter erhitzen, Mehl einrühren, mit Brühe löschen und mit Sahne auffüllen. Leicht kochen lassen, Senf einrühren und mit Wein abschmecken. Beim Anrichten Sauce über das Püree geben, den Rest in der Sauciere reichen. Filets in Mehl wenden, braten und auf dem Püree servieren.


Hotel Genueser Schiff
Seestraße 18, 24321 Hohwacht
Tel. 04381/75 33
www.genueser-schiff.de

mare No. 56

No. 56Juni / Juli 2006

Von Maik Brandenburg und Bettina Horn

Text: Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Foto: Bettina Horn

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