Fahnder auf großer Fahrt

Die MS „Europa“ erhielt den Titel „Bestes Kreuzfahrtschiff der Welt“. Wie die Ein-Mann-Jury arbeitet

Wussten Sie, dass auf der 1986 gebauten und 53872 Bruttoregistertonnen großen „Westerdam“ der „Holland America Line“ die Handtücher klein und „scratchy“, kratzig, sind? Oder dass auf dem mit nur 2122 Bruttoregistertonnen sehr intimen schottischen Luxus-Kreuzer „Hebridean Princess“ das morgendliche Porridge mit einer Lage Malt Whisky serviert wird? Nein? Aber Douglas Ward weiß das.

Und noch viel mehr. Aus persönlicher Erfahrung vor Ort. Denn Mr. Ward hat einen ausgefallenen Beruf: Er ist Kreuzfahrttester. Der 55-jährige Engländer hat das Zeug zum Exzentriker. Beruflich neigt er ein wenig zum Erbsenzählen. Sicher ist: Mister Ward will nur das Beste. Dafür kämpft er auf allen sieben Weltmeeren, mit Thermometer, Taschenlampe, Block und Laptop.

Über 300 Tage im Jahr ist Douglas Ward auf See und prüft Kreuzfahrtschiffe auf ihre Gastlichkeit: von der Kartoffel bis zum Kaviar, von der Kabine bis zum Kino, vom Kellner bis zum Kapitän. Als „eine Art Qualitätskontrolle im Gastgewerbe“ versteht er sich. Nach eigens von ihm entwickelten Systemen errechnet er Punkte und daraus die Sterne. Jährlich erscheint eine Neuauflage des „Berlitz Complete Guide to Cruising & Cruise Ships“. Für jedes Schiff findet der Autor in dem 500-Seiten-Buch auch noch ein paar beschreibende Worte. Ein anerkanntes Standardwerk. Um Mr. Ward kommt in der Branche niemand herum. Er selber auch nicht.

Douglas Ward hat sich einen Beruf ausgedacht, um den ihn viele beneiden. Ich nicht, denn ich habe ihn einige Seemeilen weit bei seiner Arbeit begleitet. Die Anforderungen: wasserdichte Observation rund um die Uhr; nie fünf gerade sein lassen; einen Faible für Fehler; ein Leben im Zahlenmeer. Und natürlich Wissen und Erfahrung. Die Erholung kommt eindeutig zu kurz. Braun gebrannt ist er nicht.

Ich ziehe allerdings meinen Hut vor dem Kunststück, solch eine Lücke für sich zu entdecken. „A nice little niche“ nennt Ward es selber. Das Büro liegt immer am Wasser und es gibt keine Anfahrt im morgendlichen Stau. Wenn er die Augen aufschlägt, ist er schon auf der Arbeit, und drei Minuten später dampft der Tee auf dem Kabinen-Nachttisch.

Er ist der Einzige. Ob es dabei bleibt? Douglas Ward sieht eventuellen Nachahmern nach 34-jähriger See-Erfahrung, davon 17-jähriger Tester-Praxis, mit Gelassenheit entgegen und sitzt mit verschränkten Armen auf einem Deckstuhl an Bord der „Arcadia“, Eigner: die P & O-Linie. Wir kreuzen vor Westafrika. Casablanca, Madeira, Lanzarote, Dakar.

Kein Kellner weit und breit, keine wärmende Decke und der Longchair ist aus Plastik. All das dürfte es nicht geben. Ward notiert die Misslichkeiten auf seinem kleinen Block. Dabei wird es nicht bleiben. Der englische Gentleman mäkelt nicht kommentarlos herum, sondern fordert ein. Oder schlägt dringend vor und mahnt an. Im Interesse aller und zuförderst im Namen der Qualität, die „wir“ letztlich wollen. Manchmal sagt Mr. Ward „wir“. Denn er ist nicht nur der gefürchtete Kritiker der Kreuzfahrtindustrie, sondern zugleich ihr größter Verteidiger. Er liebt die See und die Schiffe und hält diese Art des Reisens „gegenüber jeder Urlaubsform an Land für überlegen“.

„Mobilen Müßiggang“ nannte die „Berliner Zeitung“ das Kreuzfahren sehr treffend. Der Gast sitzt, das Hotel bewegt sich. Jedesmal, wenn man vor die Tür tritt, sieht alles anders aus. Mal anhängliche Marokkaner, mal gleichgültige Madeiraner, einen knappen halben Tag später lächelnd verarmte Kapverdier. Man setzt sich für Augenblicke dem fremden Alltag aus und kehrt dann in die Sicherheit der Schiffsburg zurück. Den Kampf um das tägliche Brot führt man lieber im schwimmenden Zuhause.

Die indischen Kellner haben offensichtlich Angst, dass wir Hunger leiden könnten. Man isst zuviel vom Menü nach Wahl, um sie nicht zu brüskieren. Nur der Tester leistet sich den Luxus der halben Portion und fragt mittendrin – die Braue zuckt – nach einigen Passionsfrüchten. Bei solchen Geduldsüberprüfungen des Personals schürzt Douglas Ward, noch vor den möglichen Fehlleistungen, die Lippen. Immer gespannt, wie die Übung ausgeht. Das Wörtchen „Nein“ akzeptiert der Gott im Bewertungssternenhimmel nicht. Und nur eine Sorte grünes Gemüse zum Dinner ist zu wenig, auch für Engländer. Den 93er Rotwein des ersten Abends schickt der Kapitän. Ward schätzt das als Geste durchaus. Es senkt aber nicht seine Kritikfähigkeit: Der 90er Jahrgang sei ungleich besser, teilt er mir leise mit. Wir prosten Captain Carr am Tisch hinter uns zu.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 23. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 23

No. 23Dezember 2000 / Januar 2001

Von Andreas Greve und Matthew Hawkins

Andreas Greve, Jahrgang 1953, lebt als Reise- und Kinderbuchautor in Hamburg. In diesem Jahr erschien neu aufgelegt: Ein Leuchtturm geht auf Reisen. Die verrückte Geschichte von den Schranken im Meer und dem Leuchtturm an den Gleisen, Nord-Süd-Verlag.

Matthew Hawkins, 1964 geboren, lebt als freier Fotograf in London. Im Dezember stellt er in der Shoreditch Town Hall in London Porträts seiner Tochter aus

Mehr Informationen
Vita Andreas Greve, Jahrgang 1953, lebt als Reise- und Kinderbuchautor in Hamburg. In diesem Jahr erschien neu aufgelegt: Ein Leuchtturm geht auf Reisen. Die verrückte Geschichte von den Schranken im Meer und dem Leuchtturm an den Gleisen, Nord-Süd-Verlag.

Matthew Hawkins, 1964 geboren, lebt als freier Fotograf in London. Im Dezember stellt er in der Shoreditch Town Hall in London Porträts seiner Tochter aus
Person Von Andreas Greve und Matthew Hawkins
Vita Andreas Greve, Jahrgang 1953, lebt als Reise- und Kinderbuchautor in Hamburg. In diesem Jahr erschien neu aufgelegt: Ein Leuchtturm geht auf Reisen. Die verrückte Geschichte von den Schranken im Meer und dem Leuchtturm an den Gleisen, Nord-Süd-Verlag.

Matthew Hawkins, 1964 geboren, lebt als freier Fotograf in London. Im Dezember stellt er in der Shoreditch Town Hall in London Porträts seiner Tochter aus
Person Von Andreas Greve und Matthew Hawkins