Es war einmal ein fernes Land

1949 wanderten 200 deutsche Frauen nach Island aus – gelockt von isländischen Bauern „zur Auffrischung unseres Blutes“

Ursula Guðmundsson

Ihre Hände, ihre wunderschönen schlanken, gepflegten Hände! Ursula hatte in ihrem Leben nie geseufzt, jetzt tat sie es. Zum Arbeiten war sie nach Island gekommen, und Arbeit erledigte sie, gewissenhaft und ohne Murren. Wäsche waschen, Böden putzen, Kartoffeln schneiden, und das für 13 Leute auf dem Bauernhof. Zehn, manchmal zwölf Stunden am Tag, obwohl acht vereinbart waren, wie sie ihrer Bäuerin mit den Fingern im Arbeitsvertrag zeigte, energisch darauf tippen konnte sie noch. Auf diese Hände, rau und rissig, setzte sie sich nun, beim Wiedersehen mit dem Mann, in den sie sich verliebt hatte. Damit er sie nicht sah.

Ein Jahr zuvor, am 1. Juni 1949, hatte sie im Hamburger Hafen gestanden. Sie hatte sich mit abgebrannten Streichhölzern die Augenbrauen nachgezogen und ihre grüne Soldatenjacke mit Knöpfen und Streifen aufgehübscht, damit sie ein bisschen fraulicher aussah. Sie wartete auf ein Schiff, das sie nach Island bringen würde. Es würde ein Neuanfang sein, Liebe nicht ausgeschlossen. 200 Frauen standen mit ihr am Kai, alle mit Reiseköfferchen, alle zurechtgemacht. Dass sich auch 70 Männer auf der „Esja“ einschifften, sagen manche, ist nur dem Alibi geschuldet, dass das Ganze nicht zu sehr nach einem Heiratsmarkt aussah. Sie waren die erste Fuhre, weitere folgten mit Trawlern, und selbst ein Jahr später kamen mit der „Bruarfoss“ noch Frauen hinterher. 200 klingt nach einer kleinen Zahl, aber angesichts der 140 000 Einwohner, die Island damals hatte, war es eine Masseneinwanderung. Die erste organisierte Einwanderung der Insel. „Arbeitskräfte für die Landwirtschaft gesucht, für ein Jahr, für einen Monatslohn von 500 Kronen, Kost und Logis frei“, so lautete die Anzeige des isländischen Bauernverbands, die er in norddeutschen Zeitungen schaltete.

Bauernkräfte? Wenn Ursula sich auf der „Esja“ umschaute, alles hübsche Mädchen, so bezweifelte sie, dass sie nach landwirtschaftlichen Fähigkeiten ausgesucht worden waren. Es soll eine Radiodurchsage im Hafen von Reykjavík gegeben haben: „Herzlich willkommen und danke, dass ihr unser degeneriertes Blut auffrischt“, aber diese Durchsage hat Ursula nicht gehört.

Der Bauernverband wollte der Liebe eine Chance geben. In den ländlichen Regionen Islands herrschte Frauenmangel, seit die aufkommende Fischindustrie, wo mehr zu verdienen war als in der Landwirtschaft, vor allem die Isländerinnen an die Küste gelockt hatte. Deshalb schwärmten Funktionäre aus, in die äußersten Landzungen, in die tiefsten Täler, hinter die verschneitesten Berge, und nahmen die Wünsche der Bauern entgegen. Die Gründe, eine deutsche Frau ins Haus zu holen, mochten für den einzelnen Bauer unterschiedlich sein, dem Verband war das einerlei. Wenn der Bauer schon verheiratet war, hatte er bestimmt einen Sohn oder Bruder, der noch Single war.

Die Anzeigen schaltete der Bauernverband in norddeutschen Zeitungen, nur dort, denn norddeutsche Frauen, dachten die Funktionäre, passten am ehesten zu Isländern. Doch mehr als die Hälfte der deutschen Islandfrauen stammte aus Pommern, Schlesien oder Ostpreußen; sie waren in langen Trecks nach Westen gezogen und hatten sich zu Hunderttausenden in Lübeck versammelt. Ursula kam aus Danzig und war mit ihrer Familie in einem Flüchtlingsheim in Lübeck-Schlutup untergekommen. Die Enge, die Armut, Ursula wollte weg.

Nach fünf stürmischen Tagen auf See schwankten die Frauen in Reykjavík an den Kai, um kurz darauf mit einem Bus über die Heidelandschaft zu holpern. Dann und wann stoppte der Fahrer an einem Bauernhof und rief den Namen des Mädchens, das auszusteigen hatte. Einmal machten sie eine Pause, und als ein Mädchen sagte „Wie schön hier!“, da zischte Ursula: „Schön?“ Erfurt ist schön, der Thüringer Wald, aber diese kahle Landschaft … schön?

Aber auch Bäuerin Ragna war enttäuscht. Sie hatte eine gestandene Frau bestellt und eine halbe Portion bekommen. Aber die Zweifel putzte, schnitt und spülte Ursula schon nach wenigen Tagen hinweg. 

Zwar hatte es in Lübeck Vorbereitungskurse gegeben und sogar einen schriftlichen Leitfaden für das Reisegepäck, „Winke für dt. Arbeiter in Island“, doch die Frauen erlebten in ihrer neuen Heimat Überraschungen. Das Essen zum Beispiel. Aufgesägte Schafsköpfe, aus denen frisch gekochtes Hirn quoll, und die Knechte schlugen sich um die zwei größten Leckerbissen, die Augen. Aber es gab mehr zu essen als in Deutschland, mehr Fleisch vor allem.

Nur wenige Haushalte hatten Strom. Meist waren es Öllampen, die im Winter die Stube erhellten. Überhaupt die Dunkelheit, für die man nur mit den Nordlichtern entschädigt wurde. Und dann die Kälte, die in die Torfhäuser kroch, dagegen konnte der Kohleofen noch so anbollern. Wasserklosetts gab es nicht. Dafür einen Nachttopf, der im Winter, wenn der Schnee ums Haus zog, vor versammelter Mannschaft im Küchenabfluss geleert werden musste.

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mare No. 120

No. 120Februar / März 2017

Von Dimitri Ladischensky und Mathias Bothor

Dimitri Ladischensky, geboren 1972, mare-Redakteur, und Mathias Bothor, Jahrgang 1962, Fotograf aus Berlin, reisten auf der Suche nach den deutschen Einwanderinnen fast einmal um Island. Im Gepäck: sehr viel Lübecker Marzipan – ihr Gastgeschenk.

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Vita Dimitri Ladischensky, geboren 1972, mare-Redakteur, und Mathias Bothor, Jahrgang 1962, Fotograf aus Berlin, reisten auf der Suche nach den deutschen Einwanderinnen fast einmal um Island. Im Gepäck: sehr viel Lübecker Marzipan – ihr Gastgeschenk.
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Vita Dimitri Ladischensky, geboren 1972, mare-Redakteur, und Mathias Bothor, Jahrgang 1962, Fotograf aus Berlin, reisten auf der Suche nach den deutschen Einwanderinnen fast einmal um Island. Im Gepäck: sehr viel Lübecker Marzipan – ihr Gastgeschenk.
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