Erst Seezigeunerin, dann Rockstar

Heather Nova, Sängerin und Komponistin, wuchs auf einem Segelschiff zwischen Amerika und England auf. Mit ihrem ersten Konzert beruhigte sie die Wale

Der Tourbus ist kaputt: Ersatz wird per Schiff aus England kommen, aber nicht mehr vor der Tourneepause. Neun Monate ist Heather Nova nun unterwegs: Konzerte, Autogrammstunden, Fernsehauftritte. Morgen geht es nach Hause. Vier Wochen Urlaub auf den Bermudas sind bitter nötig, erklärt sie. Energie tanken zwischen den kleinen Inseln mitten im Atlantik. Winter im Bermuda-Dreieck.

Der Bus ist ihre Heimat, wenn sie unterwegs ist, und das ist sie oft. Hier hat sie ihre Koje. Egal ob das Konzert in Berlin oder Hamburg war, sie findet abends dasselbe Bett wieder, aus dem sie morgens aufgestanden ist. Schläft in vertrauter Umgebung, während sie der Bus durch die Nacht zum nächsten Auftritt bringt.

Ein Lebensstil, der dem ihrer Kindheit ähnlich ist: Heather Nova wuchs an Bord eines Segelschiffs auf. „Wasserfrau“, titelte eine Musikzeitschrift. Sie selbst sagt: „Wir fahren von Ort zu Ort. Die Band wird deine Familie.“ Die Landschaft wechselt, aber natürlich sei die Straße nicht so schön wie das Meer. Die heutige Crew ist zahlreicher als die von damals. Und wer führt das Kommando an Bord? Einst war ihr Vater der Kapitän, heute ist es der Tourmanager, der alles überblickt.

Die Eltern bauten ein Jahr an ihrem Schiff. Dann verkauften sie ihr Haus und zogen mit der zehnjährigen Heather und ihrer jüngeren Schwester aufs Meer hinaus. Seezigeuner. Von der Ostküste der USA durch die Karibischen Inseln über die Azoren nach England. „Ich wollte das nicht“, erzählt sie. Zu extravagant. „Als Kind willst du nämlich das machen, was alle anderen Gleichaltrigen auch tun.“ Auf einem Schiff umherzuziehen gehörte nicht dazu. „Ich hatte Angst, daß uns ein Wal versenken könnte!“

Aber dann faßte sie Vertrauen in die nautische Kompetenz ihres Vaters und in die Solidität des Schiffes. Sobald die Leinen losgeworfen waren, stahl das Segeln ihr Herz: „Ich wollte die ganze Zeit an Deck bleiben. Es war kalt und naß, ich steckte in meinem Ölzeug, aber es war einfach aufregend, weit draußen auf dem Ozean zu sein.“ Als tatsächlich bei einer Atlantiküberquerung Wale in der Nähe des Schiffes auftauchten, riet ihr die Mutter – durch die Lektüre von „National Geographic“ auf die Idee gebracht –, ihre Geige zu holen und den Tieren vorzuspielen. Die Wale blieben, umkreisten das Boot und schienen zu lauschen.

Heather Nova erinnert sich nicht, jemals auf dem Schiff ängstlich gewesen zu sein. Fünf Jahre lebte die Familie unter Segeln. Die Mutter vermittelte das Lernpensum der Schule durch Fernkurse und hielt die Kinder zum Lesen an. Es ging gut, nur in Mathematik gab es später Lücken, und soziale Kontakte mußte sie erst üben. „Ich hatte meine Koje auf der einen Seite des Schiffes. Gegenüber lag meine Schwester in ihrer Koje, wir hatten Vorhänge vor den Betten, die wir zuziehen konnten, eine Lampe und ein kleines Spind für unsere Sachen. Mehr nicht.“

Nova lobt die Einfachheit dieses Lebens und meint, sie sei der Schlüssel zum Glücklichsein. Ein paar Lieblingsstücke und Bilder reisten mit, so wie heute während der Tourneen. Die Mädchen hatten Pflichten: Katzenklo saubermachen, Deck schrubben, Geschirr spülen. Im Hafen Wasser aus dem Beiboot schöpfen. Sonntags das Messing polieren: Petroleumlampen, Schiffsuhr, Beschläge.

Sie holt ein Bild ihres Segelboots hervor: ein 9x13-Farbfoto mit einem Loch von den Reißzwecken, mit denen es an die Wand gepinnt war. Kräftig sieht das Boot aus, solide und kompakt, wie es da im karibischen Meer herumdümpelt, eine Ketsch mit Gaffeltakelung. Sie sieht aus wie aus Holz, ist aber ein Schiff aus glasfaserverstärktem Kunststoff. „Sandwichbauweise“, sagt sie. „Mein Vater kam nach Klebstoffen stinkend und über und über mit mikroskopisch kleinen Glassplittern bedeckt nach Hause. Die Segel hat meine Mutter genäht.“ Heathers Augen leuchten.

Da sitzt sie in der Hotelhalle – lange blonde Haare, schmale Figur, großer Kopf, wache Augen – und trinkt schwachen Tee. Freut sich auf den Höhepunkt des Abends, wenn sie beim Rockpalast-Konzert mit ihrer Band vor ihrem Idol Van Morrison auftreten darf. Die 31jährige Komponistin und Texterin hat vier Alben herausgebracht, singt von Herzschmerzen und großen Gefühlen, vom Heimkommen und von der Verbindung zwischen Frauen über alle Generationen. Sie ist Publikumsmagnet bei Konzerten und Festivals und wird natürlich auch mit ihrer maritimen Biografie gefeiert: „Verführung der Sirene“, behauptet „Marie-Claire“.

Die Beziehung zum Meer drückt sich in den Titeln ihrer CDs aus: „Blow“, das kann ein Schlag, aber auch die Atemfontäne eines Wals sein. „Oyster“ ist nicht nur die Auster mit der Perle, sondern auch der Name eines englischen Bootstyps. Das während der Winterregen in einem Strandhaus komponierte Album „Siren“ zollt den Wesen Respekt, die halb Fisch, halb Vogel sind und Odysseus mit ihren Stimmen betörten. Die Bezeichnung Sirenengesang paßt zu den akrobatischen Modulationen ihrer hohen Stimme am Anfang des Liedes „Island“: „Ich brauche eine Insel, um dort einen Stein zu versenken“. Den Stein ins Wasser werfen, ohne eine Spur zu hinterlassen: „Ich brauche eine Insel, um dich dort zu begraben.“

Lieder zu schreiben hilft ihr, ins reine zu kommen, bietet aber auch Publikum und Presse Anlaß zum Nachbohren. Aber ihre Familie ist tabu. Bis vor kurzem waren die Eltern noch immer mit dem Schiff unterwegs, und der Name der Yacht bleibt Privatsache. Vor zwei Jahren ist sie noch einmal mit ihnen gesegelt, ein Wiedersehen mit den vertrauten Farben der Karibik nach langer Zeit.

Den Atlantik überqueren, selber steuern? Selbstverständlich traut sie sich das zu, aber einstweilen steht der Beruf im Vordergrund. Auch bei der Musik erlebt sie das Gefühl, hinweggetragen zu werden. Seit acht Jahren wohnt sie in London. Mit der Gitarre in der Hand kam sie an, verteilte ihr Demoband mit fünf eigenen Liedern an Plattenfirmen und trat in Kneipen und einem schwulen Lederclub auf. Lang ist’s her. Das nächste Meer ist vor dem Seebad Brighton, kein rosa Sand wie auf den Bermudas, keine Korallenriffe, grauer und kälter. Ihr macht es nichts aus, daß sie manchmal Heimweh hat; sie konzentriert sich auf Arbeit und Erfolg. Und wartet auf den nächsten Urlaub.

mare No. 14

No. 14Juni / Juli 1999

Von Marianne Lange

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