Entwicklungshilfe für das Nordufer

Jahrhundertelang galt am Mittelmeer die Leitkultur aus dem Orient – der Islam

Atemberaubend schnell rücken die arabischen Heere entlang der Küsten des Mittelmeeres vor. Mohammed, der Künder und Gründer eines neuen, faszinierenden Glaubens, ist 632 gerade erst gestorben, da machen sich schon die islamisch-arabischen Feldherren auf den Weg. Bereits 641 erobert Amru Alexandria. 698 stürmt Hassan Ibn Al-Numan die Hafenfestung Karthago im heutigen Tunesien. 711 setzt Heerführer Tarik von Marokko aus nach Europa über. Der Berg, den er dafür ansteuert, trägt bis heute seinen Namen: Dschebel al-Tarik, verschliffen zu Gibraltar.

Auch die Pyrenäen halten Tarik nicht auf. 715 ist Narbonne erreicht und erobert, und selbst im heutigen Südfrankreich etabliert sich für fast hundert Jahre bis in die Hochtäler der Westalpen hinauf eine islamische Herrschaft. Von Tarsus, heute in der Türkei, rund um das Mittelmeer bis nach Avignon wird Arabisch zur neuen Gemeinschaftssprache, der Gold-Denar zur Leitwährung. Und die eigentliche Triebkraft der Expansion, der Islam, wird zur Leitkultur des Mittelmeer-Raumes.

Denn auch die Inseln werden nach und nach islamisiert: Zypern schon 655, Kreta 823, Sizilien ab 827 - die Eroberung ist 910 abgeschlossen. Sardinien fällt 827, Korsika 850, in Unteritalien wird Bari für dreißig Jahre zum Emirat, auch Neapel wird arabisch. Rom entgeht 846 und 849 der Eroberung nur knapp. Um das Schlimmste zu verhüten, entrichtet Papst Johannes VIII. zwei Jahre lang Tribut an die Kalifen in Bagdad. So ist die Lage um 875 nach Christi Geburt.

875 n. Chr. ? 250 n. H.! Längst haben die Moslems ihre eigene Zeitrechnung: Sie zählen ab der Hedschra. Diese Flucht Mohammeds und seiner Anhänger von Mekka nach Medina im Jahre 622 formte die Gemeinde des Propheten.

Die Expansion nach Indien und Zentralasien bis zu den alten Marktplätzen des mitteleuropäischen Fernhandels geht in ähnlicher Geschwindigkeit vonstatten wie an den Küsten des Mittelmeeres. In den verbliebenen christlichen Territorien nistet sich allmählich die Erkenntnis ein, eigentlich sei die ganze restliche Welt islamisch.

Dabei dominiert die arabische Flotte auch das Mittelmeer selbst. Nur Adria und Ägäis bleiben in der Hand des Byzantinischen Reiches, dessen Kaiser in Konstantinopel residieren. Die Eroberung der christlichen Metropole scheitert über Jahrhunderte. Erst den Türken gelingt der Sieg. Mit der Eroberung Konstantinopels 1453, das Sultan Mehmed II. sofort in Istanbul umbenennt, beginnt für den Balkan die Zeit des Islam. Und als 1683 selbst Kroatien besetzt ist, bleiben als mittelmeerische Gebiete, die nie unter islamischer Herrschaft gestanden haben, kaum mehr als Ober- und Mittelitalien und einige Landstriche in Dalmatien. 90 Prozent der gesamten mediterranen Küstenlinie war irgendwann einmal islamisch beherrscht.

Die schnelle Ausdehnung des neuen Glaubens lag vor allem am politischen Geschick Mohammeds. Der Prophet kleidete alte Gewohnheiten in neue religiöse Gewänder: Er verwandelte die auf der arabischen Halbinsel üblichen alljährlichen Beutezüge in eine vornehme Pflicht des Moslems: den Kampf gegen die Ungläubigen. Und die Verteidigung des eigenen Clans geriet zum „Dschihad", dem kriegerischen Schutz der eigenen Glaubensgemeinschaft.

Die Zwangs-Islamisierung der überwiegend christlichen Küstenbewohner stand hingegen nicht auf dem Programm, zumal im 8. und 9. Jahrhundert die theologischen Spannungen zwischen Christen und Moslems noch begrenzt waren. Der Charme des neuen Glaubens sorgte ohnehin für Massenübertritte. Zudem entsprach die Religionsfreiheit für Christen und Juden dem islamischen Gebot von Großzügigkeit und Toleranz. So war der um 700 von den Arabern eingesetzte Gouverneur von Ceuta ethnisch ein Berber, ein Byzantiner von Kultur und christlichorthodoxen Glaubens.

Für Wissenshungrige war der neue Glaube enorm attraktiv. Als quasi islamische Wissenschaften nahmen Mathematik, Astronomie, Medizin, Philosophie, Handel und Technik einen gewaltigen Aufschwung. Denn den Soldaten folgten die Gelehrten. Sie übernahmen vor allem von den Stadtkulturen des Vorderen Orients das Wissen der Eroberten und entwickelten es weiter.

„Wer nach Wissen strebt, betet Gott an", hatte Mohammed gepredigt und Berührungsängste untersagt: „Erwirb Wissen, aus welcher Quelle es auch stammen mag - auch von den Lippen eines Ungläubigen!"


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mare No. 25

No. 25April / Mai 2001

Von Dietmar Bartz

Dietmar Bartz, Jahrgang 1957, ist mare-Chef vom Dienst. In mare No. 21 beschrieb er, wie das Ahoj nach Böhmen kam.

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Vita Dietmar Bartz, Jahrgang 1957, ist mare-Chef vom Dienst. In mare No. 21 beschrieb er, wie das Ahoj nach Böhmen kam.
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