Endstation Südchina

Wie verschwinden gekaperte Schiffe in der Volksrepublik?

Das Betreten eines Schiffes oder Bootes in der Absicht, Diebstahl oder ein anderes Verbrechen zu begehen – mit der Absicht oder der Fähigkeit, Gewalt im Verfolg dieses Aktes anzuwenden – stellt Piraterie dar.“ So lautet die Definition von Piraterie des International Maritime Bureau, London und Kuala Lumpur.

Im Kaptain’s Club, in Kuala Lumpurs Chinatown unter dem langsam drehenden Fächer, sprechen sie nicht gern darüber. Welcher Seemann gibt schon freiwillig zu, wenn ihm auf dem eigenen Schiff die Börse und der Weltempfänger geklaut werden oder dass ein kleiner Philippino ihm ein Messer an den Hals gedrückt hat: „Sorry, wenn ich dir die Kehle durchschneiden muss.“ Eine Schande, von der die Reeder nichts hören wollen. Die Charterer, die sind nur besorgt um ihr Cargo. Und komm bloß nicht auf die Idee, hier rund um das Südchinesische Meer auf irgendeine Behörde zu hoffen. Da kann es dir passieren, dass du bestraft wirst, obwohl du doch das Opfer bist.

Wenn die Schiffe durch die Straße von Malakka fahren, lassen die Steuermänner die Flutlichter an. Die Wasserschläuche stehen unter Druck. Wenn ein Kopf über der Bordwand auftaucht, heißt es: Wasser marsch! Du starrst auf die See wie in einen Fernsehschirm nach Mitternacht, und dann klopfen sie plötzlich an die Kombüse. Auf so einem Riesenschiff, das früher vielleicht an die 50 Mann Besatzung hatte, arbeiten heute nur noch vierzehn. Auf so einem Tanker, um vom Heck zum Bug zu kommen, braucht man ein Fahrrad.

25. November 1997: Motortanker „Theresa“, unterwegs von Indonesien nach China, wird von 15 Piraten, die mit M16 Maschinengewehren bewaffnet sind, angegriffen. Sie schießen dem 1. Offizier ins Bein, lassen sich den Safe öffnen und stehlen Geld und Eigentum der Mannschaft.

Ein Grund für die Piraterie auf den Weltmeeren: die Armut. Da schwimmen die Pötte wie glitzernde Warenhäuser durch die Dritte Welt. Die Versuchung der leichten Beute ist groß, sind es doch im Durchschnitt gerade mal rund 200 Dollar pro Jahr, die dort in „zivilen“ Berufen verdient werden. Je tiefer die Schiffe in die Inselwelt der Philippinen und Indonesiens eindringen, desto höher das Risiko. In den Archipelen Indonesiens (13 677 Inseln) und der Philippinen (7356 Inseln) leben ganze Dörfer vom Diebstahl auf See. Opfer sind zumeist arme Landsleute, deren Fischerboote und Handelsbarken Tribut leisten müssen. In den schäbigen Häfen mit ihren schiefen Baracken, zerzausten Palmen und morschen Jettys erscheinen dann die großen Dampfer wie die sprichwörtlichen Gelegenheiten, die Diebe machen. Da sind schon ein Kabel, ein Gummiboot, ein paar Eimer Farbe es wert, zum Piraten zu werden.

14. September 1997: Containerschiff „Sable“ im Hafen von Panjang: Rettungsboot gestohlen. 13. Juni 1997: Stückgutfrachter „Bernadette“ im Hafen von Merangas: Fünf Piraten werden von der Mannschaft entdeckt. Sie verschwinden mit einigen Taurollen.

19. September 1997, Motorschiff „Trono“ im Hafen von Ma Pa Thut: Piraten kommen auf das vor Anker liegende Schiff und stehlen einen Motor und Ersatzteile.

Einfacher Diebstahl in den Häfen und Docks ist die mildeste Form von Piraterie. Seit einigen Jahren sind die Sitten rauer geworden. Statt der Messer tragen die Diebe Feuerwaffen. Und auf hoher See agieren organisierte Banden, die über Schnellboote verfügen und an Land ihre Verbindungen zu korrupten Hafenbehörden pflegen, zu betrügerischen Schiffsagenten und Hehlern. Sie sind auf die Fracht aus, bisweilen stehlen sie aber auch das ganze Schiff und lassen es verschwinden. Es wird umgetauft, die Ladung verschoben. Betrügerische Agenten nehmen neue Ladung auf, die dann ebenso schnell im Nichts verschwindet. Solche Geisterschiffe machen ein paar lukrative Reisen, ehe sie auf den Schiffsfriedhöfen von Sansibar, Belize, Colombo oder sonstwo verrotten. Solche großangelegten Raubzüge sind nur möglich, weil es auf dem Land die Netzwerke von Hehlern, korrupten Beamten und gut eingespielten Mafia-Organisationen – wie etwa die chinesischen Triaden – gibt. Und es finden sich in den Häfen immer Hafenkapitäne, die nicht so genau in die Schiffspapiere schauen.

26. Mai 1996: Das Motorschiff „Hye Prosperity“ mit einer Ladung im Wert von zwei Millionen Dollar wird auf dem Weg von Singapur nach Kambodscha im Golf von Thailand von einem chinesischen Polizeiboot gestoppt. Bewaffnete Männer in Marineuniformen verbringen das Schiff in den Hafen von Shanwei, 60 km östlich von Hong Kong. Die Behörden behaupten, die Ladung sei Schmuggelgut, und beschlagnahmen sie. Als der Reeder William Tay in Peking vorspricht, wird er davor gewarnt, nach Shanwei zu reisen. Seine Sicherheit sei dort nicht gewährleistet.

Seit der Kalte Krieg vorbei ist, so schimpfen die Kapitäne, haben die Seemächte ihre Flotten derart verkleinert, daß Hilferufe an irgendeine dienstbereite Navy meist vergeblich sind. Zwar gibt es seit dem britischen Piracy Act von 1698 vielerlei Gesetze auf See, internationale Konventionen und Regeln, aber es muß sich in exterritorialen Gewässern eine Schutzmacht erstmal finden, die einem Frachter mit panamesischer, liberianischer oder sonst einer Billigflagge in der Not zu Hilfe kommt. Die Kriminalität auf der Hochsee kommt so dem am nächsten, was als das perfekte Verbrechen bezeichnet wird: Erfolg für die Piraten und Misserfolg für die Polizei sind fast garantiert. Einige dieser Fälle sind schon fast Legende, gehören zur Folklore der internationalen Seefahrt wie die Geschichte vom Fliegenden Holländer. Es sind Epen von Gewalt und kafkaesker Bürokratie. Das Schicksal der „Anna Sierra“ ist so eine endlose Geschichte.

An einem brüllend heißen Septembertag des Jahres 1995 verläßt das Motorschiff „Anna Sierra“ unter zypriotischer Flagge den Hafen Ko Si Chang, 50 Meilen südlich von Bangkok, vollbeladen mit 12 000 Tonnen Zucker im Wert von fünf Millionen US-Dollar. Die Fracht ist für Manila auf den Philippinen bestimmt. An Bord befinden sich 23 Mann, Griechen, Jugoslawen, Ägypter und Ceylonesen. Am 13. September um 0.30 Uhr befindet sich das Schiff auf der Position 11 Grad, 15 Minuten Nord, 102 Grad, 0 Minuten Ost im Golf von Thailand. Der Ausguck sieht das Schnellboot kommen. „Wie eine Faust aus der Wolke“, sagt der Matrose hinterher. Es war zu spät. Noch ehe der 12 943-Tonnen-Frachter volle Fahrt zur Flucht aufnehmen kann, sind die Piraten längsseits. Mit Seil und Leiter klettern sie die Bordwand hoch, dreißig Mann, Gesichter verhüllt, bewaffnet bis an die Zähne mit Messern und Schnellfeuerwaffen.

Allgemeine Regel auf hoher See ist es, dass die Schiffsmannschaft, haben die Piraten erst einmal das Schiff betreten, sich auf der Brücke sammelt und jeden Widerstand einstellt. Es hat keinen Sinn, den Helden zu spielen. Für die Männer der „Anna Sierra“ beginnen um 1 Uhr früh an diesem 13. September im Golf von Thailand lange Nächte und Tage des Schreckens. Die Piraten schießen mit einer AK 47 die Türen auf. Die Männer müssen sich entkleiden, ihnen werden die Uhren und Ringe abgenommen. Der Kapitän, ein Grieche, wird mit der Waffe am Kopf gezwungen, den Notruf-Beacon zu zeigen. Die Piraten zerstören das Gerät mit einem Feuerstoß. Die Besatzung wird aneinandergefesselt und in die Messe gebracht. Am Morgen schieben die Posten unter der Tür einige Brotscheiben durch. Am Nachmittag bringen sie einen Eimer Wasser. Die Eingesperrten hören, dass die Piraten eine rege Aktivität entfalten. Stunde um Stunde liegen die Männer hilflos und wütend in der heißen Kabine.

Am Morgen des 15. wird die Tür geöffnet, und die Gefangenen sehen mit Entsetzen, dass die Piraten ihre Gesichtsmasken abgelegt haben. Im allgemeinen ein Zeichen dafür, dass die Enttarnten nun zur Exekution schreiten. Das Schnellboot ist verschwunden, es sind nur noch 14 Piraten an Bord. Mit den Gewehrläufen in den Rippen werden die Männer das Fallreep hinuntergetrieben. Der Kapitän und 15 Mann dürfen auf ein Gummiboot klettern, für die anderen acht Matrosen gibt es nur ein Floß, zusammengebunden aus Ölfässern und Brettern. Das Schiff dampft ab und lässt die Seeleute ohne Nahrung, ohne Kompass und Kleidung zurück. Der Kapitän bemerkt noch, dass der Name seines Schiffes übermalt worden ist.


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mare No. 7

No. 7April / Mai 1998

Von Stefan Reisner

Stefan Reisner arbeitet als freier Journalist in Hong Kong. 1990 war er als Passagier eines Flugzeugs von Rangun nach Kalkutta 26 Stunden in der Hand von Luftpiraten. 1997 geriet er im Golf von Tonkin, Vietnam, in die Fänge von Seeräubern.

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Vita Stefan Reisner arbeitet als freier Journalist in Hong Kong. 1990 war er als Passagier eines Flugzeugs von Rangun nach Kalkutta 26 Stunden in der Hand von Luftpiraten. 1997 geriet er im Golf von Tonkin, Vietnam, in die Fänge von Seeräubern.
Person Von Stefan Reisner
Vita Stefan Reisner arbeitet als freier Journalist in Hong Kong. 1990 war er als Passagier eines Flugzeugs von Rangun nach Kalkutta 26 Stunden in der Hand von Luftpiraten. 1997 geriet er im Golf von Tonkin, Vietnam, in die Fänge von Seeräubern.
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