Das Weiß erscheint unendlich, eine gleißend helle, leere Ebene, über der sich der blaue Himmel aufspannt. Wenn sich der Wind legt, ist es vollkommen still. Es gibt nichts, das ein Geräusch macht. „Nicht einmal Tiere leben hier“, sagt Jørgen Peder Steffensen. Er ist schon oft in dieses weiße Nichts zurückgekehrt – auf den mächtigen Eispanzer Grönlands.
Während Touristen mit Kuttern und Schlauchbooten durch die Diskobucht im Westen fahren, um zu erleben, wie die Gletscher kalben und Tausende Tonnen schwere Brocken blau-weißen Eises ins Meer stürzen, zieht es Steffensen immer wieder in das eisige, unbelebte Innere der Insel. Denn der grönländische Eispanzer hat viel zu erzählen. Forscher wie er lesen im Eis wie in einem Buch über die Geschichte der Menschheit, über das Leben unserer Vorfahren. Es verrät uns aber auch, wie sich das Klima der Erde über Tausende von Jahren verändert hat.
Physiker Steffensen ist Spezialist für Eiskernbohrungen am Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen. 1980 reiste er zum ersten Mal nach Grönland, um bei einem Bohrprojekt mitzuarbeiten. Der Grönländische Eisschild ist riesig – er bedeckt mehr als 80 Prozent der Insel und ist im Mittel 1,5 Kilometer dick. An den mächtigsten Stellen türmt sich das Eis so hoch auf wie die Zugspitze.
Gebildet hat es sich in den vergangenen Jahrzehntausenden aus Schnee, den Stürme in Massen auf Grönland abladen. Der Schnee sackt nach und nach zusammen, bildet festen Firn und schließlich Eis. Jahr für Jahr lagert sich neuer Schnee ab, der das Eis weiter zusammenpresst. Je tiefer man bohrt, desto älter ist das Eis. An der tiefsten Stelle des Eisschilds sind es rund 140 000 Jahre. Damals begann der Homo sapiens gerade, sich von seiner Ursprungsregion in Afrika über den Nahen Osten in die Welt auszubreiten.
Weit draußen mit einer kleinen Mannschaft im Eis zu arbeiten habe viel mit Psychologie zu tun, sagt Steffensen. „Wenn das Transportflugzeug, das uns hierherbringt, wieder wegfliegt, dann wissen wir, dass wir jetzt für Wochen auf uns allein gestellt sind. Dann muss man nicht mehr darüber nachdenken, ob man vielleicht etwas vergessen hat, sondern nur noch anpacken.“ Er hat in vielen Projekten mitgearbeitet und Eisbohrkerne nach oben geholt. Im Grunde ist sein Forscherleben eine Tausende Meter lange Aneinanderreihung von Bohrkernen.
Diese Bohrkerne gewinnen Wissenschaftler mit einem Hohlbohrer, der sich Millimeter für Millimeter ins Eis frisst. Wieder und wieder ziehen sie den Bohrer nach oben, holen das Eis aus dem Hohlkörper, immer portionsweise, in drei Meter langen Abschnitten, die so dick sind wie ein Regenrohr. Das Eis enthält viele Spuren aus der Vergangenheit, Millionen von Bläschen, in denen damals Luft einfror und bis heute konserviert wurde. Schmelzen die Forscher das Eis und leiten die Luft aus den Bläschen durch Analyseapparaturen, können sie messen, wie viel an Treibhausgasen – etwa Kohlendioxid, Lachgas oder Methan – die Atmosphäre vor 1000 oder gar 100 000 Jahren enthielt, und abschätzen, wie warm es damals war. Wenn irgendwo auf der Erde ein großer Vulkan ausbricht und Staub bis hoch in die Atmosphäre schleudert, dann rieselt dieser Staub Wochen später mit dem Schnee auch über Grönland herab. In den Bohrkernen erkennt man diese Ascheschichten als dunkel-schokoladige Ringe.
Das Bohren im grönländischen Eis begann in den 1960er-Jahren. Damals baute die US Army eine unterirdische Siedlung in den harten Firn, die zu einer Militärbasis ausgebaut werden sollte, das Camp Century (mare No. 117). Nebenbei durften Forscher des militäreigenen Cold Regions Research and Engineering Laboratory die erste Tiefbohrung in den Eisschild treiben. Im Camp Century und in vielen anderen Bohrprojekten ging es darum, möglichst tief in die Klimageschichte einzutauchen und den Eispanzer bis an seine Basis zu durchbohren, bis zum Boden.
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Für seine Recherche war der Oldenburger Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, nicht in Grönland, aber immerhin im Eislabor in Bremerhaven. Trotz des Polaranzugs wurde ihm dort schnell kalt: Er hatte die falschen Schuhe an.
Für diese Geschichte reiste Anna Domnick, geboren 1983, Fotografin in Berlin, zur Mitte des Grönländischen Eisschilds. Solch eine Kälte, Weite und Geräuschlosigkeit habe sie zuvor noch nie erlebt, sagt sie. Domnicks neueste Arbeiten zum Thema sind im Icefjord Centre im grönländischen Ilulissat zu sehen.
Vita | Für seine Recherche war der Oldenburger Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, nicht in Grönland, aber immerhin im Eislabor in Bremerhaven. Trotz des Polaranzugs wurde ihm dort schnell kalt: Er hatte die falschen Schuhe an.
Für diese Geschichte reiste Anna Domnick, geboren 1983, Fotografin in Berlin, zur Mitte des Grönländischen Eisschilds. Solch eine Kälte, Weite und Geräuschlosigkeit habe sie zuvor noch nie erlebt, sagt sie. Domnicks neueste Arbeiten zum Thema sind im Icefjord Centre im grönländischen Ilulissat zu sehen. |
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Person | Von Tim Schröder und Anna Domnick |
Vita | Für seine Recherche war der Oldenburger Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, nicht in Grönland, aber immerhin im Eislabor in Bremerhaven. Trotz des Polaranzugs wurde ihm dort schnell kalt: Er hatte die falschen Schuhe an.
Für diese Geschichte reiste Anna Domnick, geboren 1983, Fotografin in Berlin, zur Mitte des Grönländischen Eisschilds. Solch eine Kälte, Weite und Geräuschlosigkeit habe sie zuvor noch nie erlebt, sagt sie. Domnicks neueste Arbeiten zum Thema sind im Icefjord Centre im grönländischen Ilulissat zu sehen. |
Person | Von Tim Schröder und Anna Domnick |