Einer wird gewinnen

Viele Schiffe, wenig Fracht – unter Massengutreedern herrscht weltweit ein Dumpingwettbewerb. Nur Spezialisten trotzen der Krise

Thomas Pötzsch steht an Deck der „Kirribilli“ im Hafen von Rotterdam und schaut in einen dunklen Schiffsbauch hinab. Vor ihm klafft eine riesige Ladeluke, fast 20 Meter tief. Dort unten klettern gerade vier Arbeiter über mannshohe Plastiksäcke und befestigen sie mit dicken Tauen an einem Kran. „Hier löschen wir gerade Big bags mit Magnesit aus China“, ruft Pötzsch gegen den Hafenlärm an. Jeder dieser Jumbosäcke wiegt rund eine Tonne. Ein Schwimmkran hebt ein Sechserpaket aus der Luke und lässt es elegant auf ein Binnenschiff niederschweben, das gleich neben der „Kirribilli“ angelegt hat.

Schicht für Schicht, Luke für Luke arbeiten sich die Männer durch den 230 Meter langen Massengutfrachter, einem sogenannten Bulkcarrier. Jede entpuppt sich als Wundertüte. Unter den eng auf­ein­andergestapelten Big bags in Luke zwei liegen noch weitere Schichten Massengut wie Bauxit, ein glitzerndes Aluminiumerz. In Luke drei versetzt ein Kranfahrer Säcke mit fein gemahlenem Grafit, sein Gesicht ist schwarz verschmiert vom Staub. „Am Ende der Löschung einer Ladungsart säubern die Stauer sogar auf Knien die Ecken, um Verschmutzungen an der nächsten Ladung zu vermeiden“, erzählt Pötzsch. „Das ist aufwendige Handarbeit, das macht in Europa sonst keiner mehr.“

Pötzsch ist Chef von CTP, einer Reederei, die sich auf den Transport von losem Material spezialisiert hat – Fachleute sprechen von Massengut, Schüttgut oder auch Bulkerware. Bei Pötzsch an Bord wird geschüttet und gestapelt, aber eben nicht in Containern verpackt. In seiner Branche ist der 60-Jährige hoch spezialisiert. Der gebürtige Schwabe verschifft im Auftrag von Händlern ausschließlich kleinere Mengen besonderer Rohstoffe von China nach Eu­ropa. Am Ende bringt er sie den Endkunden direkt vors Firmentor: Chemiewerken, Stahlkochern, Futtermittelherstellern.

Während andere Massengutreeder sich auf große Mengen einer Ware wie Kohle oder Erz spezialisieren – man könnte sagen: auf das Mehl für einen ­Kuchen –, ist Pötzsch also für Backpulver und Vanillezucker zuständig. Mal sind es 4000 Tonnen Bauxit aus China, die europäische Hersteller von Keramik oder Katzenstreu benötigen, mal sind es 12 000 Tonnen Magnesit, mit denen ein Stahlkocher den Schmelztiegel auskleidet.

Etwa 1,4 Millionen Tonnen dieser aufbereiteten Rohstoffe gibt Chinas Regierung jedes Jahr für den Export nach Europa frei. Nach eigenen Angaben ist CTP ­ auf der Route China–Europa Marktführer für diese Materialien. Das Unternehmen transportiert jährlich etwa eine Million Tonnen. Zwischen 45 und 75 Millionen Euro beträgt der Jahresumsatz der CTP-Logistikgruppe. Über den Gewinn schweigt Pötzsch lieber. Nur so viel: Sein Geschäft sei ebenso sprunghaft wie die Rohstoffmärkte und Rohstoffpreise selbst.

Wer Pötzsch am Firmensitz in Rellingen bei Hamburg besucht, der taucht in dem unscheinbaren Ort in eine extravagante Welt ein. Das beginnt schon beim Firmenkürzel. CTP steht offiziell für Cargo Trans Pool, aber auch – im besten Werbersprech – für Committed To Perform und nicht zuletzt für den Reedereichef selbst, Captain Thomas Pötzsch.

Die Firmentür springt auf, hinein geht es in einen lang gezogenen Neubau in Form eines Schiffes – selbst entworfen vom Waldorfschüler und Kapitän auf gro­ßer Fahrt Pötzsch. Im ersten Stock des Großraumbüros thront er am Ende eines langen Ganges hinter einem riesigen, halbrunden Schreibtisch. Besucher laufen frontal auf ihn zu. Vor ihm stehen drei große Bildschirme und zwei Telefonanlagen. Der Kapitän auf der Brücke.

In den vergangenen Jahren hat Pötzsch mit seinen 70 Mitarbeitern das Stauen an Bord perfektioniert. Denn eigentlich mutet es fast altmodisch an, ein Schiff mit vielen verschiedenen Partien zu beladen; in der Regel ist das unwirtschaftlich. Nicht für Pötzsch. Der Stuttgarter kennt die chemi- schen und mechanischen Eigenschaften der Stoffe, er weiß, wie und wo man sie am besten staut: weißes, feuerfestes Magnesit etwa nie in eine Luke mit schwarzem Grafit. Eine Tonne Glimmer verbraucht zwei Kubikmeter Platz, eine Tonne Magnesit dagegen nur 0,6 Kubikmeter.


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mare No. 120

No. 120Februar / März 2017

Von Marlies Uken und Jan Windszus

Marlies Uken, geboren 1977, Autorin in Berlin, bestieg für ihre Recherche im Rotterdamer Hafen zum ersten Mal einen Bulkcarrier. Und zwar nicht wie üblich über eine Gangway, sondern auf einer Strickleiter an einer zehn Meter hohen Schiffswand.

Der Berliner Fotograf Jan Windszus, Jahrgang 1976, war fasziniert von den gigantischen Ausmaßen eines Massengutfrachters. Und von den Arbeitern, die eine Woche lang rund um die Uhr die Ladung löschen. „Eine logistische Meisterleistung.“

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Vita Marlies Uken, geboren 1977, Autorin in Berlin, bestieg für ihre Recherche im Rotterdamer Hafen zum ersten Mal einen Bulkcarrier. Und zwar nicht wie üblich über eine Gangway, sondern auf einer Strickleiter an einer zehn Meter hohen Schiffswand.

Der Berliner Fotograf Jan Windszus, Jahrgang 1976, war fasziniert von den gigantischen Ausmaßen eines Massengutfrachters. Und von den Arbeitern, die eine Woche lang rund um die Uhr die Ladung löschen. „Eine logistische Meisterleistung.“
Person Von Marlies Uken und Jan Windszus
Vita Marlies Uken, geboren 1977, Autorin in Berlin, bestieg für ihre Recherche im Rotterdamer Hafen zum ersten Mal einen Bulkcarrier. Und zwar nicht wie üblich über eine Gangway, sondern auf einer Strickleiter an einer zehn Meter hohen Schiffswand.

Der Berliner Fotograf Jan Windszus, Jahrgang 1976, war fasziniert von den gigantischen Ausmaßen eines Massengutfrachters. Und von den Arbeitern, die eine Woche lang rund um die Uhr die Ladung löschen. „Eine logistische Meisterleistung.“
Person Von Marlies Uken und Jan Windszus