Eine Frau von Stand

Eine Bretonin in Berlin schafft es an die Spitze der Edelfischver­käufer in der Hauptstadt – mit Liebe, Hingabe und Kennerschaft

Es gibt Gesetzmäßigkeiten,   die nicht schnell durchschaubar sind. Wenn ein Japaner mit einem Müllsack über der Schulter die Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg verlässt, dann muss es Mittwoch oder Freitag sein. Er ist der Erste, der wartet, wenn der Wagen des „Fish Klub“ seine Frontlade öffnet, er wirft keinen Blick auf die glänzenden Schönheiten, die dort auf Eis bereitliegen, er hat vorbestellt. Die Übergabe der Ware vollzieht sich fast wortlos, mächtige Fische gleiten in seine Tüte, den gut gelaunten Spanier, der ihm Rezeptideen mit auf den Weg geben will, ignoriert er mit ernstem Blick. Als er außer Hörweite ist, raunt die Fischverkäuferin: „Das ist der Koch des besten japanischen Restaurants in Berlin.“ 


Der Spanier hat ihr Kirschen mitgebracht und frohlockt über das, was sie mit fachkundiger Hand filetiert oder in der Auslage zurechtrückt: Seehecht, Mee­r­äsche, Barben, Schwertfisch, Barsche, Brassen, Garnelen und Austern, fünferlei Sorten davon. Er spricht so eifrig, wie es nur Hobbyköche tun, über die Zubereitung von Garnelenöl und bestellt für seinen Geburtstag große Mengen an Austern. „Die Odettes sind die besten, die ich je gegessen habe“, sagt die Fischverkäuferin, „wenn sie bei der nächsten Lieferung wieder so gut sind, packe ich Ihnen gleich welche davon weg.“ 


Margaux Friocourt hat die Essenz ihres Tagwerks dann schon erledigt. In den Morgenstunden ist sie für niemanden zu sprechen außer für die marieurs, ihre Fischmakler in Guilvinec, in Saint-Gilles-Croix-de-Vie oder auf Noirmoutier. Sie sind die Verbindungsmänner zum Meer ihrer Heimat, zu den atlantischen Gewässern vor der französischen Küste, handverlesene Einkäufer für die 37-jährige Pariserin mit der bretonischen Mutter. Ihre halbe Kindheit hat sie in der Bretagne verbracht. Es stecke viel Keltisches in ihr und, klar, die Liebe zum Meer. Aber es braucht mehr, um einen Direktimport für Frischfisch zu organisieren, der, wie die Fachpresse urteilt, die Berliner Gastroszene in Pariser Sphären emporhebt. Friocourt erklärt das Prinzip ihrer Arbeit in prosa­ischer Kürze, sie hat für Ausschweifendes keine Zeit. „Ich kaufe für meine Kunden den besten Fisch, den sie kriegen können. Es ist ein kuratierter Vorgang.“ 

Sie ist Fachfrau der höchsten Ansprüche, hat in Montreux Luxury Management studiert, weltweit in noblen Häusern ge­arbei­tet und in Paris ein Lokal mit dem größten Champagnerkeller der Stadt geführt. Und so, wie sie damals über die besten Lagen referierte, spricht sie heute über Fisch. 

Über die Herkunft der Ware, das Handwerk der Fischer, über Boote, die nicht mehr als zwölf Meter und drei Mann Besatzung haben, über nachhaltige Fangmethoden. Und über eine Lieferkette, die den Fisch aus dem Atlantik in 48 Stunden nach Berlin bringt. Mit Schalentieren hat sie angefangen, als sie für eine Veranstaltung in Berlin nach Austern suchte, die sie überzeugen würden. Sie hat sie schließlich selbst importiert, ist die bretonische Küste abgefahren, um sich durchzuprobieren und Züchter zu finden, die verantwortungsvoll ihr Geschäft betreiben. Einmal im Monat fand ihr „Oyster Klub“ statt – Naturweine und Austern, die Hauptstadt war entzückt. Und der Unternehmergeist in ihr hatte einen Bedarf entdeckt. 

Mit den Betreibern der Markthalle Neun, Epizentrum bewusster Esskultur in Berlin, war sie schnell einig. Ein Stand mit Meerestieren, deren Herkunft man bis zu ausgesuchten Fischern zurückverfolgen kann, hatte dort noch gefehlt. Gut 50 ­Restaurants beliefert Margaux Friocourt neben ihrem Stand zweimal die Woche und hat schon vielen misstrauischen Berlinern den Genuss der ersten Auster beigebracht. Aber sie weiß auch, dass gerade in Deutschland ein größerer Lehrauftrag vor ihr liegt. „Das Meer ist ein Terroir, es gibt wie beim Wein verschiedene Klimata, Geschmäcker, Arten zu fischen. Viele Leute haben davon keine Ahnung, sie denken, ein Fisch, den man essen kann, muss ein gefrorenes, weißes Rechteck sein.“ 


Seeteufel in Harissasauce

Zutaten (für vier Personen)
1 rote Paprika, 300 g Kirschtomaten, 1 Zwiebel, 2 bis 3 gekochte und gepellte Kartoffeln, 400 g Seeteufel, 2 EL Tomatenmark, etwas Koriander, 1 TL Zucker, 3 EL Harissa, Olivenöl.

Zubereitung
Paprika und Zwiebeln klein schneiden, mit den Tomaten und etwas Öl und Salz im Ofen bei 200 Grad 20 bis 25 Minuten rösten. In einem Topf das Tomaten­mark mit etwas Öl bei niedriger Hitze ­unter ständigem Rühren 5 bis 7 Minuten kochen, bis die Paste anfängt, dunkler zu werden, Harissa hinzufügen und weitere 1 bis 2 Minuten kochen. Eine Tasse Wasser und das geröstete Gemüse, Salz, Pfeffer und Zucker hinzufügen, weitere 10 Minuten auf niedriger Stufe kochen. Den Seeteufel in Stücken von circa 100 g, Kartoffeln und gehackten Koriander in den Topf geben und 12 bis 15 Minuten auf niedriger Stufe kochen, bis der Fisch gar ist. Achten Sie darauf, dass der Fisch während des Kochens vollständig mit der Sauce bedeckt ist.

Fish Klub in der Markthalle Neun
Eisenbahnstraße 42/43, 10997 Berlin, geöffnet Mi, Do 12–18, Fr 11–18, Sa 10–18 Uhr, Telefon 0162/1983598.

mare No. 155

mare No. 155Dezember 2022 / Januar 2023

Von Martina Wimmer und Zoe Spawton

Martina Wimmer, geboren 1965 in Oberbayern, wohnhaft in Berlin. War Redakteurin bei ME/Sounds, freie Journalistin in New York und ist seit 1995 Mitglied des Journalistenbüros Schön & Gut. Schreibt als freie Autorin u.a. für Geo Saison, Greenpeace Magazin, SZ-Magazin und Merian und ich Kultur-Redateurin bei mare.

Zoe Spawton, Australierin, lebt seit über 20 Jahren in Berlin und arbeitet als Fotografin.

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Vita Martina Wimmer, geboren 1965 in Oberbayern, wohnhaft in Berlin. War Redakteurin bei ME/Sounds, freie Journalistin in New York und ist seit 1995 Mitglied des Journalistenbüros Schön & Gut. Schreibt als freie Autorin u.a. für Geo Saison, Greenpeace Magazin, SZ-Magazin und Merian und ich Kultur-Redateurin bei mare.

Zoe Spawton, Australierin, lebt seit über 20 Jahren in Berlin und arbeitet als Fotografin.
Person Von Martina Wimmer und Zoe Spawton
Vita Martina Wimmer, geboren 1965 in Oberbayern, wohnhaft in Berlin. War Redakteurin bei ME/Sounds, freie Journalistin in New York und ist seit 1995 Mitglied des Journalistenbüros Schön & Gut. Schreibt als freie Autorin u.a. für Geo Saison, Greenpeace Magazin, SZ-Magazin und Merian und ich Kultur-Redateurin bei mare.

Zoe Spawton, Australierin, lebt seit über 20 Jahren in Berlin und arbeitet als Fotografin.
Person Von Martina Wimmer und Zoe Spawton