Es sind erhabene Momente, wenn die Hallig zur Ruhe kommt. Wenn die Wattwanderer weg sind und nichts mehr da ist als Stille und Weite, Vogelschwärme, Salzwiesen und die auflaufende See. Und über allem schwebt ewig ein gigantischer Himmel. Nur nicht in der Küche. Dort muss abgewaschen werden. Auf dem Herd in dem alten Reetdachhof auf der Warft kocht das Wasser in den Kesseln. Neben der Spüle stapelt sich das Geschirr. Gut 70 Wattwanderer waren gerade da. Kamen mit Knud Knudsen, dem Halligpostboten, der zweimal in der Woche die Post nach Süderoog bringt, per pedes, und im Sommer Touristen. Eine Stunde bleiben die Gäste auf dem eigentümlichen Eiland, auf dem sonst nur zwei Leute leben: Nele Wree und Holger Spreer.
Süderoog liegt sechs Kilometer Luftlinie vor der Insel Pellworm. Drei Priele und, je nach Gezeiten, die See oder jede Menge Schlick trennen das Paar von ihren nächsten Nachbarn. Nele und Holger sind die einzigen ständigen Bewohner des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Sie leben in Schutzzone 1. In der Meereseinsamkeit. Und Süderoog ist ihr Schützling. Sie sind hier, um auf die Hallig aufzupassen, deren Ufer zu verteidigen gegen das Nagen der See und um den Menschen, die herkommen, die Natur näherzubringen. 1100 Meter lang ist das Eiland, 785 Meter breit. Ein kleiner Kosmos, den das Meer regelmäßig schluckt.
Meist deichlos, schutzlos und nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen die Halligen im schleswig-holsteinischen Wattenmeer. Es gibt insgesamt zehn, doch Süderoog gehört zu den einsamsten. Bei Sturmfluten werden sie bis zu 30-mal im Jahr überspült. „Land unter“ nennt man das. Dann ragen nur noch die Warften aus der See, die Erhebungen, auf denen die Höfe liegen. Tobt der Blanke Hans, werden sie zu Miniinseln und das Leben dort draußen zum Tanz auf dem Meer.
Schon Plinius der Ältere notierte vor 2000 Jahren, dass man in dieser Landschaft nie wisse, ob sie „zum Land oder zum Meer gehört“. Sie ist amphibisch und im Bund mit dem Mond. Mal zart, mal mächtig, mal eng, mal unendlich. „Schwimmende Träume“ nannte Theodor Storm die Halligen und ließ seine Novelle „Eine Halligfahrt“ auf Süderoog spielen. Sie erzählt von Illusionen, von Schönheit, Wehmut und dem Finden wahrer Freiheit.
„Eine geflügelte Wache“ schien die Hallig zu umgeben. Die Vögel glichen „einem ungeheuren schwebenden Gürtel, der das ganze Eiland zu umschließen schien; ihre ausgebreiteten mächtigen Flügel erschienen wie durchsichtiger Marmor gegen den sonnigen Mittagshimmel. – Das war fast wie in einem Märchen“, schrieb Storm. Nur, um kurz darauf zu relativieren: „Aber es war dennoch keine Zauberinsel, sondern eine Hallig des alten Nordfrieslands.“
Nele Wree, 34, steht in der Küche des alten reetgedeckten Hallighofs auf der Warft. „Alle fragen nach der Einsamkeit“, sagt sie und wäscht ab. „Dabei ist man hier selten allein.“ Ruhige Abende gebe es kaum. Ständig sei etwas zu tun oder jemand da. Die Wasserbauwerker aus Pellworm, die beim Küstenschutz helfen, Praktikanten, Handwerker, Wattwanderer, Hochzeitsgesellschaften. Lauter Menschen, um die man sich kümmern muss. Zu schweigen von den Tieren. Und noch etwas, sagt sie, wollten die Leute wissen: „Wie das ist, wenn man sich hier streitet?“ Aber sie verstehe die Frage nicht. „Man läuft doch auch in der Stadt nicht bei jedem Streit weg und kommt drei Tage nicht zurück. Wenn man sich streitet, verträgt man sich halt wieder. Fertig.“
Doch eines helfe schon, hier draußen durchzuhalten: frisch verliebt zu sein. Das waren die beiden, als sie beschlossen, nach Süderoog zu ziehen – 2013, mit Anfang dreißig, in aller Anfangsverrücktheit. Ihre Liebe und Süderoog sind eng verbunden. „Vielleicht“, sagt Holger Spreer, 37, „hat die Hallig ja uns ausgesucht.“
Sie kannten sich schon lange, von der Insel Pellworm, wo er als Krabbenfischer arbeitete und Neles Eltern eine Ferienwohnung hatten. Sie war 17, er 19, als sie sich im Hafen über den Weg liefen. Sie gingen Billard spielen, baden und nachts am Deich spazieren. Ein Paar wurden sie nicht. Aber sie hielten Kontakt. Nele ging nach Bonn, studierte Kunstgeschichte. Holger machte sein Kapitänspatent und zog später sogar ein paar Jahre nach Koblenz, wo er Versicherungsfachmann lernte und feststellte: Es ist nichts für ihn. Zurück auf Pellworm, Anfang 2012, schrieb er an Nele: „Wir haben uns jetzt zehn Jahre nicht gesehen. Wird mal wieder Zeit.“
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Andrea Walter, Jahrgang 1976, lernte auf Hallig Süderoog, was man in Schleswig-Holstein unter einer „Pulparty“ versteht: stundenlang Krabben pulen. Das Gute: Man kommt dabei ins Gespräch.
Stefanie Silber, geboren 1975 in Hamburg, studiert Fotojournalismus und Dokumentarfotografie in Hannover. Winterliche zehn Wochen auf Hallig Hooge waren der Anfang ihrer Halligliebe. Die Wattwanderungen bei blauem Himmel und Seenebel waren ein gutes Training für den Weg zu Nele und Holger.
Vita | Andrea Walter, Jahrgang 1976, lernte auf Hallig Süderoog, was man in Schleswig-Holstein unter einer „Pulparty“ versteht: stundenlang Krabben pulen. Das Gute: Man kommt dabei ins Gespräch.
Stefanie Silber, geboren 1975 in Hamburg, studiert Fotojournalismus und Dokumentarfotografie in Hannover. Winterliche zehn Wochen auf Hallig Hooge waren der Anfang ihrer Halligliebe. Die Wattwanderungen bei blauem Himmel und Seenebel waren ein gutes Training für den Weg zu Nele und Holger. |
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Person | Von Andrea Walter und Stefanie Silber |
Vita | Andrea Walter, Jahrgang 1976, lernte auf Hallig Süderoog, was man in Schleswig-Holstein unter einer „Pulparty“ versteht: stundenlang Krabben pulen. Das Gute: Man kommt dabei ins Gespräch.
Stefanie Silber, geboren 1975 in Hamburg, studiert Fotojournalismus und Dokumentarfotografie in Hannover. Winterliche zehn Wochen auf Hallig Hooge waren der Anfang ihrer Halligliebe. Die Wattwanderungen bei blauem Himmel und Seenebel waren ein gutes Training für den Weg zu Nele und Holger. |
Person | Von Andrea Walter und Stefanie Silber |