Ein radikaler Plan

Polen ringt um das endgültige Ende der Abhängigkeit von russi­schen Energielieferungen. Helfen soll dabei das Meer. Das Land ­besinnt sich neu auf sein maritimes Erbe

Zwar gibt es im polnischen Teil der Ostsee kaum Erdöl, dennoch hat sich die polnische Regierung entschieden, es zu fördern. Das neueste Ölfeld, in der Nähe von Rozewie (deutsch Rixhöft), wurde 2015 geöffnet. Zbigniew Paszkowicz, der damalige Geschäftsführer der vom polnischen Staat kontrollierten Gesellschaft Lotos Petrobaltic, sagte, auf diese Weise trage man dazu bei, die Energiesicherheit in Polen zu erhöhen.


Das aus der polnischen Ostsee ge­för­derte Öl deckt gerade 1,1 Prozent des gesamten Jahresbedarfs, doch dient es dazu, die Einfuhren aus Russland zu reduzieren. Weil die Ölressourcen in Polen knapp sind, werden mehr als 97 Prozent des Rohstoffs aus dem Ausland importiert, das meiste davon aus Russland. 


Seit Jahrzehnten bemühen sich Polens Regierungen, die Abhängigkeit von Energie aus Russland zu senken. Selbst kleine Mengen Öl sind für Polen von enormer Bedeutung. Gerade jetzt, da Russland Krieg gegen die Ukraine führt, scheint eine wirtschaftliche Los­lösung von Moskau dringlicher denn je. Die polnische Regierung ist die stärkste Befürworterin eines Embargos auf die Öl- und Gasimporte aus Russland. Bis Ende dieses Jahres will Warschau sämtliche Einfuhren einstellen. 


Die Regierung hat verschiedene alternative Bezugsquellen im Visier. Gas etwa soll von Norwegen durch die „Bal­tic Pipeline“ nach Polen strömen. Auch Öl soll von woanders her oder aus eigenen Quellen aus dem Meer kommen. Hauptsache, nicht aus Russland.

Das Misstrauen hat eine lange Geschichte. Seit Jahrhunderten sieht sich Polen einer aggressiven russischen Expansionspolitik gegenüber. Russ­land hat im 18. Jahrhundert zusammen mit Preußen und Österreich Polen unter sich aufgeteilt und dabei Landgebiete in einer ­Größe von einer Million Quadratkilo­metern annektiert. Im Zug der Einverleibung kamen viele Millionen polnische Einwohner unter russische Fremdherrschaft und wurden in den Folgejahren zwangsweise russifiziert. Auch die beiden verbündeten Mächte Preußen und Österreich besetzten polnisches Territorium. Die Folge: Von 1795 an existierte für mehr als 120 Jahre kein souveräner polnischer Staat. 

Als Polen nach dem Ersten Weltkrieg 1918 seine Unabhängigkeit zurückerhielt, dauerte es keine zwei Jahre, bis Moskau abermals versuchte, Polen zu erobern. Der Marsch der Bolschewiken während des Polnisch-Sowjetischen Kriegs wurde aber 1920 an der Weichsel gestoppt, von Józef Piłsudski, dem späteren Herrscher Polens. 

1939 dann, im Zug des Hitler-Stalin-Pakts, teilten Nazideutschland und die Sowjetunion Polen unter sich auf. Mindes­tens 200 000 Polen wurden nach Russland verschleppt, unter anderem nach Sibirien. Nach dem Zweiten Weltkrieg degradierte die Sowjetunion Polen zu seinem Satelliten; jede Form von politischer Unabhängigkeit wurde streng untersagt und mit Gefängnis, Folter und Todesurteilen bestraft. Erst nach der Wende 1989 kam Polen frei und stärkte seine Unabhängigkeit, indem es 1999 Mitglied der Nato und 2004 der EU wurde. Trotzdem verfolgte Warschau mit großer Besorgnis Russlands Angriff auf Georgien 2008, den russisch-ukrainischen Gasstreit ab 2005, die Anne­xion der Krim 2014 und den Krieg im Donbass. All das macht Polen Angst.

Daher bemüht sich Warschau derzeit vermehrt um Gas und Öl aus Ländern wie Irak oder Saudi-Arabien, um so die Abhängigkeit von Russ­land zu reduzieren. Das Staatsunternehmen Lotos sucht verstärkt nach Öl nicht nur in der Ostsee, sondern auch in der Nordsee, in Norwegens Gewässern. Im Dezember 2021 hat die staatliche Tochtergesellschaft Lotos Norge begonnen, am norwegischen Kontinentalschelf Öl zu ­fördern. Täglich sollen aus dem Ölfeld Yma bis zu 5000 Barrel gefördert werden, der Vorrat soll für fünf Jahre reichen. Und Lotos Norge will weiter in norwegischen Gewässern nach Öl suchen.

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mare No. 152

mare No. 152Juni / Juli 2022

Von Michał Kokot und Mikołaj Nowacki

Michał Kokot, Jahrgang 1981, ist Redakteur im Auslandsressort der „Gazeta Wyborcza“ in Wrocław, Polen. Er schreibt vor allem über Ost- und Südeuropa.

Mikołaj Nowacki, geboren 1972, lebt als freier Fotograf in Wrocław. Er verfolgt langfristige Foto­projekte über die Beziehungen des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt, insbesondere zum Wasser. Darüber hinaus dokumentiert er soziale, kulturelle und wirtschaftliche Themen, unter anderem zivile Unruhen, Menschenrechte und den Klimawandel.

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Vita Michał Kokot, Jahrgang 1981, ist Redakteur im Auslandsressort der „Gazeta Wyborcza“ in Wrocław, Polen. Er schreibt vor allem über Ost- und Südeuropa.

Mikołaj Nowacki, geboren 1972, lebt als freier Fotograf in Wrocław. Er verfolgt langfristige Foto­projekte über die Beziehungen des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt, insbesondere zum Wasser. Darüber hinaus dokumentiert er soziale, kulturelle und wirtschaftliche Themen, unter anderem zivile Unruhen, Menschenrechte und den Klimawandel.
Person Von Michał Kokot und Mikołaj Nowacki
Vita Michał Kokot, Jahrgang 1981, ist Redakteur im Auslandsressort der „Gazeta Wyborcza“ in Wrocław, Polen. Er schreibt vor allem über Ost- und Südeuropa.

Mikołaj Nowacki, geboren 1972, lebt als freier Fotograf in Wrocław. Er verfolgt langfristige Foto­projekte über die Beziehungen des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt, insbesondere zum Wasser. Darüber hinaus dokumentiert er soziale, kulturelle und wirtschaftliche Themen, unter anderem zivile Unruhen, Menschenrechte und den Klimawandel.
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