Er und der große Strom: Das ist das erste Bild, das ihm einfällt, wenn er an seine Kindheit denkt. Der Achtjährige, der zum ersten Mal mit seiner Opti-Jolle aus dem Alten Hafen von Brunsbüttel hinausfährt auf die Elbe, die hier schon Seerevier ist, drei Kilometer breit, knapp drei Meter Tidenhub, starker Gezeitenstrom und brechende Wellen, wenn der Strom gegen den Wind läuft, jede Menge große Seeschiffe. Schon mit neun Jahren segelt er da die ersten Regatten.
„Ich habe sehr schnell gelernt, mich auf die Naturgewalten einzustellen. Das hat was mit Freiheit zu tun, aber auch mit Cleverness.“ Niels Stolberg ist der Sohn eines Kapitäns, der jetzt als Lotse arbeitet. Das Elternhaus steht im alten Teil von Brunsbüttel, einen Steinwurf vom Elbdeich entfernt. Manchmal nimmt ihn der Vater mit, wenn er den Kapitänen bei der Ansteuerung der Schleuse zum Nord-Ostsee-Kanal assistiert. Der Junge ist beeindruckt: die Größe der Pötte, ihre gewaltigen Maschinen, die Steuermannskunst, die sie beim Einlaufen in die Schleusenkammer fordern. „Damals gab es noch keine Bug- und Heckstrahlruder, da musste man beim Anlegen noch in die Spring dampfen.“
Wenn er segelt, beobachtet er die Schiffe, die ihm begegnen. Er kennt bald jede Bauart, jedes Herkunftsland, jede Besonderheit. Bei Regatten spricht er mit dem Wind. „Ich hab ihm gesagt, er soll mal was für mich tun.“ Der Wind hilft ihm. Er kommt immer ins Ziel, oft als Erster. Er ist schnell, furchtlos, clever, erfolgreich. Eine Seefahrtsausbildung nach dem Abitur versteht sich von selbst. Stolberg studiert Nautik an der Seefahrtschule in Elsfleth und betreibt nebenher einen einträglichen Handel mit Bioäpfeln aus eigener Ernte. Seine praktische Ausbildung macht er auf einem Schwerguttransporter, mit 24 ist er Diplom-Ingenieur für Seeverkehr. Am 10. Juli 1985, ein unvergesslicher Tag, tritt er sein erstes Kommando als Zweiter Offizier im Rotterdamer Hafen an. „,Wir laufen um Mitternacht aus‘, sagte der Kapitän, ‚du hast ja das große Patent, du übernimmst die erste Wache.‘“
Da steht er dann auf der Brücke nachts um halb eins, 100 Meter Schiff unter sich, die er die Maas hinuntermanövrieren soll, überall blitzen und zucken Lichter, GPS und Kartenplotter gibt es noch nicht. „Das Gefühl, das erste Mal allein da oben zu stehen und verantwortlich zu sein, das war schon komisch.“ Aber auch irgendwie berauschend. Und natürlich bringt er das Schiff sicher in die Nordsee.
Stolberg lernt die „große Fahrt“ noch von ihrer schönen Seite kennen. Er fährt für Hapag-Lloyd auf modernen Stückgutschiffen mit Tanks für Spezialladungen, Süßöle beispielsweise oder Froschschenkel; sie fahren nach Indonesien und Malaysia, Kanada und Australien, an Bord gibt es noch Funker und Stewards und in den Häfen noch die ganze Vielfalt der Schauerleute, Lukenvize, Tallymänner, Kranführer, Kneipen und Dockschwalben. Aber dann kommen die Container, die Liegezeiten verkürzen sich, die alte Hafenkultur verschwindet, und das Personal an Bord wird rigoros abgebaut. Als Stolberg sein Patent ausgefahren hat und als Kapitän Schiffe jeglicher Größe führen darf, hat sich die Bedeutung des Kapitäns in die eines Geräteführers verwandelt. „Alles Wichtige, Planung, Befrachtung, Logistik, fand jetzt an Land statt.“
Stolberg quittiert den Dienst und beginnt 1991 bei der Reederei Bruno Bischoff in Bremen eine Befrachtungsabteilung aufzubauen. „Man sucht Fracht, die befördert werden will, und chartert dann die Schiffe, um sie zu befördern.“ Sein Gesellenstück ist ein 12 000-Tonnen-Transport von Kanada nach Sibirien, alles noch ohne Computer und E-Mails. Es ist wieder so ein unvergesslicher Tag, ein Gefühl zwischen mulmig und berauschend. Er steht am Kai in Sankt Petersburg, verfolgt das Einlaufen des Transportschiffs mit den riesigen Trucks für die Erdölindustrie an Bord und kontrolliert ihre Umladung auf 120 Eisenbahnwaggons, die noch einmal 1700 Kilometer nach Nischnewartowsk rollen müssen, bevor seine Verantwortung beendet ist. Wieder klappt alles reibungslos. Auftraggeber, Empfänger, Reederei – alle sind zufrieden. Sein Name bekommt Klang zwischen Québec und Wladiwostok. Ein weltweites Netzwerk von Partnern entsteht, von „Leuten, die wussten, dass man sich aufeinander verlassen kann“.
Er wohnt mit seiner Familie in Oldenburg und nimmt jeden Morgen den Zug um 6.35 Uhr nach Bremen, um 7.30 Uhr ist er im Büro. Als Erster. Um 21 Uhr geht er wieder. Als Letzter. „Ich war neugierig. Ich habe gemerkt, dass ich sehr belastbar und sehr diszipliniert bin, dass ich sehr viel arbeiten kann und es mir auch noch Spaß macht.“ Im Sommer 1994 lädt er einen Kollegen aus der Befrachtungsabteilung zum Segeln ein. Sie mieten eine Jolle und kreuzen auf dem Zwischenahner Meer. Dabei eröffnet Stolberg, der Mann an der Pinne, dem anderen an der Vorschot seinen Plan: selbstständig machen! Im gleichen Sommer ist er zu Besuch bei seinen Schwiegereltern in Vancouver und fährt hinaus zum Whalewatching. Er beobachtet Belugawale. „Imponierende Tiere, soziale Wesen, kräftiges Rückgrat, melodischer Name, gut zu merken, positiv besetzt. Alles passte.“ Im Dezember 1995 gründen Niels Stolberg und Erhard Koschorreck die Beluga Shipping GmbH. „Wir hatten nichts. Kein Schiff, keine Ladung, kein Kapital. Wir hatten nur das Gefühl: Wir sind gut.“
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Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, ehemaliger Reporter beim „Stern“ in Hamburg, traf Niels Stolberg dreimal zu langen Gesprächen in Oldenburg.
Mathias Bothor, geboren 1962, Fotograf in Berlin, war vor allem beeindruckt von Stolbergs Energie. „Ihr kann man sich nicht entziehen.“
Vita | Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, ehemaliger Reporter beim „Stern“ in Hamburg, traf Niels Stolberg dreimal zu langen Gesprächen in Oldenburg.
Mathias Bothor, geboren 1962, Fotograf in Berlin, war vor allem beeindruckt von Stolbergs Energie. „Ihr kann man sich nicht entziehen.“ |
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Person | Von Peter Sandmeyer und Mathias Bothor |
Vita | Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, ehemaliger Reporter beim „Stern“ in Hamburg, traf Niels Stolberg dreimal zu langen Gesprächen in Oldenburg.
Mathias Bothor, geboren 1962, Fotograf in Berlin, war vor allem beeindruckt von Stolbergs Energie. „Ihr kann man sich nicht entziehen.“ |
Person | Von Peter Sandmeyer und Mathias Bothor |