Ein königlicher Sugo

Kleine Insel, große Geschichte: Auf Tavolara vor Sardinien regiert Antonio Bertoleoni, König über Land und Küche

Manchmal haben Reiseführer ihr Gutes. Es war nur eine Zeile: Vom sagenhaften „König der Tavolara“ war die Rede und davon, dass der König auf seiner Insel selbst zum Kochlöffel greife. Eine Zeile genügte, um mich neugierig zu machen. Also musste ich ihn kennenlernen, den kochenden Souverän. Als unser Boot nach 20 Minuten Fahrt von Sardiniens Porto San Paolo am Steg von Tavolara festmacht, steht er schon da. Schlohweißes Haar, Jeans und Polohemd. „Buon giorno, benvenuto a Tavolara“, sagt er.

Einen kräftigen Händedruck später sitzen wir auf der Terrasse des Restaurants „Da Tonino – Re di Tavolara“, deutsch „Bei Tonino – König von Tavolara“. Hinter Antonio Bertoleoni, den sie Tonino nennen, ragt die 564 Meter hohe Punta Cannone wie der Rücken eines Drachens auf. Wir sitzen, trinken Kaffee und reden. Oder sagen wir: Er redet. Zu Recht, denn die Geschichte seiner Insel könnte der Stoff für einen Film sein.

Anfang des 19. Jahrhunderts habe sein Ururgroßvater, der Genueser Giuseppe Bertoleoni, die Inseln vor der italienischen Küste bereist. 1820 sei er auf Tavolara gelandet. Damals wohnte hier kein Mensch. Aber dem Seefahrer gefiel der steil aufragende Felsen so sehr, dass er blieb. 16 Jahre später machte ein Boot vor der sechs Quadratkilometer großen Insel fest. Darauf saß kein Geringerer als König Karl Albert von Sardinien-Piemont, der Tavolara besuchte, um Ziegen zu fangen, Tiere einer besonderen Rasse mit angeblich goldglänzenden Zähnen. Als der Herrscher das Eiland betrat, stürmte ihm Bertoleonis Sohn Carlo entgegen und begrüßte ihn mit den Worten: „Der König von Tavolara begrüßt den König von Sardinien und wünscht ihm einen angenehmen Aufenthalt in seinem Reich.“ Karl Albert fand das so großartig, dass er sich mit den Berto-leonis anfreundete und ihnen die Insel später schenkte. Die Legende vom kleinsten Königreich Europas war geboren.

Seit die Insel den Bertoleonis überschrieben wurde, hat die Familie zwar auch ein königliches Wappen. Doch Bertoleoni ist kein Würdenträger qua offizieller Ernennung. Auch fließt kein blaues Blut durch seine Adern, denn die Familie tauchte nie in amtlichen Adelslisten auf. Immerhin ist ein Teil der Insel bis heute ihrer: Durch die Schenkung ging Tavolara zunächst in den Besitz der Bertoleonis über. Mit der Gründung des Königreichs Italien 1861 wurden jedoch weite Teile der Insel enteignet und in das Staatsgebiet integriert. Durch Erbteilungen und den Verkauf einzelner Grundstücke wurde der Anteil der Bertoleonis über die Jahre immer kleiner. Aber noch gehören etwa 70 von 600 Hektar ihnen. Nur 15 Menschen leben auf Tavolara; die meisten sind Verwandte des Königs.

Die Gewässer um die Insel sind Teil eines Meeresschutzgebiets. Die Landzunge, auf der Restaurant und Wohnhaus stehen, säumen goldgelber Sand und türkisfarbenes Wasser. Was für ein Königreich! Im Sommer stürmen Besucher vom Festland die Insel. Doch an den meisten geht vorbei, dass sie bei einem König speisen. Auch den nur 200 Meter entfernten Königsfriedhof, auf dem Kronen aus Gips die Gräber von Bertoleonis Vorfahren zieren, übersehen sie. Mit dem Promi-Chichi der nahen Costa Smeralda will der König ohnehin nichts zu tun haben. In seinem Restaurant serviert er mediterrane Küche von herrlicher Schlichtheit und Frische.
Was denn das Beste auf seiner Karte sei, frage ich Bertoleoni, als er zwischen seinen Sätzen einmal innehält. „Linguine mit Miesmuscheln und Krustentieren“, erwidert der König, ohne einen Augenblick zu zögern. Also bestelle ich.
Und dann balanciert Bertoleoni einen dampfenden Teller durch die Menge, ein Berg Linguine, gekrönt von Muscheln und Krustentieren. Der Sugo, A und O in Italiens Küche, duftet herrlich, der Geschmack ist ein Genuss. Dazu die königliche Geschichte, vermengt mit Meeres-luft – was braucht man mehr?


Linguine mit Muscheln und Riesengarnelen

Zutaten (für vier Personen)
500 g Linguine, 12 Riesengarnelen, 300 g Miesmuscheln, 300 g Venusmuscheln, 800 g Tomaten, 4 Schalotten, 3 Knoblauchzehen, 1 Chilischote, je 1 Bund Petersilie und Majoran, 4 EL Olivenöl, 2 EL Butter, 1 Glas Weißwein, Salz, Pfeffer

Zubereitung
Für den Sugo Garnelen aus der Schale lösen, die Karkassen in Öl anrösten, gehackte Tomaten, Weißwein und ein Glas Wasser hinzugeben. 1 Stunde köcheln lassen. Den Sugo durchs Sieb streichen und beiseitestellen. Muscheln säubern. Dann Schalotten, Knoblauch und klein gehackten Chili in Butter und Öl anbraten. Muscheln und Garnelen hinzugeben und 3 Minuten in der Hitze lassen. Mit dem Sugo löschen, salzen und pfeffern. Das Ganze über die Linguine auf Teller geben, Petersilie und Majoran darüberstreuen.

Da Tonino – Re di Tavolara
Isola di Tavolara,
Tel. +39 0789 58570;
geöffnet von Mai bis Oktober täglich von 12.30 bis 16 und 19.30 bis 22.30 Uhr; www.ristorantereditavolara.com

mare No. 122

No. 122Juni / Juli 2017

Von Fabian von Poser und Alessandro Toscano

Fabian von Poser wurde 1969 in Hamburg geboren. Seit mehr als 20 Jahren berichtet Fabian von Poser von den abgelegenen und weniger abgelegenen Enden dieser Erde.

Während und nach seinem Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität La Sapienza in Rom widmete Alessandro Toscano sich der Konzeption und Produktion von dokumentarischen und kreativen Foto- und Videoprojekten. Gleichzeitig befasste er sich mit dokumentarischer und Reportage-Fotografie.

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Vita Fabian von Poser wurde 1969 in Hamburg geboren. Seit mehr als 20 Jahren berichtet Fabian von Poser von den abgelegenen und weniger abgelegenen Enden dieser Erde.

Während und nach seinem Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität La Sapienza in Rom widmete Alessandro Toscano sich der Konzeption und Produktion von dokumentarischen und kreativen Foto- und Videoprojekten. Gleichzeitig befasste er sich mit dokumentarischer und Reportage-Fotografie.
Person Von Fabian von Poser und Alessandro Toscano
Vita Fabian von Poser wurde 1969 in Hamburg geboren. Seit mehr als 20 Jahren berichtet Fabian von Poser von den abgelegenen und weniger abgelegenen Enden dieser Erde.

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