Ein königlicher Sport

„Geh hinaus mit einem flachen Brett“ – eine Anleitung zum Wellenreiten für Anfänger

Genau das ist es, ein königlicher Sport für die natürlichen Könige dieser Erde. Am Strand von Waikiki reicht das Gras bis hinunter zum Wasser und 50 Fuß hinein in die unvergängliche See. Die Bäume wachsen ebenfalls bis an den salzigen Rand der Dinge, und in ihrem Schatten sitzt man und blickt auf die majestätische Brandung, die auf den Strand eintost bis hinauf vor die eigenen Füße. Eine halbe Meile weiter draußen, dort, wo das Riff ist, drängen aus dem stillen Türkisblau unversehens die weiß gekrönten Brecher himmelwärts und wälzen sich aufs Ufer zu. Einer nach dem anderen treffen sie ein, eine Meile lang und mit sprühendem Kamm, das weiße Bataillon der unerschöpflichen Armee des Meeres. Und man sitzt, lauscht dem fortwährenden Brausen, schaut auf die nicht enden wollende Prozession und fühlt sich klein und zerbrechlich angesichts dieser gewaltigen Kraft, deren Ausdruck Wildheit, Gischt und Getöse sind. In der Tat, man fühlt sich mikroskopisch klein, und die Vorstellung, sich mit diesem Meer messen zu wollen, löst unwillkürlich einen Schauder der Beklommenheit, fast der Angst aus. Warum?

Einen Kilometer sind sie lang, diese breitmäuligen Monster, wiegen tausend Tonnen und stürmen schneller ans Ufer, als ein Mensch rennen kann. Welche Chance? Überhaupt keine Chance, so das Verdikt des schrumpfenden Egos; und man sitzt und schaut und hört zu und denkt sich, dass es sich im Gras und im Schatten sehr gut bleiben lässt.

Und plötzlich taucht dort, wo eine dampfende Woge zum Himmel steigt, auf dem Schwindel erregenden, schwankenden, überhängenden und hinabstürzenden Kamm, wie ein Meeresgott aus sprudelnder und stampfender Gischt, der dunkle Kopf eines Mannes auf. Rasch erhebt er sich aus dem stürzenden Weiß. Seine schwarzen Schultern, seine Brust, seine Hüfte, seine Lenden, seine Glieder – mit einem Mal zeichnet sich alles vor den Augen ab. Wo einen Moment zuvor nur grenzenlose Verlassenheit und unerschütterliches Gebrüll war, ist nun ein Mensch, aufrecht, in voller Statur, der nicht verzweifelt kämpft in dem reißenden Strom, der nicht begraben und zerstampft und umhergeschleudert wird von diesen mächtigen Monstern, sondern der über ihnen allen steht; ruhig und erhaben schwebt er über dem taumelnden Gipfel, während seine Füße von der strudelnden Gischt umschlossen sind, Salzdampf an seinen Knien emporkriecht und alles Übrige von ihm in freier Luft und blitzendem Sonnenlicht ist, und er fliegt durch die Luft, fliegt vorwärts, fliegt ebenso schnell wie die Woge unter ihm. Er ist ein Merkur – ein brauner Merkur. Seine Fersen sind geflügelt, in ihnen steckt die Behändigkeit der See. In Wahrheit ist er aus dem Meer hinaus auf dessen Rücken gesprungen, und nun reitet er das Meer, welches tobt und brüllt und ihn nicht abzuwerfen vermag. Doch von ihm kein hilfloses Rudern und Balancieren. Er ist gelassen, bewegungslos wie eine Statue, die geformt wurde durch ein plötzliches Wunder aus den Tiefen des Meeres, denen er entstieg. Und weiter dem Ufer zu fliegt er auf seinen geflügelten Fersen und dem weißen Kamm des Brechers. Ein wildes Aufschäumen, ein lang gezogenes, tobendes Rauschen, als die Sturzwelle vergebens und verausgabt am Ufer zu deinen Füßen fällt; und dort, zu deinen Füßen, tritt ruhig ans Ufer ein kanaka, golden und braun gebrannt von der tropischen Sonne. Wenige Minuten zuvor war er noch ein Fleck, eine Viertelmeile entfernt. Er hatte „den breitmäuligen Brecher gepackt“ und ihn herangeritten, und der Stolz über diese Leistung zeigt sich in der Haltung seines prachtvollen Körpers, als dich sein unbekümmerter Blick einen Moment lang streift, dich, der du im Schatten des Ufers sitzt. Er ist ein kanaka – und obendrein ist er ein Mann, ein Mitglied der königlichen Spezies, welche die Dinge und Tiere bezwungen hat und nun über die Schöpfung befiehlt.

Und man sitzt und denkt an Tristans letzten Kampf mit der See an jenem fatalen Morgen; und weiter denkt man daran, dass der kanaka getan hat, was Tristan niemals tat, und dass er eine Freude des Meeres kennt, von der Tristan niemals wusste. Und noch weiter gehen die Gedanken. Es ist alles gut hier, im kühlen Schatten des Strandes sitzend, und dennoch, du bist ein Mann, einer der königlichen Spezies, und was jener kanaka kann, das kannst auch du.

Mach schon. Zieh deine Kleider aus, in diesem milden Klima sind sie doch nur lästig. Geh hinein und ringe mit dem Meer; beflügle deine Fersen mit all dem Talent und der Kraft, die in dir wohnen; stürz dich in die Brecher, meistere sie und reite auf ihnen, wie es sich für einen König gehört.

Und so geschah es, dass ich mich am Wellenreiten versuchte. Und nun, da ich es probiert habe, halte ich es mehr als zuvor für einen königlichen Sport. Doch vorab einige Erklärungen zum physikalischen Ablauf. Eine Welle ist übertragene Bewegung. Das Wasser selbst, aus dem eine Welle besteht, bewegt sich nicht. Würde es sich bewegen, etwa wenn ein Stein in einen Tümpel fällt und sich die Wellen in immer weiteren Kreisen ausdehnen, müsste im Zentrum ein immer größer werdendes Loch entstehen. Nein, das Wasser einer Welle ist bewegungslos. Insofern kann man einen bestimmten Ausschnitt der Meeresoberfläche beobachten und dabei feststellen, dass dasselbe Wasser entsprechend der übertragenen Bewegung von Tausenden vorhergehenden Wellen Tausende Male steigt und fällt. Nun stelle man sich vor, wie sich diese treibende Bewegung der Küste nähert. Mit ansteigendem Meeresgrund stößt der untere Bereich der Welle zuerst auf Land, woraufhin er gebremst wird. Doch Wasser ist flüssig, und der obere Bereich traf bislang auf kein Hindernis, wodurch er seine Bewegung weitergeben kann. Wenn also der obere Teil der Welle weiterwandert, während der untere zurückbleibt, so muss das Folgen irgendeiner Art haben. Der untere Teil fällt zurück, der obere hinüber, vorwärts und hinab, steigend und tosend und sich überschlagend, wie es Wellen tun. Der untere Bereich einer Welle, der auf Grund trifft, ist somit die Ursache einer jeden Brandung.


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mare No. 28

No. 28Oktober / November 2001

Eine Kurzgeschichte von Jack London

Jack London wurde 1876 in San Francisco geboren. Mit 15 Jahren kaufte er sich ein Schiff und wurde zum jüngsten Austernpiraten der San Francisco Bay; seither fühlte er sich auf dem Wasser sicher und bezeichnete sich später, als er längst eine Ranch betrieb, als Matrose zu Pferde. Berühmt wurde London durch seine Abenteuerromane Ruf der Wildnis, Wolfsblut und Der Seewolf. Er starb mit nur 40 Jahren am 22. November 1916.

Ein königlicher Sport wurde aus dem Amerikanischen übersetzt von Ralf Chudoba und ist soeben als Teil des Anthologiebandes Endloser Sommer im Kölner Tropen Verlag erschienen.

Endloser Sommer – Ein literarischer Surftrip. Hrsg. von Ralf Chudoba und Michael Zöllner, 220 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24,80 Mark

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Vita Jack London wurde 1876 in San Francisco geboren. Mit 15 Jahren kaufte er sich ein Schiff und wurde zum jüngsten Austernpiraten der San Francisco Bay; seither fühlte er sich auf dem Wasser sicher und bezeichnete sich später, als er längst eine Ranch betrieb, als Matrose zu Pferde. Berühmt wurde London durch seine Abenteuerromane Ruf der Wildnis, Wolfsblut und Der Seewolf. Er starb mit nur 40 Jahren am 22. November 1916.

Ein königlicher Sport wurde aus dem Amerikanischen übersetzt von Ralf Chudoba und ist soeben als Teil des Anthologiebandes Endloser Sommer im Kölner Tropen Verlag erschienen.

Endloser Sommer – Ein literarischer Surftrip. Hrsg. von Ralf Chudoba und Michael Zöllner, 220 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24,80 Mark
Person Eine Kurzgeschichte von Jack London
Vita Jack London wurde 1876 in San Francisco geboren. Mit 15 Jahren kaufte er sich ein Schiff und wurde zum jüngsten Austernpiraten der San Francisco Bay; seither fühlte er sich auf dem Wasser sicher und bezeichnete sich später, als er längst eine Ranch betrieb, als Matrose zu Pferde. Berühmt wurde London durch seine Abenteuerromane Ruf der Wildnis, Wolfsblut und Der Seewolf. Er starb mit nur 40 Jahren am 22. November 1916.

Ein königlicher Sport wurde aus dem Amerikanischen übersetzt von Ralf Chudoba und ist soeben als Teil des Anthologiebandes Endloser Sommer im Kölner Tropen Verlag erschienen.

Endloser Sommer – Ein literarischer Surftrip. Hrsg. von Ralf Chudoba und Michael Zöllner, 220 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24,80 Mark
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