Ein Haustier für den Papst

Um für sein Weltreich die Gunst des Papsts zu erlangen, ließ Portugals König Manuel I. einst ein Nashorn nach Rom verschiffen

Das Geschenk befand sich unter Deck, und angeblich brauchte es ein Dutzend Männer, um es nach oben zu schaffen. Zuerst einmal aber musste die übrige Ladung gelöscht werden, all die Kostbarkeiten, die die „Nossa Senhora da Ajuda“ von ihrer Reise aus dem fernen Indien mitgebracht hatte: Fässer mit Gewürzen, Kisten mit exotischen Pflanzen, Säcke voller Spezereien, edle Hölzer und Stoffe sowie Volieren mit bunten Vögeln. Und dann, als letzten Teil der Fracht: das Präsent für Seine Majestät. Es grunzte, es schnaubte, es stank, und sicherlich war mehr als jenes Dutzend Männer nötig, um es von Bord der „Nossa Senhora“ auf die Pier von Belém zu bekommen. Wie ein Lauffeuer wird sich die Nachricht in Lissabon verbreitet haben an diesem 20. Mai 1515. Ein Einhorn! Die „Nossa Senhora“ hatte ein Einhorn für den König mitgebracht! Und während die Schaulustigen am Hafen erschauderten und sich bekreuzigten, betrat das Tier aus Indien europäischen Boden. Ein Nashorn sieht nicht besonders gut, besitzt aber ein ausgezeichnetes Gehör. Wahrscheinlich missfiel ihm das Getöse im Hafen. Vielleicht hatte es Angst. 

Warum kam da ein Nashorn nach Portugal? Es kann sein, dass der portugiesische König das Geschenk Vasco da Gama zu verdanken hatte. 23 Jahre zuvor war der Seefahrer als erster Europäer nach Indien gesegelt. Da Gama war überwältigt von der Pracht des Landes, in dem alles noch exotischer und spektakulärer war, als man sich das im fernen Europa je hatte vorstellen können. Und wenn es in diesem Indien Elefantengötter gab und Tempel voller Affen – war es dann nicht auch möglich, dass ein geheimnisvolles Fabelwesen wie das Einhorn in seinem Dschungel lebte? 

Natürlich war das so, ließ der Herrscher von Calicut den Portugiesen wissen. Und selbstverständlich werde man dem fremden König eines zum Geschenk machen. Man möge sich nur ein wenig gedulden; ein Jungtier müsse gefangen und an Menschen gewöhnt werden. Und so traf das Einhorn, das ein Nashorn war, erst lange nach Vasco da Gamas Rückkehr in Portugal ein. 

Nashörner lassen sich nur schwer domestizieren, aber vielleicht war es ja tatsächlich so. Oder aber – die zweite mögliche Erklärung – das Rhinozeros (ein Panzernashorn, Rhinoceros unicornis) war Jahre später ein Präsent des indischen Sultans an den portugiesischen Gouverneur Afonso de Albuquerque. Dieser galt als rücksichtsloser Statthalter König Manuels I.; möglicherweise wollte der Sultan den Eroberer besänftigen. Albuquerque wiederum schickte das Tier seinem König nach Portugal, wo es an jenem 20. Mai 1515 eintraf, nach einer gut 100-tägigen Seereise. Wahrscheinlich war es seit der Antike das erste seiner Art, das europäischen Boden betrat. Seine Vorgänger hatten anderthalb Jahrtausende zuvor in Roms Arenen ihr Leben lassen müssen. 

Auch Manuel I. ließ sein Nashorn kämpfen, gegen einen Elefanten, zur Unterhaltung seiner Untertanen. Der reichste Herrscher Europas war 1515 dabei, sein Land zur Weltmacht zu formen. Dom Manuel besaß Affen, Antilopen, einen Leoparden und mehrere Elefanten. Wenn er an Sonntagen zum Gottesdienst ging, ließ er sich regelmäßig von ihnen zur Kathedrale begleiten. 

Bei Plinius dem Älteren hatte der König gelesen, dass das Rhinozeros der geborene Feind des Elefanten sei und diesem im Kampf überlegen. Dies konnte nun endlich überprüft werden. So kam es, dass sich das Nashorn nur eine Woche nach seiner Ankunft erneut mit einer lärmenden Menschen­menge konfrontiert sah, dieses Mal in einer eilig erbauten, provisorischen Arena. Zum Kampf allerdings kam es nicht: Der Elefant stürmte panisch davon, als das – stark kurzsichtige – Nashorn ein paar neugierige Schritte in seine Richtung machte. 

Im Publikum saß damals ein gewisser Valentin Ferdinand, ein deutscher Künstler, der in Lissabon wohnte. Weil er wie alle anderen fasziniert war vom Anblick des exotischen Kolosses, fertigte er flugs eine Skizze des gepanzerten Tiers an. Diese Zeichnung gelangte anschließend über verschlungene Wege nach Nürnberg, in die Werkstatt Dürers. Und der machte das Nashorn von Lissabon unsterblich. 

1515 war Albrecht Dürer einer der bekanntesten Künstler seiner Zeit und einer der geschäftstüchtigsten dazu. Die Nachricht von der Ankunft des Fabeltiers in Portugal verbreitete sich in Windeseile, und möglicherweise hatte auch Dürer die Kunde bereits vernommen, als er Ferdinands Skizze in die Hände bekam. Jedenfalls fertigte er mit ihrer Hilfe und angelesenem Wissen eine eigene Grafik an. Dürer war ein unfassbar guter Zeichner, der so detailliert arbeitete, dass man etliche seiner Werke heute beinahe als fotorealistisch bezeichnen könnte – sein berühmter „Feld­hase“, die „Betenden Hände“, „Das große Rasenstück“. Und nun? Zeichnete dieser Mann ein Nashorn, das er nie gesehen hatte. Nach einer groben Skizze. Dürers „Rhinocerus“ war ein gepanzertes Ungetüm, in dessen Nacken ein weiteres Horn wuchs. Es sah aus wie ein mittelalterlicher Ritter auf vier kurzen Beinen. 

Aus seiner Zeichnung ließ Dürer einen Druckstock aus Birnenholz fertigen, mit dem er anschließend in seiner Nürnberger Werkstatt Hunderte Nashörner druckte. Händler boten sie auf Märkten feil, und obwohl im 16. Jahrhundert vor allem christliche Motive gefragt waren, verkaufte sich das „Rhinocerus“ fantastisch. Innerhalb weniger Jahre verbreiteten sich die Drucke in ganz Europa. Wenn man so will, hatte Dürer mit dem Nashorn eine Art Popikone seiner Zeit geschaffen. 

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mare No. 155

mare No. 155Dezember 2022 / Januar 2023

Von Stefan Nink

Stefan Nink, Jahrgang 1965, Autor in Mainz, erfuhr bei der Lektüre von Lawrence Norfolks „Ein Nashorn für den Papst“ zum ersten Mal von dem berühmten Rhino­zeros und vergaß es anschließend für viele Jahre. Dann entdeckte er in einem Nürnberger Schaufenster Dürers berühmten Druck, fragte sich, wo der Künstler zu seiner Zeit ein Nashorn hätte sehen können – und beschloss, der Sache nachzugehen.

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Vita Stefan Nink, Jahrgang 1965, Autor in Mainz, erfuhr bei der Lektüre von Lawrence Norfolks „Ein Nashorn für den Papst“ zum ersten Mal von dem berühmten Rhino­zeros und vergaß es anschließend für viele Jahre. Dann entdeckte er in einem Nürnberger Schaufenster Dürers berühmten Druck, fragte sich, wo der Künstler zu seiner Zeit ein Nashorn hätte sehen können – und beschloss, der Sache nachzugehen.
Person Von Stefan Nink
Vita Stefan Nink, Jahrgang 1965, Autor in Mainz, erfuhr bei der Lektüre von Lawrence Norfolks „Ein Nashorn für den Papst“ zum ersten Mal von dem berühmten Rhino­zeros und vergaß es anschließend für viele Jahre. Dann entdeckte er in einem Nürnberger Schaufenster Dürers berühmten Druck, fragte sich, wo der Künstler zu seiner Zeit ein Nashorn hätte sehen können – und beschloss, der Sache nachzugehen.
Person Von Stefan Nink