Ein Französischer Sommer in Grün-Weiß-Blau

Die Normandie, das ist: ein stürmisches Küstenland, friedliche Käse­dörfer, saftige Weiden – und zugleich der Luxus elitärer Badeorte und ein einzig­artiges Kulturerbe. Ein Bilderbogen

Notizen zu den Fotografien

In Reih und Glied stehen die gestreiften Umkleidekabinen am Strand von Yport nördlich der Seinemündung. Sie sind typisch für Badeorte an der Alabasterküste in der nördlichen Normandie. Georges Simenon verewigte sie 1950 in „Maigret und die alte Dame“. Als Guy de Maupassant 1883 seinen ersten Roman „Ein Leben“ hier spielen ließ, gab es sie noch nicht

Das Hafenstädtchen Granville, einst berühmt wegen seines Granits, mit dem die Abtei Mont-Saint-Michel errichtet wurde, wollte ein US-Eisenbahnmagnat einst zum „Monte Carlo des Nordens“ machen. Er ließ 1911 das Casino und ein Luxushotel bauen

Die berühmten cabines am Strand von Deauville. Zehn Jahre dauert es derzeit, bis eine davon zu mieten ist, denn die meisten werden in Familien über Generationen weitergegeben. Nur die Filmstars, die am alljährlichen Festival du cinéma americain im Spätsommer teilnehmen, erhalten ihre Kabine sofort. Ein Mann ist ständig damit beschäftigt, ihre Namen auf die hölzernen Abtrennungen zu pinseln.

Morgens am Strand von Arromanches-les-Bains. Das heutige Idyll einer Hochzeitspartie zu sehen tut gut, denkt man an das, was sich hier vor 74 Jahren abgespielt hat. Arromanches ist besser unter dem Namen Gold Beach bekannt. Das war sein Codename während der alliierten Anti-Hitler-Invasion seit dem Jour J, wie er in Frankreich heißt, der D-Day am 6. Juni 1944. Der Landeabschnitt war das Zentrum der Operation Overlord, in deren Folge im Frühsommer jenes Jahres, dank eines von den Briten angelegten provisorischen Hafens, in 100 Tagen 2,5 Millionen Soldaten, 500 000 Fahrzeuge und vier Millionen Tonnen Kriegsmaterial anlandeten. Der mit Reizen geizende Ort hat paradoxerweise den Krieg besser überstanden als andere Orte der Küste. Er ist ein Freilichtmuseum der Invasion geworden. Die Spuren sind überall im Ort zu sehen: ein US-Panzer hier, eine Wehrmachtsradarstation dort, die Geschäfte voller Militärkitsch, die Überreste der Betonpontons des Hafens am Strand allgegenwärtig. Jedes Jahr, insbesondere um den Jahrestag des D-Day, ziehen neue Heere heran – Touristen, die dem Grauen vergangener Tage nachspüren, und Veteranen, die, in ihre Flaggen gehüllt, weinend am Meeressaum stehen.

Der Quai Sainte-Cathérine im Alten Hafen von Honfleur. Die Seine so nah wie das Meer, der schnell wechselnde Himmel, die stimmungsvollen Plätze und Gassen und nicht zuletzt die leichte Erreichbarkeit – seit etwa 1820 hat Honfleur die Künstler angezogen wie kein zweiter Ort in Europa. Zuerst kamen die Maler, aus England die Romantiker William Turner und Richard Bonington, aus Paris der Realist Gustave Courbet, um en plein air, unter freiem Himmel, zu arbeiten. Und nach der Mitte des Jahrhunderts kam nahezu der ganze Rest der französischen Malerei, auch die Großen wie Pissarro, Monet, Renoir und Cézanne. Nach und nach abstrahierten sie das Sujet, um ihrer Empfindung des Gesehenen Raum zu geben. Ein Gehöft vor den Toren Honfleurs wurde ihnen zur preiswerten Unterkunft, die Ferme Saint-Siméon, heute ein Luxushotel. Oft gegen ein Aquarell oder ein kleines Gemälde wohnten und malten sie hier bei der patronne Mère Toutain. Einer von ihnen war Honfleur und der Ferme besonders verbunden: Eugène Boudin, so produktiv, dass ihm die Stadt ein Museum erbaute. Später kamen auch die Dichter. Charles Baudelaire etwa schrieb in Honfleur seine schönsten Gedichte, „L’Albatros“, „L’Homme et la mer“ oder „L’Invitation au voyages“. Weniger bekannt dagegen ist, dass auch die Musiker die Stadt liebten. Der Komponist und Pianist Erik Satie, nahe dem Alten Hafen als Sohn eines Schiffsversicherers geboren, kannte sich in den Spelunken des Hafens aus. Hier schrieb er seine minimalistischen, impressiven „Mélodies“ – und erlag, wie so mancher Seemann, den Verführungen des Trinkens.


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mare No. 128

Juni / Juli 2018

Von Nicole Strasser und Karl Spurzem

Nicole Strasser, geboren 1975, studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Seit 2009 arbeitet sie als freie Fotografin.

mare-Redakteur Karl Spurzem, geboren 1959, ist oft durch die Normandie gereist. Seine Frankophilie, glaubt er, erwachte in ihm als Kind in einem Restaurant in Rouen – bei einer Terrine de foie de volaille, die auf einem Kaminsims warmgehalten wurde.

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Vita Nicole Strasser, geboren 1975, studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Seit 2009 arbeitet sie als freie Fotografin.

mare-Redakteur Karl Spurzem, geboren 1959, ist oft durch die Normandie gereist. Seine Frankophilie, glaubt er, erwachte in ihm als Kind in einem Restaurant in Rouen – bei einer Terrine de foie de volaille, die auf einem Kaminsims warmgehalten wurde.
Person Von Nicole Strasser und Karl Spurzem
Vita Nicole Strasser, geboren 1975, studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Seit 2009 arbeitet sie als freie Fotografin.

mare-Redakteur Karl Spurzem, geboren 1959, ist oft durch die Normandie gereist. Seine Frankophilie, glaubt er, erwachte in ihm als Kind in einem Restaurant in Rouen – bei einer Terrine de foie de volaille, die auf einem Kaminsims warmgehalten wurde.
Person Von Nicole Strasser und Karl Spurzem