Ein Englishman in New York

Henry Hudson suchte einen westlichen Seeweg nach China. Diesen fand er nicht; aber dafür sah er als erster Europäer die Nordküste Kanadas und die Ufer des heutigen New York

Die Meuterei

22. Juni 1611. Als Henry Hudson am Morgen seine Kajüte verlässt, stellen sich ihm zwei Männer der Besatzung in den Weg. Ein dritter zwingt Hudsons Arme nach hinten und fesselt ihn.

Zusammen mit seinem Sohn John muss Hudson das Beiboot besteigen. Schiffszimmermann Philip Staffe schließt sich freiwillig an. Die Meuterer kennen ihre Lage, nach Monaten im Eismeer Nordamerikas sind die Vorräte knapp, können unmöglich für alle reichen. Also werden zusätzlich sechs der schwächsten Mitfahrer in die Schaluppe befehligt. Staffe überredet die Aufrührer, ihnen eine Muskete zu überlassen. Auch ein mit Getreide gefüllter Kessel wird über das Dollbord gereicht. Doch jeder weiß: So ausgerüstet kann niemand in einer Region überleben, in der auch im Sommer Eisschollen treiben. Das Beiboot wird einige Wellenschläge hinter dem Schiff hergezogen. Dann wird das Seil gekappt.


Der Weg nach Cathay

1494 haben Portugal und Spanien im Vertrag von Tordesillas die noch zu entdeckende Welt unter sich aufgeteilt. Östlich der Länge von 46°37' West beginnt der Einfluss der Portugiesen, westlich davon der der Spanier.

Um ihre Handelsmonopole über Gewürze und andere Kostbarkeiten der Ferne zu sichern, hüten die beiden Mächte ihre Routen als Staatsgeheimnisse. Die aufstrebenden Seemächte England, Frankreich und die Niederlande sind daher von einer Idee besessen: einen Seeweg nach Asien zu finden, bei dem man den Iberern nicht in die Quere kommt. Das war nur im Norden möglich: Die Nordostpassage führt an Russland vorbei ins Beringmeer, die Nordwestpassage durch das Inselgewirr Nordkanadas – Details kannte damals freilich niemand.

Als einer der ersten Auftraggeber schickt die Londoner Niederlassung der Muscovy Company of Russia Kaufleute in die Kälte, um Cathay, das legendäre China, zu erreichen. 1607 greift ein gewisser Henry Hudson in die Geschichte ein. Zweimal macht er sich auf ins Eis. Erst versucht er es gen Westen, erreicht dabei Grönland und Spitzbergen. Im folgenden Jahr wendet er sich nach Osten, versucht es über Nowaja Semlja vor Sibiriens Küste. Zweimal scheitert er im Eis.


Auf eigene Faust

Nach seinem doppelten Debakel ist Hudsons Stern bei der Muscovy Company gesunken. Da erreicht ihn ein Angebot der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) aus Holland. In seinem Vertrag heißt es: „Der oben genannte Hudson wird um den 1. April lossegeln, um eine Durchfahrt nach dem Norden um die Nordseite von Nowaja Semlja herum zu suchen, und wird auf diesem Breitengrad weiterfahren, bis er südwärts zum 60. Breitengrad segeln kann.“ Warum nur immer gen Osten ins Eis, wo er doch ahnt, dass Richtung Westen die bessere Wegvariante liegen muss? Am 6. April 1609 lichtet Hudson mit seiner 16-köpfigen Crew den Anker der „Halve Maen“, der „Halbmond“, am 5. Mai erreichen sie das Nordkap. Mit an Bord ist der Maat Robert Juet, der das Logbuch führt. Für den 22. Mai hält er fest: „Mit stürmischem Wetter, Hagel und Schnee setzten wir unseren Kurs Westsüdwest entlang dem Land fort. … Um zehn Uhr abends waren wir gegenüber von Zenam [die heutige Insel Senjen an der norwegischen Nordwestküste, d. Autor].“

Hudson ist also bereits auf dem Weg zurück. Statt jedoch, wie vertraglich bestimmt, nach Amsterdam zurückzukehren, wagt er den Weg über den Atlantik.


Die Insel Manna-hata

Den 2. September verbringen die Europäer in einer Bucht, aus der ihnen eine starke Strömung entgegenkommt. Bereits am 17. April 1524 hat der Florentiner Giovanni da Verrazano dort mit seinem Schiff gelegen und vermerkt: „Eine recht liebliche Stelle.“ Es ist die spätere Lower Bay von New York.

Der Engländer ist neugieriger und hält auf die Strömung zu. Am 3. September passiert die „Halve Maen“ an Backbord eine Insel, die heute als Staten Island bekannt ist, einer der fünf Stadtbezirke von New York. Eingeborene nähern sich in Einbäumen, sie tauschen Mais und Tabak gegen Glasperlen und Messer. Doch die Stimmung schlägt um.

Als am 6. September das mit fünf Mann besetzte Beiboot von einer Erkundungsfahrt zurückkehrt, nähern sich zwei Kanus mit mehr als 20 Kriegern. Es kommt zum Kampf. Einer der Matrosen, John Coleman, wird „durch einen in seine Kehle geschossenen Pfeil getötet“, notiert Robert Juet. Er erwähnt nicht, warum der Matrose getötet wurde. Vielleicht eine Provokation seitens der Europäer, vielleicht ein unmotivierter Angriff der Indianer?


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mare No. 75

No. 75August / September 2009

Von Dietmar Falk

Dietmar Falk, Jahrgang 1965, arbeitet in Berlin. Das Meer ist hier weit, doch in seinen Texten zieht es den Diplom-Geografen immer wieder ans Wasser und in die Zeit der klassischen Entdeckungsfahrten.

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