Ein dicker Klops!

Der deutschen Nationalspeise fehlt heute eine entscheidende Zutat: In die Königsberger Klopse gehört nun einmal – Fisch. Ein Restaurant in Kaliningrad lehrt uns, wie sie richtig zubereitet werden

Angeblich kennen mehr als 90 Prozent der Bundesbürger das Gericht Königsberger Klopse. Es ist damit das deutsche Hauptgericht, noch vor Eisbein mit Sauerkraut oder Currywurst. Letztere weiß man längst auch außerhalb unserer Grenzen zu schätzen. In Japan gibt es sogar spezielle Lokale für den germanischen Wurstprügel. Königsberger Klopse dagegen kommt selbst in Österreich oder der Schweiz kaum vor. Schlimmer noch – man kennt das Gericht nicht mal mehr in Königsberg.

Dies liegt sicher daran, dass Königsberg seit gut 70 Jahren Kaliningrad heißt und eine Exklave Russlands ist. Dort isst alles anders, dort gehören Soljanka und Pelmeni zum kulinarischen Staatsschatz. Vielleicht aber auch, weil dem heute landläufigen Gericht Königsberger Klopse eine wesentliche Zutat fehlt: der Fisch.

Königsberger Klopse ohne Fisch – klar, dass der globale Durchbruch stockt. Hätte es eine Schwarzwälder Kirschtorte bis nach Chile geschafft ohne den Kirschlikör, eine „Pretzel“ bis Philadelphia ohne Salz obendrauf? Dabei ist es im „Praktischen Kochbuch für die bürgerliche und feine Küche“ von 1845 festgelegt: Neben Schweine- und Rindfleisch, in Milch eingeweichtem Brot und Kapern gehören Sardellen dazu. In den Foren des Internets erinnert man sich an ostpreußische Großmütter, die die „Keenichsberje Kochkleps“ nie ohne Sardellen zubereiteten. Auch Wolfram Siebeck, einst „Vorkoster der Nation“, mischte ins Kalbfleisch stets Sardellen. Statt Sardellen tun es laut älteren Rezepten auch entwässerte Salzheringe oder Matjes. Hauptsache, Fisch ist drin.

Nur weiß dies kaum noch jemand. Unerhört: Der Nationalspeise der Deutschen fehlt eine wichtige Zutat, vielleicht die wichtigste. Möglicherweise ist der Fisch in den Wirren von Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg abhandengekommen. Zehntausende Deutsche waren seinerzeit über das Eis der Ostsee in den Westen geflohen, die meisten landeten in meerfernen Gegenden. In Kaliningrad selbst war dann kein Platz für die durchgedrehte Leibspeise des besiegten Feindes. Den nahm das „Kotlet Druschba“ (Freundschaft) ein, was eine Frikadelle aus Schweinefleisch, Fisch und reichlich Knoblauch bezeichnet. Man kriegt es dort noch heute.

„Das ‚Kotlet‘ habe ich nie gemocht, und von Königsberger Klopsen habe ich nie gehört“, sagt der Direktor des Museums „Friedländer Tor“ in Kaliningrad. In seinem Haus gibt es viele deutsche Ausstellungsstücke, eine Kochanleitung für Königsberger Klopse findet sich nirgends. Im „Becker“ in Jantarny, vormals Palmnicken, 30 Kilometer vor der Stadt, steht es immerhin auf der Karte. „Aber natürlich ohne Fisch“, wie der Bayer Ludwig Becker anmerkt, der in der Heimat seiner Vorfahren ein Restaurant aufgebaut hat. Im „Fischhaus“ in Swetlogorsk (Rauschen) kann sich die Betreiberin an Königsberger Klopse erinnern. „Mein Vater war Deutscher, er hat mir davon erzählt.“ Sie überlegt. „Das war was mit Klößen und Püree. Fisch war nicht dabei.“

Doch es gibt Hoffnung. Im Restaurant „Grand Hall“ in Kaliningrad werden die ostpreußischen Hackbällchen seit einiger Zeit serviert. Auf die Karte brachte sie Dimasch Chassanow, bis vor Kurzem Chefkoch des Hauses. In seiner Version sind Weißwein darin, die dickflüssige Sahne Smetana, Rosmarin und eben Salzhering. Der 39-Jährige ist Mitglied der Nationalmannschaft der Chefköche, von Königsberger Klopsen erfuhr er während eines Trainingsbrutzelns in Moskau. „Ich war total überrascht: Mensch, die Klopse kamen von hier.“ Er forschte im Internet, sprach mit alten Leuten auf „Heimatbesuch“, ging zu deutschen Reisebüros.

Die empfehlen mittlerweile das Gericht, auf der Karte steht es dennoch nicht. „Es wird zu wenig nachgefragt. Die Russen mögen kein Zerhacktes, die wollen beißen“, sagt er. Selbst die deutschen Touristen bestellten eher Wiener Schnitzel, „das passt wohl besser zum Bier“.


Königsberger Klopse à la „Grand Hall“

Zutaten und Zubereitung (für vier Personen)
Klopse: 250 g Rindfleisch, 250 g Hühnerfleisch, 3 in Milch entwässerte Salzheringe, alles durch den Fleischwolf, 3 Scheiben Weißbrot einweichen, dazu ein Mokkalöffel Pfeffer, ein TL Salz, 1 Schuss Sahne. Alles mischen und Klopse formen.

Sauce: 1 Glas Weißwein, 1 Mokkalöffel Rosmarin, 2 g Thymian, 1 fein gehackte Zwiebel, 250 g Smetana (Schmand), 100 ml saure Sahne, 1 TL Salz, 1 Mokkalöffel Fischgewürz, 1 Zitrone ausdrücken, alles verrühren. Mit 1 Tasse Fleischbrühe, nach Bedarf mehr, aufkochen. Die Klopse hineinlegen, bei mäßiger Hitze 15 min ziehen lassen, mit saurer Sahne abschmecken.
10 große Kapern in die Sauce einstreuen und das Ganze mit Zitronenschnitzen und Petersilienkartoffeln servieren.

Restaurant „Grand Hall“
Straße Kosmonauta Leonowa 18,
Kaliningrad 236022, Russland,
Tel. +7 (4012) 93-48-68.
Geöffnet täglich von 12 bis 2 Uhr.

 

mare No. 131

No. 131Dezember 2018 / Januar 2019

Von Maik Brandenburg und Dmitrij Leltschuk

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Fotograf Dmitrij Leltschuk, Jahrgang 1975, lebt in Hamburg.

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