Drei Farben grün

Nach drei Jahrzehnten ist Greenpeace Deutschland in der Mitte der Gesellschaft angekommen: anerkannt und respek­tiert als Anwältin einer durch rücksichtsloses Wirtschaften gefährdeten Natur. Hat sich die Organisation im Generationenwechsel verändert?

Vom Fischmarkt Sankt Pauli, dort, wo eines von Hamburgs touristischen Herzen schlägt, sind es noch ein paar Schritte auf dem Kopfsteinpflaster die Große Elbstraße weiter westwärts, ehe gegenüber dem Designtempel Stilwerk der „Elbspeicher“ steht. Mit Schildern am Eingang des wuchtigen Gebäudes präsentieren sich jene Firmen und Vertretungen, die hier untergebracht sind, und unter einigen Namen ist dort – weiße Schrift auf hellgrünem Grund – auch zu lesen: Greenpeace. Man hätte eine Fahne erwartet, eine große Tafel, ein Transparent oder sonst etwas, aber nein. Und nichts deutet hier unten darauf hin, dass Greenpeace im Elbspeicher ganze zwei Stockwerke einnimmt.

Zweiter Stock, man hat an Türen aus schwerem, hellem Holz zu ziehen, ehe man an einer Art Rezeption begrüßt wird wie bei jedem anderen Großunternehmen auch. Ein Front-Desk-Manager mit Chucks und Ohrring kommt aus einem Glaskabuff, bittet darum, Name, Firma und gewünschten Gesprächspartner in eine Liste einzutragen, dann ruft er an und instruiert den Gast, ein paar Minuten zu warten, er werde in Kürze abgeholt.

Man könne ja auch selbst hinaufgehen, entgegnet man. Leider nein, sagt der Rezeptionist. Er lächelt ein wenig, als ob man nicht wüsste, dass niemand hier herein- oder herauskommt, der dies nicht soll, besser gesagt: der keinen Code hat. Eine Kombination aus vier Zahlen – erst dann lässt sich die schwere Tür aufdrücken. Warum das?, fragt man und hört, dass der Verein Begehrlichkeiten wecke, womöglich aus der, sagen wir, chemischen Industrie.

Man beginnt zu begreifen, dass hier eine Art Gegenmacht logiert, mit einem so begehrten wie gefürchteten Archiv, und dass die, die einst angetreten waren, Offenheit zu schaffen, Fakten zu sammeln, anzuklagen und Verborgenes aufzudecken, sich durch ein Codesystem zu schützen wissen. Greenpeace hat Geheimnisse, und Angst vor Spionage deutet auf eigene Macht und Erfolg hin.

Wie in einer großen Zeitungsredaktion oder einem straff geführten Versicherungsunternehmen herrscht auf den Gängen gepflegte Ruhe und in den wabenartigen Zimmern, in denen meist zwei junge Menschen an ihren PCs sitzen, die konzentrierte Beflissenheit von Individualisten im Kollektiv. Wer großes Glück hat, logiert zur Hafenseite hin, wer etwas weniger großes Glück hat, zum lichtschwachen Atrium des Innenhofs.

Harald Zindler wird man weder zur Hafenseite noch zum Atrium, nein, man wird ihn im ganzen Elbspeicher nicht finden, womöglich hat er nicht einmal einen Code. Wer Zindler treffen will, muss raus in die raue Welt des Hamburger Hafens, Wilhelmsburg südwärts. Er hat den Gast zum Rethedamm 8 bestellt, mit Bus oder Auto eine veritable und über weite Strecken einsame Reise. Allerlei Industriespeicher und Lager sind dort zu sehen und – auch das überraschend unscheinbar – eine alte Fabrikanlage direkt am Kanal.

„Willkommen im Materiallager von Greenpeace“, sagt Zindler. Sein Händedruck ist fest, seine Stimme tief. Alles, was Greenpeace braucht, wird hier verwahrt und repariert, Hilfe von außen will man nicht, wollte man nie. Nach ausgedehntem Rundgang durch die Waffenkammern des gewaltfreien Protests und dem Versuch, ein von Kampagnenstrategen und Banner malenden Studenten unbesetztes Zimmer zu finden, kommt die Rede bei einer Tasse Filterkaffee auf die, ja, man muss es so sagen, gute alte Zeit, damals, vor mehr als 30 Jahren.

Bei der weltweit ersten Schornsteinaktion am 24. Juni 1981 gelangen zwei Greenpeacer auf das Werksgelände der Chemiefirma Boehringer in Hamburg, erklettern unter den Augen von Journalisten den Schlot und halten ihn 26 Stunden lang besetzt. Die Bilder gehen durch die Republik, die Öffentlichkeit ist entsetzt, 1984 muss Boehringer den Betrieb einstellen. Einer der beiden Aktivisten ist Harald Zindler, Ingenieur, Pazifist und Atomkraftgegner.

Acht Monate zuvor, an einem kühlen Herbsttag im Oktober 1980, inmitten dichten Nebels, kreuzen zwei Greenpeacer auf der Weser in Nordenham in scharfer Strömung gegen die Bugwellen des Frachters „Kronos“ mit einem kleinen Schlauchboot, das sie von Bekannten bekommen haben. Die Aktivisten besitzen selbst rein gar nichts. Ihre Schwimmwesten kommen von einem Privatboot, ein Tau gibt es nicht, den Frachter blockieren sie mit Rettungsinseln, die Finkenwerder Fischer zur Verfügung gestellt haben. Mit Erfolg hindern sie die „Kronos“, die giftige Dünnsäure in der Nordsee verklappen soll, am Auslaufen. Wiederum ist Harald Zindler einer der Davide, die gegen Goliath kämpfen, dieses Mal die Bayer AG.


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mare No. 92

No. 92Juni / Juli 2012

Von Christian Schüle

Christian Schüle, Jahrgang 1970, Studium der Philosophie und Politischen Wissenschaft in München und Wien, ist freier literarischer Autor, Essayist und Reporter und lebt in Hamburg. Seine Reportagen und Feuilletons wurden mehrfach ausgezeichnet. Mit Vorliebe widmet er sich gesellschaftlichen Metamorphosen, den mentalen Strukturen des kulturellen und politischen Wandels.

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Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, Studium der Philosophie und Politischen Wissenschaft in München und Wien, ist freier literarischer Autor, Essayist und Reporter und lebt in Hamburg. Seine Reportagen und Feuilletons wurden mehrfach ausgezeichnet. Mit Vorliebe widmet er sich gesellschaftlichen Metamorphosen, den mentalen Strukturen des kulturellen und politischen Wandels.
Person Von Christian Schüle
Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, Studium der Philosophie und Politischen Wissenschaft in München und Wien, ist freier literarischer Autor, Essayist und Reporter und lebt in Hamburg. Seine Reportagen und Feuilletons wurden mehrfach ausgezeichnet. Mit Vorliebe widmet er sich gesellschaftlichen Metamorphosen, den mentalen Strukturen des kulturellen und politischen Wandels.
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