Die Vorzeigetochter

Eine junge Kenianerin ist das schöne Gesicht des neuen chinesichen Kolonialismus. Peking feiert sie als Nachfahrin des legendären chinesischen Seefahrers Zheng He. Sie soll Chinas Griff nach AfrikasRohstoffen in ein mildes Licht rücken

Abends, wenn es spät wurde in Peking und der Feuertopf genüsslich zündelnd unsere Rachen hinuntergeronnen war, wenn der Sichuanpfeffer auf unseren Zungen tanzte und wir uns euphorisch ermattet in unseren Stühlen zurücklehnten, erzählten meine Freunde gern eine Geschichte.

Irgendwo in Ostafrika lebten Menschen, die ein wenig aussähen wie sie. Wie Chinesen. Mandelaugen zu dunkler Haut. Urururururenkel einer gewaltigen chinesischen Flotte, die vor 600 Jahren bis nach Afrika gesegelt war – lange bevor Christoph Kolumbus geboren war. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs sollte die Welt keine größere Armada erleben als diese. 28 000 Seeleute, 300 Schiffe. Wo genau die rätselhaften Nachfahren leben sollten, wusste keiner meiner Freunde zu sagen. Vage wie eine Ahnung hing die Geschichte einen federleichten Moment lang über uns, trug uns über die Gassen der Pekinger Altstadt an ferne Küsten. Am nächsten Morgen war sie vergessen, bis sie ein paar Monate später erneut ausgegraben wurde.

In den folgenden Jahren erschienen immer mehr Artikel über Mwamaka Sharifu, die Kenianerin mit den Mandelaugen. Zum Beispiel in der „China Daily“, einem Propagandaorgan der KP Chinas, im Juli 2005. Ein Foto zeigt eine junge Frau in einem chinesischen Kleid, sie trägt einen Hut mit einer riesigen rosa Plastikblume und lächelt, als habe sie einen Preis gewonnen. Im Text darunter heißt es: „Vor knapp 600 Jahren schwammen 20 chinesische Seeleute an den Strand einer Insel an der kenianischen Ostküste.“ Die Chinesen blieben, heirateten lokale Frauen und konvertierten zum Islam. So wolle es die lokale Legende, schreibt die „China Daily“.
„Nun kommt ein 19-jähriges Mädchen, das Anspruch erhebt, eine Nachfahrin zu sein, nach China, um hier chinesische Medizin zu studieren, nachdem es ein Stipendium der chinesischen Regierung erhielt.“ Bereits 2002 seien chinesische Experten in ihr Dorf Siyu auf der Insel Pate gereist, um ihrer Mutter Haarproben zu entnehmen, die in China auf ihre DNA getestet wurden. Das Ergebnis: chinesische Abstammung. Fünf weitere der 7500 Inselbewohner wiesen ebenfalls chinesische Gene auf, schreibt die „China Daily“. Die Protagonistin lobt ihr neues Gastland – nicht anders wäre es in einem Artikel der „China Daily“ zu erwarten –: „China ist so viel besser, als ich dachte. So schön und gut organisiert.“

In ihrer neuen Heimat sorgt Mwamaka Sharifu für Furore, sie ist unzählige Mal präsent in Presse, Funk und Fernsehen. Die Stadt Taicang, wo die Seefahrer damals ihre Reise begannen, erklärt sie zur „Tochter der Stadt“, einige Beamte werden Jahre später ihrer Graduationszeremonie als „Eltern“ beiwohnen. Das Außenministerium feiert sie als „lebendes Beispiel für die lange Freundschaft zwischen China und Afrika“. Die Regierungswebsite lobt, „sie verbreitet positive Energie und trägt zur Entwicklung der Beziehungen zwischen China und Kenia bei“. Auf einer der zahlreichen Veranstaltungen sagt Sharifu, sie würde eines Tages gern einen Chinesen heiraten – ihr Urahn habe einst geschworen, das chinesische Blut zu bewahren.

Vielleicht ist es Zufall, dass Mwamaka Sharifu ausgerechnet im Jahr 2005 nach China kommt, dem Jahr, in dem China mit großem Pomp den 600. Jahrestag der Reise des Seefahrers Zheng He begeht. Auf allen Kanälen rauscht das Meer, feiert sich ein Land, das einen Moment lang als größte Seefahrernation gegolten hatte – bis es sich selbst in die maritime Bedeutungslosigkeit verdammte.

Zheng He, ein muslimischer Eunuch der Ming-Zeit, soll von 1405 bis 1433 sieben Expeditionsreisen unternommen haben, die ihn bis nach Indien, Sumatra, Ceylon, Arabien und Ostafrika führten. Er sollte die Macht und Glorie seiner Kaiser mehren, Tribut von den „Barbaren jenseits des Meeres“ einholen. Doch er gründete keine Kolonien, jagte nicht nach Sklaven, brachte lediglich Leoparden und Giraffen heim ins Reich. „Anders als andere spätere europäische Kontrahenten, die über die großen Ozeane segelten, um andere Länder mit Gewalt zu erobern, brachte Chinas Flotte den fremden Ländern Tee, Porzellan, Seide und Handwerkskunst. Sie schenkte dem Rest der Welt Frieden und Zivilisation, ohne je ein anderes Land zu erobern – eine Leistung, die die ehrliche Absicht des alten Kaiserreichs symbolisiert, den Austausch mit anderen Ländern zu fördern“, schreibt „China Daily“. 


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mare No. 132

No. 132Februar / März 2019

Von Angela Köckritz

Angela Köckritz, geboren 1977 in München, war von 2011 bis 2014 China-Korrespondentin der Zeit und berichtet seit 2017 aus Dakar, Senegal, vom afrikanischen Kontinent.

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Vita Angela Köckritz, geboren 1977 in München, war von 2011 bis 2014 China-Korrespondentin der Zeit und berichtet seit 2017 aus Dakar, Senegal, vom afrikanischen Kontinent.
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Vita Angela Köckritz, geboren 1977 in München, war von 2011 bis 2014 China-Korrespondentin der Zeit und berichtet seit 2017 aus Dakar, Senegal, vom afrikanischen Kontinent.
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