Die Urururenkel der „Bounty“-Rebellen

Wie fühlt man sich als Nachfahre des berüchtigten Fletcher Christian? Interview mit Tom Christian

mare: Jedes Jahr, am 23. Januar, Ihrem „Bounty-Tag“, wird unten in der Bounty-Bucht, der Anlegestelle, ein Modell des Schiffes im Wasser angezündet. Welche Gefühle beschleichen Sie da?

Tom Christian: Damit feiern wir den Jahrestag eines Ereignisses, das für unsere Geschichte große Bedeutung hatte. Als die Meuterer hier angekommen waren, holten sie alles von der „Bounty“ herunter, was sie noch brauchen konnten. Die Werkzeuge, die Segel, aus denen sie ihre Zelte bauten, alles. Wenige Tage danach, eben an jenem 23. Januar 1790, steckten sie das Schiff in Brand, damit die Masten von vorüberfahrenden Schiffen nicht gesehen werden konnten. Dies war der Moment, da ihre Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten war. Sie konnten die Insel nicht mehr verlassen. In dem Moment war Pitcairn besiedelt, von den englischen Meuterern sowie Männern und Frauen, die sie bei ihrem Zwischenstopp in Tahiti mit an Bord genommen hatten.

Und was bedeutet es für Sie ganz persönlich, dass die Besiedlung Ihrer Heimat die Folge einer Meuterei war?

Fletcher Christian, der Anführer der Meuterer, ist mein Urururgroßvater. Er war Erster Offizier, als sie Käpt’n Bligh aussetzten. Es ist schon aufregend, wenn ich mir überlege, dass wir von Meuterern direkt abstammen. Leider lebten sie hier nicht mehr lange. Fletcher wurde nur drei Jahre später von den Männern, die aus Tahiti mitgekommen waren, umgebracht. Alle unsere ursprünglichen weiblichen Vorfahren sind Tahitianerinnen, alle männlichen Engländer, weil die tahitischen Männer keine Kinder hatten. Wir sind schon eine starke Mischung heute hier auf Pitcairn.

Es gibt Gerüchte, dass Fletcher Christian später doch noch woanders gesehen wurde, in irgendwelchen Hafenstädten, ja sogar in London wollte ihm jemand begegnet sein.

Ich glaube nicht, dass Fletcher nach der Meuterei wirklich in England war. Derjenige, der das behauptete, wollte ihn ja auch nur von hinten gesehen haben. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die anderen nicht gemerkt hätten, wenn hier ein Schiff angekommen wäre, um ihn abzuholen. Besonders damals, als es ja nur Segelschiffe gab. Heute, mit Funk, könnte man sich vielleicht konspirativ an der Küste verabreden. Damals war das unmöglich.

Und wenn er sich selbst ein Boot gebaut hat?

Ein Schiff in hochseetüchtiger Größe hätte er hier niemals ohne die Hilfe anderer zu Wasser lassen können. Es gibt auf der Insel auch nirgends einen Platz, an dem jemand unbemerkt solch ein Boot bauen könnte.

Aber die Umstände seines Todes sowie Ort und Zeit seiner Bestattung gelten doch als ausgesprochen ungeklärt.

Man sagt, er sei in der Nähe seines Gartens getötet worden, oben im Zentrum der Insel. Ganz in der Nähe liegt ein Platz, der „Der Friedhof“ heißt. Wir wissen aber nicht, wer dort begraben liegt. Die Vegetation auf der Insel ist immens dicht, Nachforschungen sind deshalb sehr schwierig. Der Friedhof im Dorf wurde erst später genutzt.

Wird die Meuterei auf der „Bounty“ eigentlich in der Dorfschule von Pitcairn behandelt?

Ich habe darüber in der Schule überhaupt nichts gelernt. Unsere Lehrer sind in aller Regel für zwei Jahre aus Neuseeland „ausgeliehen“. Und so wird mehr über Neuseeland gelehrt als über die Geschichte von Pitcairn. Heute wird das Thema, wie ich hörte, im Unterricht behandelt, aber auch nicht besonders eindringlich


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mare No. 7

No. 7April / Mai 1998

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke ist stellvertretender Chefredakteur von mare. Er beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema historische Meutereien und scheute nicht den Weg nach Pitcairn, eine der am schwierigsten zu erreichenden bewohnten Inseln der Welt.

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Vita Ulli Kulke ist stellvertretender Chefredakteur von mare. Er beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema historische Meutereien und scheute nicht den Weg nach Pitcairn, eine der am schwierigsten zu erreichenden bewohnten Inseln der Welt.
Person Von Ulli Kulke
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