Die Tollkühnen

Im Sommer 1888 macht sich der Polarforscher Fridtjof Nansen mit fünf Gefährten auf, Grönland von Ost nach West zu durchqueren. Kenner geben dem Abenteuer keine Chance. Dank einer klugen Planung und dem Einsatz von Skiern schaffen sie den Weg über das Eis.

Es sind laute, starke Schläge auf das Zelt, die Fridtjof Nansen am Morgen des 7. September 1888 aus dem Schlaf reißen. Vom Orkan entfesselt, drischt eines der Spannseile wie eine Peitsche auf das Zelt ein. Nansen begreift sofort: Sollten sich noch mehr Seile lösen, wäre das ihr Tod. Die grönländische Eiswüste um sie herum hat sich in ein Meer aus treibendem Schnee verwandelt. Es ist bitterkalt. Jede Sekunde könnte der Orkan das Segeltuch packen und mit sich reißen. Dann wären die Männer dem Schneesturm schutzlos ausgeliefert. Einer muss hinaus und das Zelt retten. 

Kristian Kristiansen liegt am dichtesten beim Eingang. Auf allen vieren kriecht er hinaus. Der Schnee peitscht sein Gesicht. Er schnappt sich das Spannseil und hämmert den Hering tief in den Harsch. Er kriecht weiter, dorthin, wo die Schlitten sein müssten, zum Proviant. Doch die Schlitten sind längst im Schnee versunken. Kristiansen gräbt mit seinen Händen, gräbt und gräbt, bis er endlich etwas Hartes spürt: die Vorräte, die auf den Schlitten fest verzurrt sind. Mit halb erfrorenen Fingern löst er die Knoten, stopft sich Beutel und Dosen unter die Jacke. Er dreht sich um. Doch wo ist das Zelt? Es sind nur wenige Meter, doch der tosende Schnee nimmt ihm die Sicht. 

Er brüllt, lauscht. Nichts. Er brüllt wieder. Jetzt hört er leise wie von Ferne die Stimmen der Freunde im Zelt. Eilends kriecht er zurück, hinein unter das rettende Tuch. Nansen und die anderen haben inzwischen mit ihren Skiern die Wände abgestützt. Kristiansen schlüpft zu ihnen in den großen Schlafsack. Und so liegen die Männer eng an eng, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang, während der Orkan weiter heult und der Schnee das Zelt vollends unter sich begräbt.

Kollegen hatten den norwegischen Zoologen Fridtjof Nansen ein gutes halbes Jahr zuvor für verrückt erklärt, als er seinen kühnen Plan erstmals der Öffentlichkeit präsentierte: Als erster Mensch wollte er zusammen mit einer kleinen Mannschaft die Eiswüste Grönlands durchqueren. Im dänischen Fachjournal „Ny Jord“ ätzte ein Grönlandkenner: „Nansens Vorschlag, die hohen Berge der Küste zu besteigen und von ihren Gipfeln aus die sich gegen ihn erhebende Eisfläche zu betreten, verrät absolute Unkenntnis der wahren Verhältnisse. Die Chancen stehen zehn zu eins, dass er entweder sein eigenes und vielleicht auch das Leben anderer nutzlos wegwirft oder bei den Eskimo Zuflucht suchen muss.“ 

Doch Nansen lässt sich von seinem  Plan nicht abbringen. Wenige Jahre zuvor war er an Bord eines Robbenfängers erstmals durch das Treibeis an der grönländischen Küste gefahren. Aus der Ferne hatte er den weißen Rücken des massigen Inlandeises im Sonnenlicht glänzen sehen. Damals reifte in ihm die Idee, eines Tages den Eispanzer zu überqueren – ganz gleich, wie beschwerlich der Weg auch sein möge. Mit der richtigen Ausrüstung sollte sich das mächtige Inlandeis bezwingen lassen. Davon ist Nansen überzeugt.

Im Juni 1888 ist es so weit. Mit fünf Begleitern reist er nach Island und geht dort an Bord des Robbenfängers „Jason“. Zielort des Schiffs ist die Ostküste Grönlands, wo die Mannschaft auf die Jagd nach Klappmützenrobben gehen will. Doch als die „Jason“ Grönland erreicht, versperrt ihr dichtes Treibeis den Weg. Näher als einige Kilometer kommt das Schiff nicht an die Küste heran. Nansen wird ungeduldig. Er muss mit der Grönlandquerung starten, ehe der Sommer vergeht. Am 17. Juli klettert er mit seinen Männern in zwei kleine Ruderboote, in der Hoffnung, sich durch die schmalen Rinnen zwischen den Eisschollen zum Ufer durchkämpfen zu können. 

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mare No. 148

mare No. 148Oktober / November 2021

Von Tim Schröder

Für die Recherche hat Tim Schröder, Jahrgang 1970, freier Wissenschaftsjournalist in Oldenburg, Nansens Buch über die Grönlandquerung gelesen. Ihn hat überrascht, wie aufgeklärt der norwegische Forscher seinerzeit war – sowohl, was seinen Respekt gegenüber den Inuit betrifft, als auch sein Wissen über den Nährwert von Lebensmitteln.

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Vita Für die Recherche hat Tim Schröder, Jahrgang 1970, freier Wissenschaftsjournalist in Oldenburg, Nansens Buch über die Grönlandquerung gelesen. Ihn hat überrascht, wie aufgeklärt der norwegische Forscher seinerzeit war – sowohl, was seinen Respekt gegenüber den Inuit betrifft, als auch sein Wissen über den Nährwert von Lebensmitteln.
Person Von Tim Schröder
Vita Für die Recherche hat Tim Schröder, Jahrgang 1970, freier Wissenschaftsjournalist in Oldenburg, Nansens Buch über die Grönlandquerung gelesen. Ihn hat überrascht, wie aufgeklärt der norwegische Forscher seinerzeit war – sowohl, was seinen Respekt gegenüber den Inuit betrifft, als auch sein Wissen über den Nährwert von Lebensmitteln.
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