Die Schattenseiten des Lichts

Vor allem für die Sicherheit wurden die Türme gebaut, aber wie sicher sind sie? Die skurrilsten Katastrophen

1755
Eddystone, südwestliches England

Der 94 Jahre alte Leuchtturmwärter entdeckt nachts ein Feuer im Laternenraum und versucht, mit Wassereimern zu löschen, ohne seine Kameraden zu wecken. Das Feuer wird zum Inferno, die Kuppel stürzt ein, und der Wärter schluckt einen Schwall geschmolzenes Blei von der Verglasung. Niemand glaubt ihm dies. Er lebt noch zwölf Tage. In der Autopsie findet man einen Bleiklumpen in seinem Magen, der noch heute im Royal Scottish Museum in Edinburgh zu besichtigen ist.

1801
Smalls, vor der walisischen Küste

Zwei miteinander verfeindete Leuchtturmwärter leisten auf einem hölzernen Leuchtturmgestell Dienst im Winter. Wegen schlechten Wetters sind sie eingeschlossen. Einer stürzt und verletzt sich tödlich am Kopf. Der andere, aus Angst, unter Mordverdacht zu geraten, baut einen provisorischen Sarg und bindet ihn mit dem Toten draußen an der Reeling an. Der Sturm zerschlägt die Kiste und wirbelt den verkeilten Leichnam ständig vor seinem Fenster herum. Passierende Schiffe glauben, der Tote winke ihnen freundlich zu. Es dauert vier Wochen, bis der einsame Wärter erlöst wird. Er hat schlohweißes Haar bekommen.

1900
Flannan Island, Äußere Hebriden

Drei Leuchtturmwärter verschwinden spurlos von der winzigen Insel. Die Besatzung des Ablösungsschiffs findet das Wohnhaus blank geputzt, die Öljacken fehlen. Die Presse überschlägt sich mit Spekulationen: Mord und Selbstmord in religiösem Wahnsinn? Entführung durch ein UFO? Das „Flannan Isle Mystery“ beschäftigt noch für Jahrzehnte Inspektoren, Dichter und Journalisten. Wilfred Wilson Gibson veröffentlicht sein Epos „Flannan Island“ und steigert die Verwirrung noch. Heute geht man von einer gewaltigen Flutwelle aus, die die drei Männer vom mehr als dreißig Meter hohen Sockel gerissen hat.

1920
Stroma, Orkneys

Wegen eines Schiffsunglücks im Nebel um 3.52 Uhr früh wird Anklage gegen die Leuchtturmwärter erhoben. Warum war das Nebelhorn erst um 4.05 Uhr in Betrieb? Freispruch! Auf Stroma galt noch die „Local Apparent Time“, die 25 Minuten Differenz zu Greenwich aufweist.

1946
Bishop Rock, Scilly Islands

Die BBC wollte von hier eine Weihnachtssendung übertragen und dabei rührselige Storys von den einsamen Leuchtturmwärtern bringen. Die Reportage geriet authentisch, weil der Reporter und sein Techniker vom schlechten Wetter eingeschlossen wurden und sie sogar noch den Jahreswechsel hier verbringen mussten.

1954
Skerryvore, südlich der Äußeren Hebriden

Ein Feuer bricht in der Laterne aus und frißt sich rasch abwärts. Die Wärter können keinen Alarm mehr auslösen und flüchten sich auf den Felsen am Sockel. Das Nebelhorn explodiert, und die Hitze sprengt die Außenmauern des Turms. Glücklicherweise herrscht Ebbe und das Ablösungsboot kommt regulär am Morgen. Ein mysteriöser Seevogel leistet den verängstigten Männern die ganze Nacht Gesellschaft. Der Turm bleibt bis 1958 außer Betrieb.

1950
Mull of Kintyre, südwestliches Schottland

Die Station wird von einem Rollstuhlfahrer gerammt. Der Mann wollte den Leuchtturm besichtigen und verlor auf der steilen Serpentinenstraße die Kontrolle über sein Gefährt. Er schaffte auf wundersame Weise sämtliche Spitzkehren, wurde dabei aber immer schneller und knallte genau an die Haustür eines der Leuchtturmwärter. Sein Rollstuhl zerbrach in Stücke, der Mann konnte leicht verletzt geborgen werden.

1960
Little Ross, südwestliches Schottland

Vizeleuchtturmwärter Robert Dickson beraubt und ermordet den 64 Jahre alten Gelegenheitswärter Hugh Clarke. Das Urteil „Tod durch den Strang“ wird später in „Lebenslänglich“ umgewandelt. Er verübt Selbstmord im Gefängnis. Wegen dieser schaurigen Tat gehört Little Ross zu einem der ersten automatisierten Türme in Schottland.

mare No. 23

No. 23Dezember 2000 / Januar 2001

Von Klaus-Peter Müller

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