Die Rotarier von der Hafenkante

„Fish, all you can eat“ – die Erfindung eines Lissabonner Lokals

Setúbal, eine Kleinstadt südlich von Lissabon, von Touristen kaum beachtet, Rua Ocidental do Mercado. Am nördlichen Ende der Straße befindet sich Europas vielleicht schönster Fischmarkt: im Mercado do Livramento. Aber da kauft João Tavira nicht ein. Viel zu teuer, wenn man jede Woche fast eine Tonne Fisch umsetzt. Der Wirt des „Bombordo“ bezieht seine Ware aus der kommunalen Auktionshalle am Hafen, nur einen Block weit von seinem Lokal. Direkter geht es nicht. 

Schöner schon. Wenn auch an der Hafenkante gelegen, wo nachts die Hobby­angler stehen; das südliche Ende der Straße gleicht einem Gewerbegebiet. Im Lokal sitzt man gedrängt an Papiertischdecken unter Neonlicht. An den Wänden hängen Trikots des lokalen Fußballvereins. Aber für Altstadtromantik interessiert sich das Publikum des „Bombordo“ ohnehin nicht. Die Mehrheit sind Einheimische, und die wollen einfach nur essen, und zwar Fisch, viel Fisch. Niemand in der EU konsumiert mehr davon als die Portugiesen, je Kopf gerechnet. 

Glaubt man João Tavira, dann muss der Fisch bei seinen Landsleuten vor allem frisch und der Teller voll sein. „Bei uns sind die Augen größer als der Magen.“ Und das brachte den Mittfünfziger auf eine Idee: rodízio de peixe. Sozusagen ein ewiger Fischkreislauf (rodízio von lateinisch rota, Kreis) – oder auch: All you can eat. Man kennt das aus der churrascaria Südbrasiliens: Fleisch vom Spieß bis zum Abwinken. Im „Bombordo“ also rotieren die Fischplatten: Bastardmakrelen, Gemeine Meerbrassen, vor allem Sardinen, auch Thunfisch – rund zehn verschiedene Sorten Fisch, aber keine Goldbrassen oder Rotbarben. Die feinen Fische bleiben dann doch den Tellergerichten vorbehalten. 

Kurz vor zwölf Uhr mittags. Noch spritzen die Angestellten die Reste der letzten Nacht mit dem Wasserschlauch in die Kanalisation. Ruhe vor dem Sturm. Kurz nach zwölf herrscht schon Hochbetrieb, gar nicht so leicht, einen Platz zu bekommen. Unter der Woche rund 250, am Wochenende schon einmal 400 Gäste drängen zum Mittagstisch. Auch typisch portugiesisch: Abends geht es geruhsamer zu. Jetzt aber wuseln die Kellner mit ihren Tabletts zwischen den Tischen umher. Rodízio ist personalintensiv, immer wieder müssen die Gäste mit Nachschub angesteuert werden. Die Platten sind heiß. Schweiß perlt auf den Gesichtern des Personals. Und der Chef? Der steht im Rauch des vier Meter langen Holzkohlegrills wie ein Fels in der Brandung und wendet Fische. Der wohl härteste Job beim ganzen rodízio. Warum tut der Mann sich das an? An der Straße parkt doch sein Mercedes S500. 

Das „Bombordo“ ist auch eine persönliche Erfolgsgeschichte: die von João, dem Einwandererkind, das im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern aus der einstigen Kolonie Angola nach Portugal kam. Und vielleicht hat gerade das seinen Blick auf die lokale Mentalität geschärft, jedenfalls der eher einfachen Leute im „Bombordo“: „Fragt ein Kind hier den Vater, ob es Nachtisch haben kann“, so Tavira, „dann schaut der erst einmal in die Karte, ob Desserts im Preis inbegriffen sind. Und dann heißt es: ‚Warte, bis wir zu Hause sind.‘“

Als Herr des Grills kontrolliert Tavira, welche Fische wann auf den silbernen Platten landen, natürlich immer nur beste Ware, aber eben auch in der richtigen Reihenfolge: zunächst Sardinen, aber Thunfisch erst, wenn die Gäste schon fast satt sind. João macht kein Geheimnis aus seinem Konzept – und dass es eben nicht auf feiner Küche beruht, sondern auf klarem Kalkül: Natürlich könne ein Gast abwarten, bis die edleren Fische vor ihm auftauchen. Aber wer würde das schon durchhalten? Bis dahin essen die Leute den Salat und die Pellkartoffeln. Die beste Variante für den Wirt. So oder so, weiß Tavira, verzehrt ein Gast beim rodízio durch die Pausen am Ende weniger, als wenn alles gleich auf dem Teller vor ihm liegt. Und die Reste für zu Hause einpacken lassen? Nicht beim rodízio! 

Durch die Fenster hinter dem Grill beobachtet Tavira nebenbei die Abläufe an den Tischen. Entdeckt er fehlendes Besteck oder unbeachtete Gäste, gibt er Anweisungen, während er eine neue Ladung Fisch auf die Tabletts der Kellner hievt. Der Chef als Erster unter Gleichen, der am Grill seinen Mann steht. Darin liegt vielleicht João Taviras eigent­liches Erfolgsgeheimnis. Denn das verschafft ihm Respekt. 


Grillfisch nach Art des Hauses

Zutaten und Zubereitung 
Zum Grillen eignen sich vor allem ­Fische mit höherem Fettgehalt und festem Fleisch, also Sardine, Lachs, Schwertfisch, aber auch Dorade (200 g pro Person). Damit der Fisch beim Wenden nicht zerfällt, legt man ihn nicht direkt auf den Grill, sondern in spezielle Fischzangen. Diese vorher einölen, damit der Fisch nicht festklebt. Die Fische nicht zu oft wenden. Dazu serviert man im „Bombordo“ Pellkartoffeln, Oliven und einen gemischten Salat.

Bombordo
Rua Ocidental do Mercado 7, Setúbal,
Telefon +351 914 309 614.
Geöffnet von Mittwoch bis Sonntag 12 bis 15 Uhr und von 19.30 bis 22.30 Uhr, Montag 12 bis 15 Uhr, Dienstag geschlossen.

mare No. 156

mare No. 156Februar / März 2023

Von Roland Brockmann

Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).

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Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
Person Von Roland Brockmann
Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
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