Die Riviera der Rechtgläubigen

Unter Ayatollah Khomeini waren Badefreuden verboten. Jetzt erobern die Iraner ihre Strände zurück

Am Strand der Rechtgläubigen sitzen vier schwarze Krähen. Sie sind ziemlich groß und nass und lächeln fröhlich. Die Krähen heißen Bahram, Negin, Fatima und Marjiam. Sie sind Studentinnen aus Isfahan und tragen ihren Tschador sehr lässig. Ein Mann geht vorbei. Das ist Resa. „Dorud bar to“, rufen die Krähen, Gruß mit dir. Resa eilt zu seinem Imbisscafé. Überdacht, leicht erhöht auf einem Podest. Tragbarer Fernseher, Kühlschrank, Türme aus Limonadenkästen, Holzkohlenglut für Wasserpfeifen.

Resa erblickt Farhad, den Strandhauptmann von Hosseini Sahel. „Salam“, grüßt Resa ehrfürchtig den Polizeikapitän. Farhad nickt ungerührt und putzt weiter seine brasilianische Lizenzpistole. Er sitzt vor seinem Büro. Nun ja, kein Büro. Eher ein Kabuff. Von hier hat er einen guten Blick auf seinen Strand. Immer wachsam sein.

Resa passiert eine schmucklose Betonhütte. Vor der Türschwelle stehen Pantoffel, Slipper, Hackenschuhe, Sandaletten. Die Urlaubsgäste am Strand von Hosseini Sahel haben sich zum Morgengebet versammelt, rechts die Männer, links die Frauen: Allah ist groß, Allah ist ewig!

Der Tag beginnt. Das Meer kiesmurmelt an den Strand. Die fröhlichen Krähen sitzen auf der Bordwand eines schnabeligen Fischerbootes und dippen ihre Füße in das morgenwarme Wasser. Sie essen Riesenbohnen mit Salz und Pfeffer und Zucker und Essig. Baghala. Man muss die Pelle abziehen und die Bohnen dann am Gaumen zerquetschen, sehr köstlich.

Kaweh, der Verkäufer, schöpft die Bohnen aus einem riesigen Kessel. Kaweh ist meist der Erste am Strand von Hosseini Sahel. Etwas später kommt der Eismann. Der Eismann verkauft Stangeneis, Raspeleis, Würfeleis und Eisblöcke. Der Eismann hackt es so zurecht, wie man es gerade braucht. Auch der Muskelmann macht jetzt seinen Kiosk auf. Er hat ein 200-Watt-Grinsen, mächtige Oberarme und einen perfekten Kurzhaarschnitt à la Jean-Claude Van Damme. „Jean-Claude“, sagt der Muskelmann, „chely chub“, seehr gut.

Der Muskelmann heißt ebenfalls Resa. Früher war er einmal Bodybuilding-Meister der Provinz. Heute verkauft er Melonensaft, Maisflips, Eiscreme mit Rosenwasser à la Schiras und Wasserpfeifen, die hier Galion genannt werden. Der Tabak für die Wasserpfeifen heißt Niwehey Dosib und besteht aus getrockneten Früchten, Honig und Tabakblättern. Man kann daran zwei Stunden nuckeln, und dann ist einem ganz schwummerig in der Birne.

„Wir begrüßen die neuen Gäste. Fühlen Sie sich wohl, und beachten Sie bitte unsere islamischen Regeln – herzlich willkommen!“ Esmail sitzt in einem Glaskasten. So überblickt er den gesamten Strand. Esmail ist der Strandansager von Hosseini Sahel, alle 30 Minuten schaltet er seine Lautsprecheranlage ein. Über seinem Kasten flattert das Spruchband mit dem berühmten Satz des Ayatollahs, dass man der Welt nichts Böses tun solle, sie stamme doch von Gott.

Einer nach dem anderen öffnen die Kioske, die Besitzer rollen die Gitter weg, sperren die kleinen Luken auf, hängen ihren Firlefanz in den Sonnentag. Ach, was für eine Hitze schon am frühen Morgen! Sie trinken einen Tee zusammen, das ist Ritual. Stark und süß muss er sein, den Würfelzucker behält man dabei im Mund. Die Urlauber stolpern aus ihren Zelten und Kabinen, die sie für umgerechnet drei Dollar die Nacht mieten können, und blinzeln in die grausame Morgensonne, und die, die ein wenig wohlhabender sind, gehen zu Ali Asafdar und leisten sich ein Frühstück mit Fladenbrot, Joghurt, Weißkäse und Tomaten. Ali hat das größte Restaurant am Strand von Hosseini Sahel. Abends ist es hier richtig voll.

Kapitän Farhad sitzt im Hintergrund des Restaurants von Ali Asafdar. So hat er alles im Blick. Zum Frühstück isst Farhad einen Pilau mit gebratenen Eiern und Fladenbrot. Neben dem Kapitän sitzen seine Gehilfen vom „Komitee für Islamische Führung“ – drei Männer, vier Frauen. Die Männer sind schlicht in das Grün der Islamischen Revolution gekleidet; sie tragen Bärte, ihre Hemden sind zugeknöpft, die Ärmel herunterge- rollt, unablässig bewegen sie die Betkette in ihrer linken Hand.

Die Frauen tragen einen schwarzen Tschador, der das Haupthaar, die Hände und die Fußgelenke vollständig verdeckt. Sie haben an der linken Brust ein Plastikschildchen. Sie patrouillieren am Strand und prüfen, ob sich auch jeder islamisch benimmt. Da gibt es jede Menge Regeln. Schließlich sind wir im Iran, im Jahr 22 der Islamischen Revolution. Früher nannte man dieses Ufer die „Persische Riviera“. Früher, ja, da gab es noch den Schah. Heute gibt es das „Komitee für Islamische Führung“. Aber Urlauber gibt es immer noch. Nein, falsch. Es gibt sie wieder.

Elf Jahre lang war hier gar nichts. Keine Kioske, keine Imbissstände, keine Musik, keine Besucher. Kein Eismann. Kein Melonenmann. Kein Kapitän Farhad, keine fröhlichen Krähen, keine Cafés. Elf Jahre nur ein einsamer Kaspi-Strand und viel wildes Schilf, das immer wilder wurde, und ein paar Fischer, die Störe fingen, um sie auf dem Basar von Now Schar zu verkaufen, illegal, versteht sich. Und dabei hatten Schah Mohammed Resa Pahlewi und sein Vater Resa Khan seit den Dreißigern hier, angeregt vom Jetset an den Mittelmeerküsten, mit schierer Bauwut eine ganze Küste zum Freizeitpark umgestaltet. Aber die „Weiße Revolution“ im Iran wollte nicht funktionieren.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 30. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 30

No. 30Februar / März 2002

Von Volker Handloik und Jodi Bieber

Volker Handloik hat seit 1997 für mare geschrieben. Am 11. November 2001 wurde der Reporter bei einem Einsatz für das Magazin Stern im Norden Afghanistans erschossen.

Jodi Bieber, Jahrgang 1966, lebt in Johannesburg. Für ihre Reportagen aus Afrika wurde sie bereits zwei Mal mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet.

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Vita Volker Handloik hat seit 1997 für mare geschrieben. Am 11. November 2001 wurde der Reporter bei einem Einsatz für das Magazin Stern im Norden Afghanistans erschossen.

Jodi Bieber, Jahrgang 1966, lebt in Johannesburg. Für ihre Reportagen aus Afrika wurde sie bereits zwei Mal mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet.
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